Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Von Museumswän­den in den Tresor eines Investors

Auktion Werke der Sammlung Gerlinger mit Kunst von Ernst Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein werden einzeln versteiger­t. Experten sprechen von einem kulturelle­n Desaster.

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München Eine berühmte Sammlung mit Werken der expression­istischen Künstlergr­uppe „Die Brücke“wird ab Freitag in München versteiger­t. Bis zum Sommer 2024 sollen mehr als tausend Objekte des Würzburger Unternehme­rs Hermann Gerlinger nach und nach unter den Hammer kommen, von Künstlern wie Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff oder Max Pechstein.

Ein Schock für die Kunstwelt: „Die Sammlung von Gerlinger ist die wichtigste deutsche Privatsamm­lung zur Kunst der Brücke gewesen“, sagt die Direktorin des Berliner Brücke-Museums, Lisa Marei Schmidt. „Es ist mehr als bedauerlic­h, dass sie jetzt in alle Winde zerschlage­n wird.“Das Brücke-Museum hatte kein Interesse an einer Übernahme. Sie würden die eigene Sammlung nicht sinnvoll ergänzen, erklärt Direktorin Schmidt. „Das Brücke-Museum hat einen umfangreic­heren und bedeutende­ren Bestand an Werken der BrückeKüns­tler in allen Medien.“

Robert Ketterer vom Auktionsha­us Ketterer Kunst berichtet, wie schwer es Gerlinger fiel, die Sammlung aufzulösen. Er habe schon als Student in den 1950er Jahren mit dem Sammeln begonnen und seitdem ein Vermögen in Kunst investiert. Der 90-Jährige habe viele Jahre nach einem passenden Museum gesucht, doch keines habe seinen Vorstellun­gen vom Umgang mit den Werken entsproche­n. Die Sammlung umfasst unter anderem Gemälde, Zeichnunge­n, Aquarelle, Holzschnit­te, Radierunge­n, Skulpturen sowie Dokumente.

Kirchner, Schmidt-Rottluff, Heckel und Fritz Bleyl hatten die Brücke 1905 in Dresden gegründet, weil sie die Kunst revolution­ieren wollten. Weitere Mitglieder schlossen sich an, bis sich die Gruppe 1913 auflöste. Daniel Schreiber, Direktor des Buchheim Museums, in dem mehrmals Werke aus der Sammlung Gerlinger zu sehen waren, sagte der Deutschen Presse-Agentur, es handele sich nicht um die größte BrückeSamm­lung der Welt, „jedoch ist sie

in ihrer enzyklopäd­ischen Dichte und in ihrer chronologi­schen Kohärenz einzigarti­g“. Die Sammlung sei nicht hoch genug einzuschät­zen. „Sie ist nicht nur museumswür­dig, sondern als Ganzes ein deutsches

Kulturgut erster Güte, von dem wir uns verabschie­den müssen.“Gerlinger habe mit viel Ausdauer und Sachversta­nd gesammelt. Nun werde sein Lebenswerk zerschlage­n.

Von Juli bis November 2022 sollen noch einmal einzelne Werke zu sehen sein, danach sei Schluss. Dass die Kunst dann möglicherw­eise in Depots verschwind­et, bezeichnet Schreiber als „ein kulturelle­s Desaster von beispiello­sem Ausmaß“. Es sei jetzt schon klar, dass Museen bei der Ersteigeru­ng der bedeutends­ten Stücke nicht mithalten können. Das Werk „Das blaue Mädchen in der Sonne und ihre Freunde“werde vermutlich Deutschlan­d verlassen. „Endstation könnte ein Investoren­tresor in Amerika oder der Golfregion sein. Es ist unwahrsche­inlich, dass sie hierzuland­e jemals wieder an Museumswän­den hängen werden.“

Bei der ersten Auktion am Freitag gibt es unter anderem Heckels Ölgemälde „Kinder“(Schätzwert: 600.000 Euro) oder von Pechstein „In der Hängematte/Boote auf der Ostsee“(300.000 bis 400.000 Euro). Die Erlöse will Gerlinger der Stiftung Juliusspit­al in Würzburg, der Deutschen Stiftung Denkmalsch­utz und dem Bund Naturschut­z spenden.

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Foto: Matthias Balk, dpa Robert Ketterer, Leiter des Auktionsha­uses Ketterer Kunst, vor dem Ölgemälde „Kin‰ der“von Erich Heckel.

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