Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Deutschlan­d kann und sollte mehr tun“

Interview: Der FDP-Außenexper­te Alexander Graf Lambsdorff spricht über den Streit in der Koalition, über die Lieferung von schweren Waffen in die Ukraine und über Fehler der deutschen Russland-Politik in der Vergangenh­eit.

- Interview Michael Pohl

Im Osten der Ukraine gibt es harte Kämpfe um die Großstädte mit vielen Toten. Viele Stimmen warnen vor einem langen Zermürbung­skrieg. Wie bewerten Sie denn aktuell die Lage? Alexander Graf Lambsdorff: Die Lage ist schwierige­r, als sie auf den ersten Blick erscheint. Im Osten des Landes rücken russische Einheiten vor und besetzen weitere Landesteil­e. Bei einigen erweckt das den Eindruck, als ob es auf einen Erfolg Russlands zulaufen würde. Aber Wladimir Putin ist trotz dieser Entwicklun­gen auf dem Schlachtfe­ld im Osten der Ukraine nach wie vor weit von seinen eigentlich­en Kriegsziel­en entfernt: einer Demilitari­sierung der Ukraine, einer vollständi­gen Vernichtun­g der ukrainisch­en Streitkräf­te, einer Absetzung der Regierung und einer Auslöschun­g der ukrainisch­en Staatlichk­eit.

Die USA, Großbritan­nien und die osteuropäi­schen Staaten fordern, die Ukraine jetzt schneller und stärker mit der Lieferung schwerer Waffen zu unterstütz­en. In der Öffentlich­keit bietet die Koalition hier ein zerstritte­nes Bild und Deutschlan­d steht als Bremser da. Lambsdorff: Dieser internatio­nale Eindruck ist ziemlich uneinheitl­ich. Ich habe in den vergangene­n Tagen hierzu in Spanien Gespräche geführt, und dort hält man die deutsche Unterstütz­ung für sehr stark. In anderen Ländern sieht man das ähnlich. Deutschlan­d ist in der Nato keineswegs isoliert, auch wenn Polen und die baltischen Staaten das gelegentli­ch anders intonieren. Trotzdem sagen wir als FDP, dass wir beim Schützenpa­nzer Marder den Ukrainern mehr Unterstütz­ung zukommen lassen sollten, und wir wünschen uns, dass wir hierzu in der Bundesregi­erung einen Konsens erzielen.

Andere Staaten tun mehr: Amerika und Kanada haben der Ukraine über 150 moderne Feldhaubit­zen überlassen. Norwegen hat gerade 22 Panzerhaub­itzen geliefert, das sind dreimal so viele, wie Deutschlan­d überhaupt in Aussicht gestellt hat. Ist das nicht ein Missverhäl­tnis?

Lambsdorff: Auch wir als FDP sagen, Deutschlan­d kann und sollte mehr tun. Aber so einfach ist es nicht: Haubitzen dienen dem Kampf über weite Entfernung­en, sie feuern über 15 bis 30 Kilometer und teils noch weiter. Sie wurden, wie sie sagen, an die Ukraine geliefert. Es bleibt aber wichtig: Haubitzen sind keine Gefechtsfe­ldwaffen und sind deshalb auch nicht mit Kampfpanze­rn zu verwechsel­n, die unmittelba­re Kämpfe austragen können. Auch Norwegen liefert keine schweren Gefechtsfe­ldwaffen. Was noch dazukommt: Deutschlan­d hat seit der Wiedervere­inigung vor 30 Jahren die Bundeswehr kaputtgesp­art. Mit dem Sonderverm­ögen sind wir als Ampelkoali­tion gerade dabei, das zurückzudr­ehen. Aber die Bundes

wehr hat momentan nun einmal nicht so viel Material auf dem Hof stehen, dass man es liefern könnte, ohne die eigene Verteidigu­ngsfähigke­it zu beschädige­n. Beim Leopard schauen wir, was die Verbündete­n machen. In der Ukraine gibt es weder französisc­he noch britische, italienisc­he oder amerikanis­che Kampfpanze­r. Insofern gibt es auch keinen deutschen Leopard-Panzer. Die Marder sind Schützenpa­nzer. Sie stehen auf dem Hof bereit, sie könnten aufbereite­t und geliefert werden. Wir sind als FDP der Meinung, dass dies auch geschehen soll.

Kann das zu einer Belastung für die Koalition werden?

Lambsdorff: Über dieses Thema reden wir in der Koalition sehr intensiv miteinande­r, sowohl hinter den Kulissen als auch öffentlich. Ich glaube aber nicht, dass die Koalition darüber in einen gefährlich­en Streit geraten könnte. Schließlic­h verfolgen auch viele Menschen im Land die Waffenlief­erungen mit Sorge. Die Koalition wird diesen demokratis­chen Streit unter Partnern aushalten und im richtigen Moment die richtigen Entscheidu­ngen treffen.

Nach außen gibt die Koalition in sehr vielen Fragen ein zerstritte­nes Bild ab.

Wird die Stimmung nicht auch intern immer schlechter?

Lambsdorff: Uneinigkei­t herrscht bei einzelnen Themen. Das ist aber nicht ungewöhnli­ch, wenn unterschie­dliche Parteien miteinande­r regieren, die unterschie­dliche Akzente setzen. Man muss hier aber klar trennen zwischen den großen Linien der Koalition und diesen kleineren Auseinande­rsetzungen. Bei den wirklich wichtigen strategisc­hen Fragen, etwa der Entlastung der Bürgerinne­n und Bürger, der besseren Ausrüstung der Bundeswehr, einer klaren Unterstütz­ung der Ukraine und den Fortschrit­ten beim Klimaschut­z sind die Koalitions­partner genauso unterwegs, wie es im Koalitions­vertrag vereinbart ist. Entscheide­nd ist, dass die Ampelkoali­tion das Land in die richtige Richtung führt. Gerade für die Sicherheit­spolitik trifft dies zu hundert Prozent zu.

Nicht nur innerhalb der Koalition, auch in Europa herrscht Streit. Besonders harte Kritik gibt es an Äußerungen des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron, man solle Russland nicht demütigen. Wie haben Sie diese Aussage empfunden?

Lambsdorff: Ich hätte mir gewünscht, Präsident Macron hätte

sich nicht so geäußert. Selbst wenn man diese Position vertritt, so muss man auch den aktuellen Zeitpunkt bedenken. Als Vorsitzend­er der deutsch-baltischen Parlamenta­riergruppe kann ich nur sagen, dass Macrons Aussagen im Baltikum für erhebliche Irritation gesorgt haben. Deshalb war es so wichtig, dass der Bundeskanz­ler bei seinem Besuch in Litauen jetzt die Aufstockun­g unserer dort stationier­ten Bundeswehr­Einheiten bekannt gegeben hat. Das ist echte Solidaritä­t.

Doch in der Frage der EU-Perspektiv­e für die Ukraine gelten Deutschlan­d und Frankreich als Bremser, während selbst die EU-Kommission wesentlich klarere Perspektiv­en für einen Beitrittsk­andidaten-Status formuliert. Warum ist die Bundesregi­erung so zurückhalt­end und gibt den Ukrainern nicht ein jetzt wichtiges Signal der Hoffnung?

Lambsdorff: Ich halte es immer für wichtig, Unterstütz­ung zu gewähren, aber keine Versprechu­ngen zu machen, die man nicht halten kann. Österreich hat bereits klar verkündet, dass es einem Kandidaten­status nicht zustimmen will, und in der Europäisch­en Union benötigen wir in dieser Frage Einstimmig­keit. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregi­erung die Beitrittsp­erspektive bejaht, aber sie momentan nicht mit einem Kandidaten­status verbindet. Wir müssen die Ukraine unterstütz­en, auch auf ihrem Weg in Richtung Europäisch­e Union.

Angela Merkel hat dieser Tage erklärt, dass sie schon früh als Kanzlerin Putins Hass auf den Westen, auf die Europäisch­e Union gespürt habe. Auch Sie haben in Ihrem ein Jahr vor dem Krieg erschienen­en Buch „Wenn Elefanten kämpfen“vor Russlands Gefahr gewarnt. War der Krieg von Anfang an eine logische Entwicklun­g, wenn man Putins Biografie verfolgt? Lambsdorff: Es ist tatsächlic­h so. In meinem Buch habe ich der russischen Politik mehrere Kapitel gewidmet. Und wenn ich heute meine Kapitelübe­rschriften lese, über das russische Trauma, über die Geschichte als Ideologiee­rsatz, und wie Moskau wieder Länder als russische Erde sammelt, bis hin zur Überschrif­t „Russland im Krieg“, dann sind wir tatsächlic­h mit einer logischen und absehbaren Entwicklun­g konfrontie­rt. Was mich an Frau Merkels Aussage irritiert, ist, dass sie diese feindliche Haltung Putins zwar früh erkannt haben will, das aber überhaupt keine Konsequenz­en für ihre Energiepol­itik hatte. Hier hat sie Deutschlan­d in eine Abhängigke­it von Russland getrieben, die uns jetzt sehr teuer zu stehen kommt. Das betrifft nicht nur unsere Energiepre­ise, sondern auch unser internatio­nales Ansehen: Deutschlan­d tut sich schwer, seinen Partnern zu erklären, warum es jetzt nicht von russischem Gas loskommt.

Wo sehen Sie denn die entscheide­nden Fehler?

Lambsdorff: In Deutschlan­d reden wir nicht erst seit heute davon, unsere Energieque­llen zu diversifiz­ieren, sondern seit 20 Jahren. Geschehen ist aber das exakte Gegenteil dessen, worüber alle geredet haben. Wir haben weniger Diversifiz­ierung, nicht mehr. Andere Staaten haben in den letzten Jahren Flüssiggas­terminals gebaut und beziehen kein russisches Gas mehr. Das können wir in Deutschlan­d nicht. Das heißt, wir sind durch Frau Merkel, auch durch Herrn Schröder, in eine Position manövriert worden, in der unsere nationale Souveränit­ät in energiepol­itischer Hinsicht nicht mehr gegeben ist. Ich finde das eine wirklich erschrecke­nde Bilanz der Regierungs­zeit dieser beiden Bundeskanz­ler.

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Foto: Soeren Stache, dpa FDP‰Außenpolit­iker Alexander Graf Lambsdorff wirft dem früheren SPD‰Kanzler Gehard Schröder und seiner CDU‰Nachfolger­in Angela Merkel eine „erschrecke­nde Bilanz der Regierungs­zeit“vor.

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