Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ist der Verbrenner noch zu retten?
Verkehr Um die Zukunft des Autos ist ein Glaubenskrieg entbrannt. Benzin und Diesel könnten auch durch synthetischen Sprit ersetzt werden. Der Trend aber geht in eine andere Richtung.
Berlin Wie sieht die Zukunft des Autofahrens aus? Nach dem Votum des EU-Parlaments für ein Verbot von Neuwagen mit Benzin- oder Dieselantrieb ab dem Jahr 2035 sorgt diese Frage für mächtig Zündstoff. „Der Verbrennungsmotor ist mausetot“, sagte etwa Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer im Gespräch mit unserer Redaktion. Der bekannte „Auto-Professor“erwartet, dass sich elektrisch betriebene Fahrzeuge fast vollständig durchsetzen - und zwar schon lange vor 2035. Auch Verbrennungsmotoren, die mit synthetischen Kraftstoffen fahren, gibt er keine Chance: „Das ist die schlechteste Technik, bei der 80 Prozent der ursprünglichen Energie verloren gehen - sie in die Zukunft zu führen, wäre idiotisch.“
Vor allem Vertreter der Automobilindustrie und der FDP beharren darauf, dass es auch künftig Verbrennungsmotoren geben soll - aber nicht mit Benzin oder Diesel betrieben, sondern mit synthetisch und klimaneutral hergestellten Kraftstoffen. Auch die Union im Bundestag ist dieser Meinung. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte: „Dem Verbrenner-Motor in Europa die Zukunftsperspektive zu nehmen, ist ein schwerer Fehler. Synthetische Kraftstoffe in Verbrennungsmotoren sind eine klimaneutrale Innovation für eine CO2-freie Zukunft.“Der Verbrennungsmotor habe den Wohlstand in Europa über Jahrzehnte mit gesichert - den „nächsten technologischen Sprung der Verbrenner jetzt vorsätzlich anderen Regionen der Welt zu überlassen“, sei „fahrlässig und verantwortungslos.“
Viele Branchenkenner sehen den Beschluss des Europäischen Parlaments indes als klare Entscheidung gegen den Verbrennungsmotor. Hersteller sollen danach ab Mitte des nächsten Jahrzehnts nur noch Autos und Transporter auf den Markt bringen dürfen, die keine klimaschädlichen Treibhausgase mehr ausstoßen. Ein großer Teil der Bundesbürger ist allerdings gegen ein faktisches Verbot von Benzin- und Dieselfahrzeugen. Der Fernsehsender Welt berichtete unter Berufung auf das Meinungsforschungsinstitut
Civey, dass 57 Prozent der Befragten ein Verbrennerverbot für falsch halten. Lediglich 35 Prozent sähen es als richtige Entscheidung.
Diese Liebe der Deutschen zu ihren Autos in der gewohnten Form, so warnen Kritiker der EU-Entscheidung, könne zu einem „Havanna-Effekt“führen – gemeint ist damit ein Straßenbild, das von UraltAutos beherrscht wird. Wie auf Kuba, wo nach der sozialistischen Revolution der private Autobesitz verboten wurde, mit Ausnahme von Fahrzeugen, die sich bereits in Privateigentum befanden. So fahren auf der Karibikinsel und vor allem in der Hauptstadt Havanna bis heute hochbetagte US-Straßenkreuzer. Weil nach dem EU-Vorhaben auch nach 2035 niemand seinen Verbrenner stilllegen muss, könnten viele Menschen ihre alten, klimaschädlichen Autos so lange wie nur irgend möglich fahren, heißt es. Experte Dudenhöffer hält diese Bedenken jedoch für absurd: „Der Markt, der TÜV und der Spritpreis werden einen Havanna-Effekt verhindern. Autos mit Verbrenner zu fahren, wird immer teurer, E-Autos immer günstiger.“Groß sind freilich die Bedenken, dass der Ausbau der Lade-Infrastruktur nicht mit der wachsenden Zahl von Elektroautos Schritt hält.
So rechnet der Verband der Automobilindustrie, dass im Jahr 2030 rund eine Million öffentlich zugängliche Ladepunkte in Deutschland benötigt werden. Aktuell gibt es laut Bundesnetzagentur nur gut 60.000 Strom-Zapfsäulen. Der Verband der Energie- und Wasserwirtschaft ist trotzdem optimistisch: „Der Ladesäulenausbau kommt gut voran“, betont Verbandschefin Kerstin Andreae. Experte Dudenhöffer ist überzeugt, dass der EU-Beschluss den Infrastrukturanbietern die nötige Investitionssicherheit gibt. Er verweist auf das Beispiel Norwegen, das schon im Jahr 2025 komplett aus der Verbrennertechnik aussteigt. Dort betrage der Anteil vollelektrischer Autos bereits heute fast 83 Prozent - im Rest von Europa seien es noch nicht einmal zwölf. „Was Norwegen vor dem Jahr 2025 schafft, sollte der Rest von Europa doch zehn Jahre später ebenfalls schaffen.“