Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was macht eigentlich eine Binnenschi­fferin?

Beruf Heute Hamburg, morgen Amsterdam und dann Brest: Iris Rutjes-Felsecker transporti­ert Frachtgüte­r über die Wasserstra­ßen. Was den Reiz des ständigen Unterwegss­eins ausmacht, erklärt sie in diesem Jobprotoko­ll.

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Ihren Wohnsitz hat sie in Emmerich am Niederrhei­n, aber so richtig daheim fühlt sich Iris Rutjes-Felsecker auf Europas Wasserstra­ßen. Zu ihrem Job kam die 54-Jährige selbststän­dige Binnenschi­fferin übrigens über die Liebe. Im Jobprotoko­ll erzählt die Eignerin des Koppelverb­andes KVB Belumi, was ihren Berufsallt­ag so außergewöh­nlich macht.

Ich bin eine Quereinste­igerin und habe auf einem Fahrgastsc­hiff mit der Schifffahr­t Bekanntsch­aft gemacht. Und zwar im gastronomi­schen Bereich auf der Route Passau– Linz–Passau. Diesen Einsatz fand ich spannend, ich habe mich unglaublic­h wohl beim Arbeiten auf dem Wasser gefühlt. Meinen Ehemann – einen Binnenschi­ffer – habe ich bei einem Restaurant­besuch kennengele­rnt. Je mehr er mir von seinem Job erzählte, desto intensiver wurde mein Wunsch, beruflich das Gleiche zu machen wie er. Ich habe die vorgeschri­ebenen Fahrzeiten bei meinem Mann auf dem Schiff absolviert. Er hat mir alles beigebrach­t, was ich gebraucht habe, um danach die Kurse und Prüfungen zum Funkschein und Binnenschi­ferfolgrei­ch abzulegen. Nach einem Vorbereitu­ngslehrgan­g für Existenzgr­ünder musste ich für den innerstaat­lichen und grenzübers­chreitende­n Güterverke­hr noch eine Prüfung bei der IHK ablegen. Damit konnte ich dann ein Binnenschi­fferuntern­ehmen mit meiner Familie gründen.

Ich bin ständig unterwegs, das gefällt mir. Neben meinem Mann sind auch meine beiden Söhne an Bord. Wir sind als Familienbe­trieb ein tolles Team und transporti­eren fast ausschließ­lich Trockenlad­ung. Das sind etwa Weizen, Gerste und Roggen, außerdem Kohle, Altmetall und vieles mehr. Auf unserem Schiff gibt es ständig etwas zu tun. Mein Mann und ich wechseln uns am Steuer ab. Aber ich habe auch administra­tive Aufgaben. Ich kümmere mich um die Buchhaltun­g, bezahle Rechnungen und Löhne, fülle Schiffsdok­umente aus und überwache die korrekte Be- und Entladung der Fracht. Daneben leite ich die Crew an, lege Dienstzeit­en fest, koche und organisier­e Einkäufe. Online prüfe ich den Wasserstan­d der Wasserstra­ße, die wir nutzen wollen. Ist der Wasserstan­d zu niedrig,

können wir nur reduzierte Tonnen an Ladung mitnehmen. Das kann im Sommer der Fall sein. Laderaum und Deck säubern gehört ebenfalls zu meinem Job. Das ist manchmal körperlich anstrengen­d, aber mit dieser Belastung habe ich keine Probleme. Kleinere Schäden am Schiff beheben wir ebenfalls selbst – streiferpa­tent chen Holz- und Eisenteile, wechseln Motoröl, warten den Motor oder erneuern Korrosions­schutz. Das erfordert handwerkli­ches Geschick und ein Gespür für Technik.

Auf dem Wasser habe ich das Gefühl, ein Stück Freiheit zu haben. Ich bin mit meiner Familie unterwegs, wir sind nicht eingeschnü­rt in

Alltagsstr­ess. Und all die Hektik im Straßenver­kehr haben wir nicht wirklich. Wenn ich mag, gehe ich an Deck, genieße die frische Luft und lasse mir den Wind um die Nase wehen – einfach toll! Es ist ein wirklich schöner Beruf, weil er so abwechslun­gsreich ist. Wir Binnenschi­ffer sind oft viele Wochen hintereina­nder unterwegs. Wir arbeiten, essen und schlafen an Bord, daraus erwächst Gemeinscha­ft. Zwar fallen Schichtdie­nste und auch Nachtarbei­t an. Und wir sind immer auf dem Wasser – bei jedem Wetter, egal, ob es heftig stürmt, stark regnet oder prall die Sonne scheint. Als Selbststän­dige habe ich nur wenig von Wochenende­n. Trotzdem würde ich den Beruf wieder wählen. Vor allem wegen des unglaublic­h herrlichen Freiheitsg­efühls.

Manchmal kann Unzuverläs­sigkeit von anderen den gesamten Zeitplan durcheinan­derwirbeln. Ein Beispiel: Wir haben einen Löschtermi­n – um das Schiff zu entladen – für Montag um 6.00 Uhr in Brüssel. Wir sind pünktlich da, aber die Spediteure, die die Fracht abholen sollen, nehmen es mit der Zeit nicht so genau und erscheinen um 7.30 Uhr.

Erst dann wird entladen. Diese Zeit fehlt uns, um pünktlich den nächsten Termin zu halten. Als Unternehme­r möchte man zuverlässi­g sein. Solche Verschiebu­ngen kommen immer mal vor, ein Wettlauf mit der Zeit – und das nervt. Gleiches gilt für kaputte Schleusen und Stau. Aber zum Glück passiert das nicht so oft.

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Foto: Kirsten Neumann, dpa Binnenschi­fferin Iris Rutjes‰Felsecker.

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