Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenn ein Schnitzel zum Luxus wird

Reportage Essen, Tanken, Wohnen – das Leben wird immer teurer. Was macht das mit Menschen, die ohnehin aufs Geld schauen müssen? Auf Spurensuch­e im Herrenbach­viertel.

- VON INA MARKS

„Empfindlic­he Bußgelder“werden auf einem Zettel angedroht, sollten weiterhin Gegenständ­e in den Herrenbach geworfen werden. Das Schreiben hängt im Schaukaste­n der Kleingarte­nanlage. Die Mahnung sitzt. Wer will schon Strafzahlu­ngen aufgebrumm­t bekommen, wo doch alles so teuer ist? Der Einkauf im Supermarkt, die Tankfüllun­g fürs Auto, der Döner um die Ecke. Das Augsburger Wolfram- und Herrenbach­viertel gilt ohnehin nicht als reicher Stadtteil. Wie sehr die Menschen dort von den steigenden Lebenshalt­ungskosten betroffen sind, zeigt ein Streifzug durch die Straßen zwischen Schwabence­nter und Reichenber­ger Straße.

Maria D. und ihr Sohn Igor (Namen geändert) sind auf dem Weg in die Kleingarte­nanlage. Wenigstens hat die Familie einen Schreberga­rten. Denn in den Urlaub, sagt die 71-Jährige, sei sie das letzte Mal vor drei Jahren gefahren. Auch ein nächster ist nicht in greifbarer Nähe. Erschrocke­n sei sie neulich, als sie die Internetse­ite eines Reiseanbie­ters aufrief. „Urlaub ist jetzt zweimal so teuer“, meint die Frau mit osteuropäi­schem Akzent. Nicht nur das Verreisen muss sie sich verkneifen.

„Wir sparen an Fleisch, kaufen keine Blumen, gehen nicht mehr essen.“Ihr Sohn blickt düster in die Zukunft. „Es wird noch schlimmer. Die höheren Sprit-, Strom- und Lebensmitt­elpreise sind nur der Anfang“, prophezeit der 42-Jährige, der derzeit arbeitslos ist. Er sagt, er habe während der Corona-Pandemie seinen Job als Informatik­er verloren. Die Familie aus dem Herrenbach ist nicht die einzige, der die Teuerungen zu schaffen machen.

Ohnehin hat Augsburg seit vielen Jahren den unrühmlich­en Titel des Armenhause­s Bayerns. Viele Bürgerinne­n und Bürger leben in prekären Einkommens­verhältnis­sen. Besonders viele Arbeitslos­e, das ist aus dem städtische­n Strukturat­las ersichtlic­h, wohnen in Oberhausen. Im Wolframund Herrenbach­viertel ist der Anteil der Wohngeld-Empfänger am höchsten. Jene also, deren Einkommen so niedrig ist, dass sie bei ihren Wohnkosten unterstütz­t werden. Dabei gelten in dem einstigen Arbeitervi­ertel mit den vielen Mehrfamili­enund Hochhäuser­n die Mieten noch als bezahlbar. Genau deshalb

hat sich Melanie Rimmel hier eine Mietwohnun­g genommen. Und trotzdem wird es bei ihr, die als kaufmännis­che Sachbearbe­iterin in einem namhaften Unternehme­n in Augsburg arbeitet, finanziell immer knapper. Wir treffen die gebürtige Augsburger­in beim Gassigehen mit ihrem Labrador Hailey auf Höhe der Kirche Don Bosco an.

Rimmel nimmt kein Blatt vor den

Mund. Vieles könne sie sich nicht mehr leisten, seitdem sie und ihr Partner sich getrennt haben, sie jetzt alleine Miete zahlen müsse. „Wenn ich alles vom Gehalt abziehe, Miete, Versicheru­ng, Handyvertr­ag, Lebensmitt­eleinkäufe, dann bleiben mir monatlich rund 150 Euro. Da darf nichts Außertourl­iches passieren“, erklärt die 38-Jährige. Ein Auto? Ja, bräuchte sie, aber daran sei nicht zu denken. Rimmel muss mit dem wenigen klarkommen. Deshalb geht sie nahezu täglich zum Einkaufen in den Discounter, um nicht zu viel Vorrat zu Hause haben und vielleicht etwas wegwerfen zu müssen. Bäcker und Metzger verkneife sie sich gerade. Dafür gibts Toastbrot, auf Fleisch verzichte sie ganz, „denn das Abgepackte will ich nicht“. Ein Lichtblick: das Neun-Euro-Ticket.

Schließlic­h koste ein Besuch bei ihrer Mutter in Haunstette­n mit den Öffentlich­en knapp sieben Euro, „3,40 Euro mit der Tram hin und 3,40 Euro zurück“. Beträge wie diese summieren sich schnell. Melanie Rimmel spart auch für ihre Freizeit.

„Ich arbeite 40 Stunden die Woche, da will ich mir auch mal was gönnen dürfen.“Das aber umso gezielter. Die Augsburger­in geht, wenn überhaupt, nur in ein Restaurant, das sie kennt. „Für Experiment­e ist mir mein Geld zu schade.“Neulich war sie im Kino. Manchmal, sagt sie, müsse sie ihren Dispokredi­t überziehen. Vielen bleibt diese Möglichkei­t gar nicht. Angela Kemming hat täglich mit Menschen zu tun, die sich nicht mal mehr einen Einkauf leisten können.

Kemming arbeitet bei der Senioren-Fachberatu­ng im Sozialzent­rum Herrenbach. Da über ein Drittel ihrer Klientel Grundsiche­rung beziehen, weiß sie um deren finanziell­e Nöte. Erst heute sagt sie, hätte sie für Klienten eine neue Klobrille und einen Wasserkoch­er besorgt. Die Senioren konnten sich dies aus eigener Tasche nicht mehr leisten. Bei der Anlaufstel­le kümmere man sich allein um 90 „Dauerklien­ten“.

Die Senioren-Fachberatu­ng stellt dafür viele Spendenant­räge, arbeitet mit Stiftungen zusammen. Kemming

weiß, dass viele Menschen im Herrenbach auch schon vor Inflation und Ukraine-Krieg sparen mussten. Sie befürchtet eine Verschärfu­ng der Situation. „Die ganzen Erhöhungen werden erst nach und nach durchschla­gen.“Etwa bei den Strompreis­en. „Für unsere Klienten ist das ein Problem. In ihrer Grundsiche­rung von 440 Euro monatlich sind die Stromkoste­n mit eingerechn­et. Das heißt, ihnen bleibt künftig weniger Geld übrig.“Dass immer mehr Senioren im Herrenbach­viertel in Abfalleime­rn nach Pfandflasc­hen suchen, stellt der 28-jährige Thomas fest.

Der junge Augsburger lebt auch in dem Stadtteil. Er berichtet, dass seine Freunde und er nach ihren regelmäßig­en Treffen im Freien, ihre leeren Flaschen bewusst für die Sammelnden stehen ließen. „Die freuen sich sicherlich darüber.“Der BüroAngest­ellte selbst konnte bislang monatlich immer 150 bis 200 Euro auf die Seite legen. Das geht jetzt nicht mehr. „Ich finde das alles nur noch traurig.“

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Fotos: Annette Zoepf Das Herrenbach­viertel verzeichne­t den höchsten Anteil an Wohngeldem­pfängern in Augsburg. Hier spürt man die steigenden Lebenshalt­ungskosten besonders.
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Melanie Rimmel ist mit Labrador Hailey ins Herrenbach­viertel gezogen, weil hier die Mieten günstiger sind.

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