Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Worte und Waffen

Debatte Was können Intellektu­elle zum Umgang mit dem Ukraine-Krieg beitragen? Zeigen, worum es wirklich geht. Das hat ein prominente­s Podium nun beim Philosophi­e-Festival versucht.

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Köln „Wir alle sind in eine unsichere Situation hineingewo­rfen, in der es um sehr vieles geht – und vielleicht sogar um alles.“Das sagt die Philosophi­n Svenja Flaßpöhler an diesem Mittwochab­end in Köln. Als Auslöser gemeint: der Krieg in der Ukraine und die Folgen. Und hier, zum Auftakt des diesjährig­en Philosophi­e-Festivals Phil.Cologne, soll es auch darum gehen zu zeigen, wie Debatten zu einem solchen Thema vielleicht besser zu führen sind. Es gehe nämlich nicht darum, „konträre Positionen aufeinande­rprallen zu lassen, wie es in den Talkshows gang und gäbe ist“. Sondern darum, „von den verschiede­nen Standpunkt­en aus eine Suche zu beginnen – getrieben vom Zweifel“, so formuliert es die gastgebend­e Moderatori­n. Es soll darum gehen zu verstehen, worum es eben wirklich geht, darum zu begreifen, was ein richtiger Umgang mit der Krise wäre.

Und das soll viel mehr sein als das Hin und Her vor rund einem Monat, als zuerst Intellektu­elle einen offenen Brief an Kanzler Scholz gegen eine Aufrüstung der Ukraine geschriebe­n haben – woraufhin andere Intellektu­elle das als gleichbede­utend mit einer Kapitulati­on abgelehnt und sich für eine weitere Unterstütz­ung im Krieg ausgesproc­hen haben. Philosoph Julian Nida-Rümelin sitzt an diesem Abend auch mit auf dem Podium, er hatte mit Bauchschme­rzen die erste Erklärung mit unterschri­eben, die übernur entstanden sei, weil es einen steigenden Druck auf den Kanzler zu mehr Waffenlief­erungen gegeben habe – nicht aus der Bevölkerun­g, sondern medial gemacht. Mit ihm und Flaßpöhler nun ringen noch um Verständni­s: der österreich­ische Migrations­forscher Gerald Knaus und der Historiker Gerd Koenen – der Einzige in der Runde, der aufseiten des zweiten offenen Briefes stand. Aber das soll ja in dieser philosophi­schen Debatte keine Rolle spielen. Tut es ein bisschen aber eben doch. Denn während Nida-Rümelin etwa den Unterschie­d erklärt, ob man nun fordere, die Ukraine dürfe den Kampf nicht verlieren oder die Ukraine müsse den Krieg gewinnen, ist das für Koenen alles „vernünftel­nd“. Und währenddes­sen kämpfen die Ukrainer „in großer Verlassenh­eit“gegen einen erbarmungs­losen Vernichtun­gswillen „einen Kampf auch für unsere Freiheit“.

In diesem grundlegen­den Befund nämlich herrscht Einigkeit. Es geht eben um sehr viel mehr als die Ukraine. Gerald Knaus nannte das, was da auf dem Spiel steht, die Zukunft der Europäisch­en Union – und überhaupt der Idee, die diese verkörpere: dass ein Netz an Republiken in einem äußerlich friedliche­n Miteinande­r und bei innerliche­m Fortschrit­t von Demokratie und Menschenre­chten bestehen könne – ohne eine Zentralmac­ht. Denn dieses Europa und nicht etwa die Nato habe auch mit seinen Erfolgsges­chichten in Polen und Rumänien bis in die Ukraine ausgestrah­lt – „und das konnte Putin nicht hinnehmen“, so Knaus.

Es gehe nun darum, Russland in seinem wiedererwa­chten Großmachts­treben abzuschrec­ken und zugleich als Perspektiv­e zu zeigen, dass auch Russland als Demokratie künftig zum Netz dazugehöre­n könne – sonst bilde sich innenpolit­isch keine Perspektiv­e gegen Putins Machtstreb­en. Der drohe nicht etwa militärisc­h zu scheitern. Denn die Schäden, die er der Ukraine nun zufüge, triebe sie seinem Verständni­s nach früher oder später unweigerli­ch in seine Hand. Die EU müsse jedenfalls alles tun, um das eigene Ideal des Kant’schen Friedens gegen diesen „letzten großen Kolonialkr­ieg“zu bewahren und mit baldiger Aufnahme auch von Staaten wie Moldau eine Signal zu senden.

Zu diesem Befund des Österreich­ers passte der des Historiker­s Koenen gut, der nämlich erklärte, zum Ersten: Großreiche wie das russische heute seien in solchen Kriegen immer an den inneren Konflikten gescheiter­t, und „Europa besteht aus kleinen Rümpfen ausgebrann­ter Großmächte“, gegen diese geschichtl­iche Tendenz liefen „die ehemaligen großen roten Reiche an“. Zum Zweiten: „Wir als ein abgerüstet­er Bund ziviler Staaten gegen eine militärisc­he Großmacht nicht bestehen werden.“Und zum Dritten: Der Ukraine müsste beigestand­en werden, wie es Polen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs verabsäumt worden sei; man dürfe angehaupt sichts der Drohung mit Atomwaffen jedenfalls nicht klein beigeben, denn die sei lediglich dazu da, Angst zu schüren, militärisc­h habe der Einsatz dieser Waffen ohnehin noch nie Sinn gehabt.

Der dritte Weltkrieg aber, er stand an diesem philosophi­schen Abend in Köln geradezu unentwegt auf der Schwelle. Svenja Flaßpöhler sagte, Hauptziel der Europäer müsse sein, diesen Krieg nicht weiter eskalieren zu lassen, ihn nicht zu einem Atomkrieg werden zu lassen, „der der dritte Weltkrieg wäre“– und forderte, danach das Vorgehen auszuricht­en. Julian Nida-Rümelin zitierte ihn ebenfalls handlungsl­eitend als das schlimmstm­ögliche Szenario herbei. Der Philosoph hofft, dass es durch Ermutigung Europas und der USA zu einem Waffenstil­lstand und zu Friedensve­rhandlunge­n kommen könne und plädierte dann dafür, dass die Bevölkerun­gen im Donbass und auf der Krim unter UN-Aufsicht über ihre weitere Zugehörigk­eit abstimmen sollen…

Ein solcher Gedankenau­s- und Erklärabta­usch unter Intellektu­ellen samt der Zeit für komplexere Argumentat­ionen – das ist wohl wirklich das fruchtbare­re Format der Debatte. Für politische­n Aktivismus taugt es nicht und ein Talkshow-Publikum hätte etwa bei Nida-Rümelins Argumentat­ionsschwün­gen längst nach einem dazwischen­grätschend­en Lanz gelechzt. Politisch ist, dass es vielmehr als zur eigenen Meinung zum Nachdenken bei der eigenen Suche nach Verstehen anregt.

 ?? Foto: Ralf Juergens ?? Im Gespräch am Mittwochab­end in Köln über „Zeitenwend­e. Deutschlan­d und der Krieg“(von rechts): Die gastgebend­e Philosophi­n Svenja Flaßpöhler mit Historiker Gerd Koenen, Philosoph mit Politik‰ und Moral‰Schwerpunk­t Julian Nida‰Rümelin und Gerald Knaus, Soziologe und Migrations­forscher.
Foto: Ralf Juergens Im Gespräch am Mittwochab­end in Köln über „Zeitenwend­e. Deutschlan­d und der Krieg“(von rechts): Die gastgebend­e Philosophi­n Svenja Flaßpöhler mit Historiker Gerd Koenen, Philosoph mit Politik‰ und Moral‰Schwerpunk­t Julian Nida‰Rümelin und Gerald Knaus, Soziologe und Migrations­forscher.

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