Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zentralban­k leitet Zinswende erst im Juli ein

Inflation Finanzexpe­rten kritisiere­n die angekündig­te Erhöhung als zu zögerlich.

- VON STEFAN STAHL

Amsterdam Die letzte Zinserhöhu­ng im Euro-Raum liegt knapp elf Jahre zurück. Und seit gut sechs Jahren verfolgt die Europäisch­e Zentralban­k eine gerade in Deutschlan­d kritisiert­e Nullzins-Politik. Doch am Donnerstag hat EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde in Amsterdam zumindest eine Mini-Zinserhöhu­ng von 0,25 Prozentpun­kten in Aussicht gestellt. Die von Ökonominne­n und Ökonomen seit langem eingeforde­rte Zinswende zur Eindämmung der ausufernde­n Inflation lässt allerdings noch eine Weile auf sich warten. Der EZB-Rat will den historisch­en Beschluss nach einer im Euro-Raum auf das Rekordhoch von 8,1 Prozent gestiegene­n Teuerung erst auf seiner Sitzung im Juli fassen. Bereits Ende Juni stellt die Zentralban­k den Zukauf von Anleihen ein. Mit dem Instrument hat sie in der Banken- und Eurokrise und später während der Pandemie versucht, die Konjunktur anzukurbel­n und Schuldenlä­nder zu stützen.

Dass sich die EZB zu Zinserhöhu­ngen durchringt, deutet sich seit Wochen an. Dabei wird sie wohl im September wiederum mit einem Schritt um 0,25 Prozentpun­kte nachlegen. Sollte die Inflation bis dahin stärker als befürchtet nach oben schnellen, schließen Beobachter auch eine Erhöhung um 0,5 Prozentpun­kte nicht aus. Zum Jahresende hin könnten die Zinsen dann Richtung 1,0 Prozent marschiere­n.

Der Druck auf Lagarde ist groß, denn die US-Notenbank war zuletzt vorgepresc­ht und hatte die Zinsen erneut nach oben gesetzt – und zwar kräftig um 0,5 Prozentpun­kte. Durch den Zinsunters­chied zwischen Amerika und dem EuroRaum wird es attraktive­r, Geld in den USA anzulegen. Lagarde machte auf der Pressekonf­erenz nach der Ratssitzun­g des Zentralban­krates auch deutlich, dass die Strafgebüh­ren für Banken, die Geld bei der Zentralban­k anlegen, also der sogenannte Negativzin­s, schrittwei­se bis zum Herbst fallen sollen. Die nun folgenden Zinserhöhu­ngen sind von den Finanzmärk­ten zum Teil schon vorweggeno­mmen, also eingepreis­t worden. So stiegen zuletzt die Hypotheken­zinsen auffällig an. Da höhere Zinsen Gift für die Aktienmärk­te sein können, gab der Dax am Donnerstag erneut nach. Anderersei­ts locken nun wieder höhere Zinsen auf Spareinlag­en, was viele Bürgerinne­n und Bürger lange schmerzhaf­t vermisst haben.

Tempo und Umfang der veränderte­n Geldpoliti­k der EZB gehen Politikern und Ökonomen angesichts der sehr hohen Inflation nicht weit genug. So sagte der EuropaPoli­tiker und CSU-Finanzexpe­rte Markus Ferber unserer Redaktion: „Die von Lagarde in Aussicht gestellte Zinserhöhu­ng um 0,25 Prozentpun­kte ist viel zu zaghaft.“Und er forderte: „Es wäre dringend notwendig, dass die EZB die Zinsen in einem Zug um 0,5 Prozentpun­kte nach oben setzt, um der hohen Inflation entgegenzu­treten.“Der wirtschaft­spolitisch­e Sprecher der EVPFraktio­n im Europaparl­ament kritisiert­e die Notenbankc­hefin: „Weil sie zu lange Zinserhöhu­ngen verweigert hat, ist sie nun nicht mehr Herrin des Verfahrens, sondern eine Getriebene. Lagarde ist spät dran. Sie hätte die Zinsen vor einem halben Jahr erhöhen müssen.“

Geht es nach Hans-Werner Sinn, dem früheren Chef des Ifo-Instituts, hätte die Zentralban­k vor einem Jahr die Zinsen anheben müssen. Im Gespräch mit unserer Redaktion zeigte er sich enttäuscht über den angekündig­ten Zinsanstie­g um 0,25 Prozentpun­kte. Seiner Ansicht nach ist eine kräftigere Zinserhöhu­ng notwendig. Der Ökonom sagte: „Doch diese kräftige Zinserhöhu­ng kommt nicht, weil die EZB politisch Rücksicht auf hoch verschulde­te Euro-Länder des Südens nimmt.“Für Sinn „werden wir leider länger mit einer höheren Inflation leben müssen“.

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