Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was bringt ein Verbot des Verbrennun­gsmotors?

Das Votum des Europäisch­en Parlaments, ab 2035 keine Verbrenner mehr neu zuzulassen, sorgt für Diskussion­en. Während Politikern und Lobbyisten der Schritt zu weit geht, weisen Experten darauf hin, dass es allein mit einem Verbot noch längst nicht getan se

- VON MARGIT HUFNAGEL

Wenn es um das Thema Verbrennun­gsmotor geht, werden die ganz schweren verbalen Waffen ausgepackt. Mit dem geplanten EUweiten Verkaufsve­rbot ab dem Jahr 2035 bereite das Europäisch­e Parlament „wohl die Deindustri­alisierung des Kontinents vor“, ärgert sich der frühere Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU). Die Automobil-Lobbyistin Hildegard Müller spricht von einer Entscheidu­ng „gegen die Bürger, gegen den Markt, gegen Innovation und gegen moderne Technologi­en“. Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing will seine Zustimmung verweigern. Und doch ist der Wandel kaum mehr aufzuhalte­n.

Zwar müssen tatsächlic­h die einzelnen Nationalst­aaten dem Beschluss noch zustimmen – aber dieser Schritt braucht nicht einstimmig zu erfolgen. Dass es Deutschlan­d gelingt, das Vorhaben zu stoppen, ist daher unwahrsche­inlich, einzig einige Ausnahmen könnten noch in den Beschluss reinverhan­delt werden. Damit ist einer der massivsten politische­n Eingriffe auch in die deutsche Wirtschaft so gut wie sicher – eine industriel­le und mobilitäts­technische Zeitenwend­e.

Die Bevölkerun­g blickt mit zumindest gemischten Gefühlen auf das Thema. Viele Experten hingegen sehen in dem politische­n Bekenntnis einen Schritt in die richtige Richtung. „Der größte Vorteil der Entscheidu­ng ist, dass so die Autoindust­rie und auch die Kunden Planungssi­cherheit erhalten“, beurteilt Weert Canzler vom Wissenscha­ftszentrum für Sozialfors­chung in Berlin die Entscheidu­ng. „Die Elektromob­ilität ist gesetzt.“Damit sei klar, dass Verbrenner Auslaufmod­elle seien. „Gut ist auch, dass jetzt die Ideologie der Technologi­eoffenheit zerbröselt ist“, sagt Canzler. „Es kann und wird jetzt alles schneller gehen.“Denn das EU-Parlament hat der Nutzung synthetisc­her Kraftstoff­e quasi eine Absage erteilt. Die Antriebswe­nde werde so an Fahrt gewinnen – für Canzler die Voraussetz­ung für eine klimavertr­ägliche Mobilität. Tatsächlic­h sind es auch die Automobilh­ersteller, die erstaunlic­h gelassen reagieren. Es sei ein „ambitionie­rtes, aber erreichbar­es Ziel“formuliert worden, hieß es bei VW. „Die Wende zur Elektromob­ilität ist unumkehrba­r. Sie ist die ökologisch, technologi­sch und wirtschaft­lich einzig sinnvolle Möglichkei­t, um Verbrennun­gsmotoren schnellstm­öglich zu ersetzen.“

Der Verkehrsse­ktor ist laut Bundesregi­erung nach der Energiewir­tschaft und der Industrie mit rund 20 Prozent CO2-Ausstoß der drittgrößt­e Verursache­r von Treibhausg­asemission­en. Für etwa 61 Prozent davon seien Benzin- und Diesel-Pkw, für 36 Prozent Lkw verantwort­lich. Seit 1995 ist der CO2-Ausstoß des Personenve­rkehrs nicht gesunken, obwohl die Fahrzeuge energieeff­izienter sind. Rund 48 Millionen Verbrenner-Pkw sind allein in Deutschlan­d unterwegs. Dabei verursacht ein Elektrofah­rzeug der Kompaktkla­sse über den gesamten Lebensweg bis zu 30 Prozent weniger Treibhausg­ase als ein vergleichb­ares Benzin- oder Dieselfahr­zeug. „Elektrofah­rzeuge sind die aus heutiger

Perspektiv­e effiziente­sten Antriebe, die entspreche­nd schonend mit dem verfügbare­n Energieang­ebot umgehen“, urteilen Thomas Grube und Detlev Stolten, beide Mobilitäts­experten am Forschungs­zentrum Jülich. Denn E-Autos würden weniger (erneuerbar­e) Energien benötigen als Fahrzeuge, die etwa mit synthetisc­hen Kraftstoff­en angetriebe­n werden.

„Bezogen auf einen Mittelklas­sePkw wird bei Nutzung synthetisc­her flüssiger Kraftstoff­e in Verbrennun­gsmotoren im Vergleich zum Batterie-Pkw rund sieben Mal mehr erneuerbar­e Energie je Kilometer benötigt“, rechnen Stolten und Grube vor. Allerdings sei die Umstellung des Fahrzeugbe­standes ein langwierig­er Prozess. Denn die EU will zwar Neuwagen mit Verbrennun­gsmotor verbieten, alle Autos, die bis 2035 im Verkehr sind, dürfen aber weitergefa­hren werden. Auch der Handel mit Gebrauchtf­ahrzeugen ist nicht betroffen. Man geht davon aus, dass heute Autos eine Lebensdaue­r von im Schnitt 14 Jahren haben. Die Folge: „Trotz Verbrenner­verbot müssten 2045 noch immer zwei Millionen Pkw mit kohlenstof­fhaltigen Kraftstoff­en versorgt werden“, so Stolten und Grube.

Auch deshalb mahnen Experten, dass der Plan der EU nur ein Mosaik in einem viel größeren Bauwerk für den Umweltschu­tz sein kann. „Eine klimavertr­ägliche Mobilität ist mehr als die Antriebswe­nde“, sagt Weert Canzler. Deutschlan­d brauche eine viel größere Effizienz im Verkehr. „Das geht nur mit weniger Autos“, sagt er. Dafür müssten aus seiner Sicht Privilegie­n des Autos abgebaut werden. Das Hauptprivi­leg sieht er im kostengüns­tigen Parken im öffentlich­en Raum. „Der Hebel ist daher: Parken muss spürbar kosten. Nicht nur das: Die Verkehrsfl­ächen des Autos müssen teilweise entsiegelt und gerade in Städten zugunsten seiner Alternativ­en umverteilt werden“, sagt er. „Wer sichere

Fahrradweg­e sät, erntet Fahrradver­kehr.“An die Notwendigk­eit weiterer Regeln glaubt auch Claus Doll, Leiter des Kompetenzz­entrums für Energietec­hnologien und Energiesys­teme am Fraunhofer-Institut in Karlsruhe. Treibhausg­ase hätten eine lange Verweilzei­t in der Atmosphäre, deshalb sei die Treibhausg­asneutrali­tät bis 2045, die die EU anstrebt, nicht realistisc­h, wenn weiter alte Verbrenner auf den Straßen unterwegs seien. Doll nennt einige weitere Steuerungs­instrument­e, auf die die Politik setzen könnte: Steuern und Abgaben auf Verbrenner­autos sowie auf Kraftstoff­e, CO2-Gebühren, die Verbesseru­ng des ÖPNV, der Umbau von Städten, Informatio­nskampagne­n. Allein ein Verkaufsve­rbot, so der Experte, reiche jedenfalls nicht.

Ohnehin ist das Vorhaben des Europäisch­en Parlamente­s nur auf den ersten Blick ambitionie­rt. In manchen Ländern gibt es bereits seit einiger Zeit ein Ausstiegsd­atum, das deutlich vor dem Jahr 2035 liegt: Norwegen zum Beispiel will ab 2025 keine Verkäufe von Fahrzeugen mit klassische­n Benziner- oder Dieselantr­ieben mehr zulassen. Großbritan­nien, Schweden, Dänemark, die Niederland­e und Belgien peilten dafür zuletzt das Jahr 2030 an.

 ?? Foto: Alexander Rüsche, dpa ?? Der Verbrenner soll schon bald Geschichte sein.
Foto: Alexander Rüsche, dpa Der Verbrenner soll schon bald Geschichte sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany