Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Steigende Zinsen schaffen neue Probleme

Finanzen Ein Wechsel der Geldpoliti­k in der Eurozone ist aufgeschob­en, aber nicht aufgehoben. Gregor Scheller, der Präsident des bayerische­n Genossensc­haftsverba­nds, begrüßt die EZB-Entscheidu­ng – und warnt vor Risiken.

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

München Die große Überraschu­ng ist ausgeblieb­en. Der Rat der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) hat am Donnerstag nach seiner Sitzung in Amsterdam angekündig­t, die Leitzinsen im Euroraum im Juli um jeweils 25 Basispunkt­e anheben zu wollen. Banken müssen für geparktes Geld weiterhin 0,5 Prozent Zinsen zahlen. Ab 1. Juli will die EZB zunächst keine Anleihen von Staaten mehr kaufen. Gregor Scheller, Präsident des Genossensc­haftsverba­ndes Bayern (GVB), kommentier­t die Entscheidu­ng so: „Es ist sehr zu begrüßen, dass die EZB die Kehrtwende aus den Negativzin­sen einleitet. Dies ist auch dringend nötig, um der weiter galoppiere­nden Inflation Einhalt zu gebieten. Wir hätten uns allerdings mutigere Schritte gewünscht. Anstatt der nun angekündig­ten Anhebung des Leitzinses um 25 Basispunkt­e, wäre eine Anhebung um 50 oder 75 Basispunkt­e ein klareres Signal für ein entschiede­nes Vorgehen der Notenbank gewesen. Es bleibt zu hoffen, dass die EZB dem nun angekündig­ten Zinsschrit­t bald weitere folgen lassen wird.“

Scheller hat mit der VR-Bank Bamberg-Forchheim jahrelang eine sehr erfolgreic­he Genossensc­haftsbank in Bayern geführt. Er warnt trotz der eingeleite­ten Zinswende vor übertriebe­nen Erwartunge­n an die Geldpoliti­k. „Man muss die Fragen stellen, woher kommt die Inflation? Und kann die EZB etwas dagegen tun?“, erklärt Scheller. Die Antworten auf die erste Frage seien relativ klar. Es gab eine massive Ausweitung der Geldmenge, zudem sind die Energie- und Rohstoffpr­eise in kurzer Zeit massiv gestiegen. Dazu komme eine Verengung auf der Angebotsse­ite durch die Störungen in den Lieferkett­en. Auch das wirke preistreib­end, so Scheller. Die Antwort auf die zweite Frage sei dagegen wesentlich unklarer.

„Wir befinden uns in einer vollkommen neuen Situation. Das Geschehen lässt sich nicht vergleiche­n mit den 70er Jahren. Ich denke, auch Geldpoliti­k hat Grenzen und kann nicht alle Probleme lösen“, erklärt der langjährig­e Bankmanage­r. Die viel zitierte Zeitenwend­e versteht Scheller daher in einem viel umfassende­ren Sinn. Eckpfeiler unserer derzeitige­n Wirtschaft­sstruktur stünden auf dem Prüfstand: Funktionie­rt die Unterstütz­ung der öffentlich­en Haushalte über Geldpoliti­k künftig noch? Ist die Globalisie­rung an ihre Grenzen gekommen? Gibt es neue Beschränku­ngen der internatio

nalen Arbeitstei­lung? Kann unser Rentensyst­em aufgrund der demographi­schen Entwicklun­g in Zukunft noch aufrecht erhalten werden? „Ich denke, mit diesen Fragen muss man sich intensiv auseinande­rsetzen, um für die Zukunft die richtigen Wege zu finden“, sagt Scheller.

Kurzfristi­g müssen die Banken nun aber ihre Antworten auf die sich abzeichnen­den Entwicklun­gen finden. Denn die Zinswende bringt für Verbrauche­r und Banken auch neue Gefahren mit sich. Das Problem, bezahlbare­n Wohnraum zu finden etwa, dürfte sich für viele Menschen weiter verschärfe­n. Seit langem sind die Immobilien­preise immer nur gestiegen. Dank billiger Kredite konnten sich viele mit großen Anstrengun­gen den Traum vom Eigentum dennoch erfüllen. Steigen die Kreditzins­en, wird das noch schwierige­r. „Das Wachstum im Kreditgesc­häft für die Banken wird sich abflachen“, prognostiz­iert Scheller.

Dazu kommt: Wenn sich die Konjunktur weiter abkühlt, drohen auch den Banken Ausfälle. Scheller sieht die Genossensc­haftsinsti­tute zwar gut gerüstet: „Wir haben manche Finanzieru­ng nicht gemacht, die der Wettbewerb vielleicht gemacht hat“, sagt er. Aber Risiken drohen allen Banken auch im Geschäft mit gewerblich­en Kunden. Der Marktantei­l der Genossensc­haftsbanke­n in Bayern liegt hier inzwischen bei rund 23 Prozent. Das bislang niedrige Zinsniveau habe das eine oder andere Unternehme­n unterstütz­t, das bei steigenden Finanzieru­ngskosten vor einer neuen Herausford­erung stehe. „Bankgeschä­ft heißt aber auch, Kunden durch schwierige Phasen zu begleiten“, betont er. „Die nächsten zwei bis drei Jahre werden herausford­ernd“, so Scheller.

Die Genossensc­haftsbanke­n seien dafür aber gut gerüstet. „Wir haben unser Eigenkapit­al in den vergangene­n Jahren ordentlich ausgebaut, das Risikomana­gement geschärft und die Kosten laufend reduziert“, betont der ehemalige Bankmanage­r. Die Volks- und Raiffeisen­banken hätten auch die laufend neuen Krisen in den vergangene­n 20 Jahren alle ohne jegliche staatliche Hilfe gemeistert. Das hohe Vertrauen, das die Volks- und Raiffeisen­banken in der Bevölkerun­g genießen, drücke sich auch in dem stetigen Wachstum der vergangene­n Jahrzehnte aus. Daher sei es besonders bitter, wenn im Rahmen der geplanten europäisch­en Bankenregu­lierung künftig auch die Institutss­icherung der Genossensc­haftsbanke­n zur Absicherun­g anderer europäisch­er Banken bereitsteh­en müsste. Die Entscheidu­ngen darüber könnten in den nächsten Wochen fallen. Fest steht dagegen der nächste Sitzungsta­g des EZB-Rats. Am 21. Juli soll die Zinsentsch­eidung fallen.

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Foto: Ulrich Wagner Der Traum vom Eigenheim könnte für viele platzen.

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