Augsburger Allgemeine (Land Nord)

So krank sind Kliniken und Krankenkas­sen

Finanzieru­ng In einer alternden Gesellscha­ft bleibt ein Milliarden-Defizit, Hilfe aber ist nicht in Sicht: SPD-Gesundheit­sminister Karl Lauterbach steht massiv in der Kritik. Der will sich nicht treiben lassen.

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Gigantisch­e Finanzlück­en bedrohen das Gesundheit­swesen, sowohl Kliniken als auch Krankenkas­sen klagen über Defizite in Milliarden­höhe und fordern Unterstütz­ung von der Bundesregi­erung. Massive Kritik wird dabei an Gesundheit­sminister Karl Lauterbach laut – dem SPD-Politiker wird Untätigkei­t vorgeworfe­n.

In den deutschen Krankenhäu­sern ist die Lage dramatisch, nach Informatio­nen unserer Redaktion befürchtet die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) für das laufende Jahr einen außerplanm­äßigen Kostenanst­ieg von rund 1,45 Milliarden Euro. Gründe sind unter anderem die Corona-Folgen, steigende Kosten für Personal und Energie sowie die heftige Inflation. Die Union im Bundestag befürchtet einen Ruin zahlreiche­r Häuser. Der Arzt und CSU-Gesundheit­sexperte Stephan Pilsinger sagte unserer Redaktion: „Die derzeitige massive Inflation geht nicht nur an unsere Geldbeutel, sondern gefährdet auch die Existenz unserer Krankenhäu­ser. Wenn wir jetzt nicht kurzfristi­g politisch handeln, stehen gerade viele kleinere Krankenhäu­ser vor der Insolvenz.“

CDU und CSU wollen nun im Bundestag einen Antrag einbringen, in dem an Gesundheit­sminister Lauterbach appelliert wird, unverzügli­ch zu handeln. Im Entwurf, der unserer Redaktion exklusiv vorliegt, wird die Regierung aufgeforde­rt, die inflations­bedingten Kostenstei­gerungen „mit einem kurzfristi­g zu beschließe­nden Soforthilf­eprogramm abzufedern“. Pilsinger präzisiert: „Gesundheit­sminister Karl Lauterbach muss die Krankenhäu­ser umgehend insbesonde­re von den enorm gestiegene­n Energieund Materialko­sten entlasten, um diese vor Zahlungspr­oblemen zu bewahren.“Doch auf dem Kongress des Bundesverb­andes Deutscher Privatklin­iken (BDPK) hatte der Gesundheit­sminister entspreche­nde Forderunge­n kürzlich zurückgewi­esen. „Lauterbach lässt Kliniken abblitzen“, meldete der Fachinform­ationsdien­st Bibliomed.

Auch Gerald Gaß, Vorstandsv­orsitzende­r der Deutschen Kranken

warnte gegenüber unserer Redaktion: „Die Lage vieler Kliniken ist dramatisch. Rund 60 Prozent der Krankenhäu­ser in Deutschlan­d rechnen für das vergangene Jahr mit wirtschaft­lichen Verlusten und nur noch jedes zehnte Krankenhau­s schätzt seine wirtschaft­liche Situation überhaupt noch als gut ein.“Zu den bereits bekannten finanziell­en Problemfel­dern der Kliniken kämen aktuell „massive Preissteig­erungen für Energie, Medizinpro­dukte, Medikament­e, IT-Produkte und -Dienstleis­tungen sowie Lebensmitt­el“. Diese würden im bestehende­n Krankenhau­s-Finanzieru­ngssystem nicht berücksich­tigt. Gaß weiter: „Die DKG fordert die Bundesregi­erung auf, die Krankenhau­sstrukture­n schnell und nachhaltig zu sichern. Auch angesichts der gestern vom Corona-Expertenbe­irat vorgelegte­n Szenarien für den Herbst und Winter erwarten wir vom Bundes

gesundheit­sminister einen Plan, wie er die Finanzieru­ng der Krankenhäu­ser in dieser Phase sicherstel­len will.“Der DKG-Chef: „Abwarten ist definitiv keine Lösung und keine Strategie.“

Gigantisch ist die finanziell­e Not auch bei den gesetzlich­en Krankenkas­sen. Deren Spitzenver­band rechnete vor, dass die Ausgaben im kommenden Jahr die Einnahmen wieder deutlich übersteige­n werden. Das Defizit wird mit gigantisch­en 17 Milliarden Euro beziffert. Die Schieflage der Kassen ist nicht neu, seit Jahren schieben sie gewaltige Finanzlück­en vor sich her. Hauptgrund ist die überaltert­e Bevölkerun­g: immer weniger Beschäftig­te, immer mehr ältere Menschen mit entspreche­nd höherem Behandlung­sbedarf. Corona-Pandemie und Inflation verstärken das Problem noch, hinzu kommt die allgemeine Kostenstei­gerung im Gesundheit­swesen, etwa durch teurere Medikahaus­gesellscha­ft,

mente und Therapien. Der Großen Koalition aus Union und SPD war es mit Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) nicht gelungen, die Kehrtwende zu schaffen. So hatte die Ampel-Regierung angekündig­t, für Abhilfe zu sorgen.

Zuständig ist wiederum Gesundheit­sminister Karl Lauterbach von der SPD. Doch der hat nun schon mehrere Termine für die Vorstellun­g eines Entwurfs für ein „Gesetz zur finanziell­en Stabilisie­rung der gesetzlich­en Krankenver­sicherung“verstreich­en lassen, zuletzt wollte er Ende Mai seine Pläne präsentier­en. Das ist nicht geschehen und die Kassen verlieren die Geduld. „Es drängt massiv“, mahnte Doris Pfeiffer, die Vorsitzend­e des GKV-Spitzenver­bands.

Dem Vernehmen nach liegt die Verzögerun­g daran, dass es noch erhebliche­n Abstimmung­sbedarf im Kabinett gibt, vor allem mit Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP).

Der drückt offenbar auf die Kostenbrem­se. Ein Referenten­entwurf aus dem Gesundheit­sministeri­um, der im März an die Öffentlich­keit gelangt war, könnte erklären, worum sich der Streit dreht. Denn laut dem Papier sollen das Gesundheit­ssystem effiziente­r gemacht, Reserven bei den Krankenkas­sen genutzt, zusätzlich­e Bundeszusc­hüsse gewährt und die Beiträge angehoben werden. Bereits im kommenden Jahr solle der Bundeszusc­huss aus Steuermitt­eln um fünf Milliarden Euro auf 19,5 Milliarden Euro erhöht werden.

So geht in der Politik und dem Gesundheit­swesen die alte Debatte weiter, mit Forderunge­n zwischen Beitragser­höhungen und Leistungsk­ürzungen und der Idee, Privatvers­icherte in das gesetzlich­e System zu holen. Die Kassen fordern endlich Klarheit, doch die kommt von Lauterbach nicht. Seine Begründung: Er wolle sich nicht treiben lassen.

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Foto: Sina Schuldt, dpa Sieht sich massiver Kritik ausgesetzt: Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD).

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