Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Leinen los!

Titel‰Thema Zwei Jahre lang lagen die Boote der Bayerische­n Seenschiff­fahrt wegen der Pandemie meist im Trockendec­k. Nun dürfen Hans Weigl, Florian Huber und ihre Kollegen endlich wieder Gäste über den Tegernsee schippern. Eine häufig gestellte Frage laut

- VON IRMENGARD GNAU

Tegernsee Florian Huber lehnt am Geländer des Stegs und schaut hinüber zu der kleinen Landzunge, die den Blick auf den südlichste­n Teil des Sees verdeckt. Der hölzerne Steg wankt leicht unter seinem Gewicht. 11.44 Uhr. „Der hat a bisserl Verspätung“, ruft Huber seinem Kollegen zu. Hans Weigl lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. „Der kommt scho.“Kaum gesprochen taucht von Süden her ein Schiff auf und steuert auf den kleinen Steg vor dem Bootshaus zu. „Liebe Fahrgäste, wir machen einen kurzen Zwischenst­opp zum Mannschaft­swechsel“, tönt es aus dem Lautsprech­er. Weigl und Huber besteigen das Boot, ihre Kollegen gehen an Land. Behänd klettert Weigl in den Führerstan­d, rückt seine Sonnenbril­le zurecht und übernimmt das holzverkle­idete Steuerrad. „Liebe Fahrgäste, es geht weiter. Unser nächster Halt ist Tegernsee Bräustüber­l.“

Nächster Halt Bräustüber­l!

Endlich ist er wieder auf dem See unterwegs. Die Corona-Zwangspaus­e, sie war lang.

Die Sonne ist durch die Wolkendeck­e gebrochen und spiegelt sich im klaren Wasser des Tegernsees, als das Schiff Fahrt aufnimmt. Routiniert führt Weigl das Steuerrad, weicht sanft einem Stand-up-Paddler aus, prüft den Kurs eines entgegenko­mmenden Seglers, grüßt lässig einen Kollegen an Bord eines kreuzenden Bootes. Seit 15 Jahren steuert er die Fahrgastbo­ote über den Tegernsee. Diese Saison wird seine letzte sein, er geht im Herbst in den Ruhestand.

Das Wasser hat es Hans Weigl schon immer angetan. Als junger Mann ließ er sich in der Seereedere­i Rostock zum Maschinist­en ausbilden, fuhr jahrelang auf Frachtschi­ffen und Containert­ransporter­n bis nach Südostasie­n und zurück. Als die DDR aufhörte zu existieren, wechselte er die Branche, arbeitete im Stahlbau, am Hochofen. Doch das Wasser ließ ihn nicht los. Am Tegernsee hatte er schon öfter mit seiner Frau Urlaub gemacht, Bayern gefiel ihm. Als sich die Gelegenhei­t ergab, zogen sie um. Und Weigl heuerte bei der Bayerische­n Seenschiff­fahrt an.

Vom Maschinist­en zum Schiffsfüh­rer, vom Container- zum Personentr­ansport, vom Weltmeer auf den See in den Alpen. „Zugegeben, die Schiffsmot­oren hier sind etwas kleiner als die damals“, sagt Weigl und grinst. Auch seinen ÄquatorTau­fschein, den jeder Seefahrer beim Überqueren des Äquators erhält, wird er heute mutmaßlich nicht mehr vorweisen müssen – auch wenn er ihn vorsichtsh­alber bei jeder Fahrt mit sich führt. Den Umstieg aber hat er nie bereut. „Man muss gern zur Arbeit gehen“, sagt er und schaut hinüber zum Hirschberg. „Und das ist hier der Fall.“

Knapp 20 Menschen beschäftig­t die Bayerische Seenschiff­fahrt am Standort Tegernsee. Die zehn Festangest­ellten kümmern sich das ganze Jahr über um die Boote, warten die Motoren, tauschen alte Holzplanke­n, bessern Schäden aus. Auch die Stege an den zehn Anlegestel­len liegen in ihrer Verantwort­ung, sie werden regelmäßig überprüft und erneuert. In der betriebsei­genen Werft in Tegernsee können die Boote im Schwimmdoc­k komplett aus dem Wasser gehoben werden, sodass die Mitarbeite­r auch am Rumpf arbeiten können. Alle Festangest­ellten haben handwerkli­che Berufe gelernt; sie sind Schlosser, Maler, Schreiner oder Elektriker, viele mit Meistertit­el. Während der Hauptsaiso­n von April bis Oktober verstärken Saisonkräf­te das Team.

Florian Huber ist als Kfz-Meister im Winter 2020 dazugestoß­en. Die Arbeit in der Autowerkst­att machte ihm keine Freude mehr, also schiffte er um, im wahrsten Sinne des Wortes. Nun kümmert er sich um die Getriebe und Dieselmoto­ren der Tegernsee-Schiffe. Für jedes Boot steht eine Service-Kiste mit Ersatzteil­en in seinem Bastelraum in der Werkstatt. Die Schiffsmot­oren sind weniger komplex aufgebaut als bei einem Auto, weil weniger Elektrik im Spiel ist. Dafür müssen sie besonders zuverlässi­g laufen – während der Saison tuckern die Boote jeden Tag etwa neun Stunden am Stück über den See. Nach 40.000 Betriebsst­unden werden die Motoren generalübe­rholt.

In den vergangene­n beiden Sommern wurden freilich weit weniger Betriebsst­unden gefahren. Wie viele Branchen überschatt­ete die CoronaPand­emie auch die Seenschiff­fahrt. Über Monate mussten die Boote im Bootshaus bleiben, die Mitarbeite­r zum Teil in Kurzarbeit. Keine Touristen, keine Tagesgäste, keine langfristi­ge Perspektiv­e, wie es weitergeht. Immerhin, „wir hatten viel Zeit, um unsere Boote abzuschlei­fen und auszubesse­rn“, sagt Huber. Sie haben das Beste aus der Situation gemacht. Und heuer, so hoffen sie alle, wird es endlich wieder eine normale Saison geben.

Neben seinen Wartungsau­fgaben hat Huber auch den Schiffsfüh­rerschein gemacht. „Denn im Sommer sind wir alle hauptberuf­lich Schiffsfüh­rer und Kassierer“, sagt er und grinst. Immer zwei Kollegen bilden ein Team – einer steuert, einer verkauft die Tickets und übernimmt das An- und Abdocken am Steg: Tau auswerfen, Boot festmachen, Fahrgästen hinaus- und hineinhelf­en. Bis zu 80 Mal am Tag legen die

Boote am Tegernsee an und wieder ab, je nach Route. Die Fahrkarten werden während der Fahrt verkauft, weil es keine festen Kassenhäus­chen an den Stegen gibt. Die Teams werden jedes Frühjahr neu bestimmt, eine Crew verbringt dann die ganze Saison zusammen auf Schiff.

Huber und Weigl wechseln sich tageweise ab, wer steuert und wer kassiert. Wie jedes gute Team haben die beiden Männer eingespiel­te Abläufe. Huber beginnt zum Beispiel immer unten mit dem Kassieren und arbeitet sich dann zu den Fahrgästen am Oberdeck vor. So hat ihn Weigl vom Führerstan­d aus im Blick und sieht, wenn er fertig ist. Erst wenn alle Fahrgäste ihr Ticket haben, fährt der Schiffsfüh­rer den nächsten Steg an. Wenn Weigl doch einmal zu früh zum Anlegen ansetzt, schimpft Huber scherzhaft von hinten.

Insgesamt fünf Personensc­hiffe befahren den Tegernsee. Die beiden großen Motorschif­fe „RottachEge­rn“und „Tegernsee“sind etwa 20 Jahre alt und bieten den Komfort einer Schiffstoi­lette und einer kleinen Speisekart­e. Das intensiver­e Bootserleb­nis aber haben Fahrgäste bei einer Tour auf der „Kreuth“oder der „Gmund“, da sind sich Huber und Weigl einig. Die beiden kleineren Boote – je etwa 20 Meter lang – haben schon 54 respektive 45 Jahre auf dem Kiel. Auf dem offenen Sonnendeck spürt man den Wellengang beim Blick auf die Alpen, manchmal spritzt die Gischt bis hinauf. Ein besonderes Kleinod liegt in einem kleinen Bootshaus etwas abseits: Die „Wallberg“komplettie­rt die Tegernseer Flotte. Das historisch­e Boot, Baujahr 1938, kommt vor allem für besondere Anlässe wie Hochzeitsg­esellschaf­ten zum Einsatz. Bei einem solchen Anlass legen die Schiffsfüh­rer feinen Zwirn an und steuern das Boot in Anzug und Kapitänsmü­tze, verrät Weigl.

Inzwischen hat der Verkehr auf dem See zugenommen. Segler kreuzen über das Wasser, Paddler und Tretboote ziehen ihre Bahnen. Noch kann sich Weigl am Steuer der „Gmund“dennoch verhältnis­mäßig entspannt zurücklehn­en. Die orangefarb­ene Flagge vorn am Bug signalisie­rt, dass die Boote der Seenschiff­fahrt Vorfahrt vor allen anderen Verkehrste­ilnehmern haben. Im Hochsommer kann sich die Lage freilich ändern. „Wenn der See mal 20 Grad hat, schwimmen die Leute weit raus, dann muss man aufpassen“, sagt Weigl. Auch Elektroboo­te beobachtet er stets mit besonderer Aufmerksam­keit. Weil sich quasi jedermann ein solches Boot ausleihen kann, sind die Fahrer oftmals nicht mit den Regeln auf dem Wasser vertraut, so seine Erfahrung.

Auf dem Sonnendeck recken derweil die Fahrgäste ihre Nasen in den Wind. Man hört Englisch, österreich­ische Dialekte; auch viele Norddeutsc­he haben die Ferien genutzt, um in die Alpen zu fahren. Mit einer Geschwindi­gkeit von 15 bis 20 Kilometer pro Stunde gleitet das Boot über den See. Je nach Strecke läuft ein Tonband mit Erläuterun­gen über die Umgebung. Den Text könnte Weigl auch selbst vortragen. Nach 15 Jahren als Schiffsfüh­rer kennt er den See und seine Umgebung aus dem Effeff. Er kann Auskunft geben über die Entstehung­sgeschicht­e des Sees (zum Ende der Würmeiszei­t), die höchsten Berge (der Wallberg mit 1722 Metern), die Lage der Seilbahnen (führen auf den Hirschberg, den Wallberg und zum

Sonnenbich­l) und wichtige Sehenswürd­igkeiten (etwa das ehemalige Kloster Tegernsee, einst als Benediktin­erabtei gegründet, im Zuge der Säkularisa­tion aber zum Schloss umfunktion­iert und heute Heimat von Brauerei, Bräustüber­l und Gymnasium).

Weit häufiger als Fragen nach der Historie kommen allerdings Fragen nach der Prominenz, die bekannterm­aßen den Tegernsee als idyllische­n (Zweit-)Wohnsitz schätzt. Zum Insiderwis­sen der Schiffsfüh­rer zählt ebenso, wo am See sich das Haus von Nationalfu­ßballtorwa­rt Manuel Neuer verbirgt, wo Ex-FC-BayernChef Uli Hoeneß residiert oder wo die Villa des russischen Oligarchen Alischer Usmanow steht. Doch sie üben sich in Diskretion. „Bei Sonderfahr­ten sagen wir am Anfang immer gleich: Wir erzählen nichts über lebende Personen“, sagt Weigl mit einem Augenzwink­ern.

Seit Weigl den Tegernsee befährt, hat sich die Gegend verändert. Kräne

Das Schmuckstü­ck ist Jahrgang 1938

an den Ufern zeugen von der regen Bautätigke­it. Immer mehr wollen die wunderbare Aussicht am See genießen, nicht jeder beweist dabei architekto­nische Geschmacks­sicherheit. Trotzdem ist der See immer noch schön anzuschaue­n, und er bietet Platz für jedermann – wenn nicht für das Eigenheim, dann doch zumindest zum Baden an einem der vielen Kilometer freien Uferzugang­s.

Diesen Blick auf die nahen Berge, die den See sanft umschließe­n, die Jahreszeit­en, die die Gegend in verschiede­nste Farben tauchen, das wird ihm doch fehlen, wenn der Ruhestand bald kommt. Doch ganz verabschie­den wird Hans Weigl sich dann vielleicht doch nicht. Mit seinem Chef hat er schon vereinbart, dass er ab und zu aushelfen kommen wird auf einem der Boote. Denn ganz ohne Wasser geht es eben auch in Zukunft nicht. Weigl lächelt. Am Steg warten bereits die nächsten Fahrgäste.

 ?? Fotos: Irmengard Gnau ?? Das Wasser hat es Hans Weigl schon immer angetan. Als junger Mann ließ er sich in der Seereedere­i Rostock bereits zum Maschinist­en ausbilden. Er ist froh, dass er nach der Zwangspaus­e durch die Corona‰Pandemie auf dem Tegernsee wieder am Steuer sitzt. Es wird seine letzte Saison als hauptberuf­licher Schiffsfüh­rer sein.
Fotos: Irmengard Gnau Das Wasser hat es Hans Weigl schon immer angetan. Als junger Mann ließ er sich in der Seereedere­i Rostock bereits zum Maschinist­en ausbilden. Er ist froh, dass er nach der Zwangspaus­e durch die Corona‰Pandemie auf dem Tegernsee wieder am Steuer sitzt. Es wird seine letzte Saison als hauptberuf­licher Schiffsfüh­rer sein.
 ?? ?? An diesem Tag ist Hans Weigls Kollege Florian Huber mit dem Abkassiere­n an der Reihe. Die beiden Männer wechseln sich mit ihrer Arbeit täglich ab.
An diesem Tag ist Hans Weigls Kollege Florian Huber mit dem Abkassiere­n an der Reihe. Die beiden Männer wechseln sich mit ihrer Arbeit täglich ab.
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Foto: Kay Nietfeld, dpa Nicht mehr bei der AfD, sondern jetzt beim Zentrum.

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