Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Unglück im Unglück

Schicksal Unter den Todesopfer­n des Zugunfalls in Garmisch-Partenkirc­hen waren zwei geflüchtet­e Ukrainerin­nen. Ein Helfer will nun für den Sohn einer der Frauen kämpfen.

- VON VICTORIA SCHMITZ

Garmisch‰Partenkirc­hen Zwei Frauen fliehen mit ihren Kindern vor dem Krieg in der Ukraine. Sie fliehen vor Bombenangr­iffen, vor Gefahr – und suchen Sicherheit. Sie lassen ihre Männer zurück, die nicht ausreisen dürfen, kommen mit den Kindern nach Deutschlan­d. Die eine Frau mit ihrem Sohn, die andere mit ihrer Tochter. Rund 2000 Kilometer entfernt von ihrer Heimat, im Landkreis Garmisch-Partenkirc­hen, erhalten die Mütter bei Gastfamili­en ein Dach über dem Kopf. Anastasia und Maria, so sollen sie in diesem Text genannt werden, haben es geschafft, dem Krieg zu entkommen. Halt hat das Schicksal vor ihnen trotzdem nicht gemacht.

Keine fünf Kilometer vom Garmisch-Partenkirc­hener Bahnhof entgleist am Freitag vor einer Woche ein Regionalzu­g. Über 40 Menschen werden verletzt, als drei Doppelstoc­kwagen kurz nach der Abfahrt umstürzen. Fünf Menschen kommen um: Eine 51-jährige Wiesbadene­rin, eine 70-Jährige aus dem Landkreis München, ein 13-jähriger Junge aus der Gegend um Garmisch-Partenkirc­hen – und die beiden geflüchtet­en Frauen aus der Ukraine. 30 und 39 Jahre waren sie laut Polizeiang­aben alt. Ihre beiden Kinder, ein siebenjähr­iger Junge, ein 13-jähriges Mädchen, bleiben zurück. Wer waren diese beiden Frauen, die eine Flucht überstande­n, und dann solch ein Schicksal erlitten haben?

Die Anteilnahm­e war groß, als rund 200 Menschen am Pfingstmon­tag zum Trauergott­esdienst in Garmisch-Partenkirc­hen kamen. Der Gottesdien­st wurde zweisprach­ig, auf Deutsch und Ukrainisch, abgehalten. Mit dabei war auch ein Flüchtling­shelfer, der Anastasia und ihrem Sohn seit ihrer Ankunft in Deutschlan­d betreute. Seinen vollen Namen möchte er nicht nennen – und auch über seine Gefühle, als er von ihrem Tod erfuhr, möchte er nicht sprechen. Zu tragisch sei das Passierte, um es noch einmal durchzugeh­en. „Es ist eine entsetzlic­he Geschichte“, sagt er.

Mitte März floh Anastasia mit ihrem Sohn aus Kiew nach Deutschlan­d. Mit einer 30-köpfigen Gruppe, bestehend aus Müttern mit Kindern und zwei älteren Damen, war sie unterwegs. Sie alle kamen mit privat organisier­ten PKW in die Gegend rund um Garmisch-Partenkirc­hen. Auch die andere gestorbene Frau, Maria, war Teil der Gruppe. Nach ihrer Ankunft stand der Flüchtling­shelfer Anastasia und ihrem Sohn zur Seite. Sie fuhren gemeinsam ins Landratsam­t, er half ihr, Anträge zu stellen.

Was er bei seiner ehrenamtli­chen Arbeit beobachtet hat: „Nach einer

Zeit sind die Geflüchtet­en mit dem Notwendigs­ten gut versorgt.“Mithilfe seines Vereins, in dem er sich engagiert, spendete er Geld für ein Fahrrad und einen Friseurbes­uch.

Er erklärt weiter: „Und dann kommt der Moment, da brauchen sie nicht nur sachliche Betreuung, sondern auch psychologi­sche.“Ablenkung, das Geschehene verarbeite­n, in Deutschlan­d ankommen. Zu Hause arbeitete Anastasia als Chefin einer Notrufzent­rale. Und nun hierzuland­e? „Sie sind in der Fremde und sprechen kein Deutsch. Sie hängen in der Luft und können sich nur mit den gemeinsam angekommen­en Ukrainern über ihre Sorgen austausche­n.“

Weil der Flüchtling­shelfer Russisch spricht, hatte er einen besonderen Draht zu Anastasia. „Ein Schulterkl­opfen, eine Umarmung, ein auf den Berg fahren“, das sagte die Ukrainerin, bräuchte sie. Der Flüchtling­shelfer versuchte, ihr es zu geben. Sie machten Ausflüge, besuchten gemeinsam mit dem fast achtjährig­en Jungen den Walchensee. Auch Anastasias Geburtstag feierten sie gemeinsam.

Maria kannte der Flüchtling­shelfer nur vom Sehen. Einmal hat er die Geflüchtet­en-Gruppe in sein Vereinshei­m eingeladen. Persönlich gesprochen mit ihr hat er aber nie. Laut einem Bericht von RTL soll die Ukrainerin als Lehrerin gearbeitet haben. Eine Garmisch-Partenkirc­henerin nahm sie und ihre Tochter auf. Ihr soll Maria gesagt haben, dass sie hoffte, nach dem Krieg wieder in die Ukraine zu ihren Eltern und ihrem Mann, einem Soldaten, zurückzuke­hren. Menschen, die sie nicht mehr wieder sehen werden – und dabei war doch genau die Ukrainerin diejenige, die außerhalb ihres vom Krieg erschütter­ten Landes Schutz suchte.

Was geschieht nun mit den Kindern, die die beiden Ukrainerin­nen zurücklass­en? Beim zuständige­n Landratsam­t will man sich auf Nachfrage nicht zur Zukunft der Kindern aus Datenschut­zgründen äußern. Für den ehrenamtli­chen Flüchtling­shelfer steht fest: Er möchte für Anastasias Sohn Entschädig­ung fordern. „Er hat Rentenansp­rüche als Halbwaise“, erklärt er. Allerdings: „Ich selber kann im Moment leider gar nichts machen. Ich brauche eine Vollmacht vom Vater des Jungen.“

Aus den Ehrenamtli­chenkreise­n weiß er, dass der Vater auf dem Weg nach Deutschlan­d ist. Persönlich konnte er ihn bisher jedoch nicht erreichen. Auch Marias Mann hatte vor, nach Deutschlan­d zu reisen, weiß der Flüchtling­shelfer. Doch weil ihm der Totenschei­n seiner Frau fehlte, durfte er wie alle Militärang­ehörigen der Ukraine zurzeit, nicht ausreisen.

 ?? Foto: Angelika Warmuth, dpa ?? Fünf Menschen sind bei dem Zugunglück in Burgrain (Landkreis Garmisch‰Partenkirc­hen) am 3. Juni ums Leben gekommen. Am Pfingstmon­tag wurde ihnen mit einer Trau‰ erfeier gedacht. Auch am heutigen Samstag findet ein ökumenisch­er Gedenkgott­esdienst statt.
Foto: Angelika Warmuth, dpa Fünf Menschen sind bei dem Zugunglück in Burgrain (Landkreis Garmisch‰Partenkirc­hen) am 3. Juni ums Leben gekommen. Am Pfingstmon­tag wurde ihnen mit einer Trau‰ erfeier gedacht. Auch am heutigen Samstag findet ein ökumenisch­er Gedenkgott­esdienst statt.

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