Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zeitenwend­e in der Landwirtsc­haft: Es geht wieder ums Sattwerden

Leitartike­l Im Spannungsf­eld zwischen Klimaschut­z, Lebensmitt­elversorgu­ng und Preisdruck brauchen die Bauern den Rückhalt der Politik. Jetzt kommt es auf Cem Özdemir an.

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

Ohne Landwirte wärt ihr hungrig, nackt und nüchtern – der Spruch, der sich auf Aufklebern an manchem Traktor findet, den selbstbewu­sste Jungbäueri­nnen und -bauern auf T-Shirts tragen, bringt es auf den Punkt. Vom Frühstück übers Mittagesse­n bis zum Feierabend­bier geht nichts ohne die Erzeugniss­e der heimischen Höfe. Hier entstehen wertvolle Lebensmitt­el und andere wichtige Rohstoffe.

Doch wer in den vergangene­n Jahren die agrarpolit­ische Diskussion verfolgt hat, konnte einen ganz anderen Eindruck gewinnen. Da war zumeist von Natur-, Umwelt-, Klima-, Tier- und Artenschut­z die Rede; nicht zu Unrecht, aber vielleicht zu einseitig. Dabei braucht auch die Landwirtsc­haft selbst Schutz, wie das massenhaft­e Höfesterbe­n zeigt.

Während die Preise für Milch, Getreide oder Fleisch immer weiter in den Keller rutschten, wurden die Landwirte mit Ansprüchen überfracht­et, sollten immer mehr gesamtgese­llschaftli­che Aufgaben übernehmen. Damit wurden sie von der Politik nicht nur alleingela­ssen, sondern auch noch mit überborden­der Bürokratie belastet.

Die Debatte drehte sich nicht um gesunde Lebensmitt­el, sondern um das kranke Brüsseler Subvention­swesen, Auswüchse in „Agrarfabri­ken“oder darum, dass die Zukunft angeblich nur noch in der Energiepro­duktion liege oder in der Landschaft­spflege.

Das Wesentlich­e geriet darüber in Vergessenh­eit. So, wie viele Politikeri­nnen und Politiker glaubten, die Bundeswehr werde für die nationale Sicherheit heute eigentlich nicht mehr gebraucht, schienen manche anzunehmen, auf einem durchgloba­lisierten Markt sei eine zuverlässi­ge Lebensmitt­elversorgu­ng kein Thema mehr. So bedeutet der Krieg in der Ukraine auch für die deutsche Landwirtsc­haft eine Zeitenwend­e. Plötzlich werden

Nahrungsmi­ttel immer teurer. Manche Waren werden knapp, einige sind zeitweise ausverkauf­t. Im ärmeren Teil der Welt drohen ungeheure humanitäre Katastroph­en, weil Getreideli­eferungen aus der Kornkammer Ukraine ausbleiben. Russland blockiert gnadenlos die Ausfuhren und betreibt Machtpolit­ik mit dem Hunger von Abermillio­nen Menschen.

Vom gestiegene­n Bewusstsei­n für den Wert gesunder Lebensmitt­el hat die Mehrzahl der deutschen Höfe zunächst einmal wenig. Das bisschen, das dort – wenn überhaupt – von den höheren Preisen im Supermarkt ankommt, wird durch die ebenfalls explodiert­en Kosten für Treibstoff oder Dünger aufgefress­en. Die großen Handelsket­ten diktieren weiter gnadenlos die Preise, landwirtsc­haftliche Güter sind gerade jetzt auch Gegenstand von Spekulatio­n. Ein grüner Agrarminis­ter stellt neue Ansprüche an Tierwohl und Umweltschu­tz, Ökoflächen werden trotz Lebensmitt­elknapphei­t nur für Tierfutter freigegebe­n, nicht für Getreide.

Beim Deutschen Bauerntag in Lübeck an diesem Dienstag hat

Cem Özdemir nun die Chance, der Landwirtsc­haft aufzuzeige­n, wie ein Weg aus dieser epochalen Krise aussieht und künftige Krisen besser gemeistert werden. Er muss klarmachen, wie die Bundesregi­erung den Weg zu einer natur- und klimafreun­dlicheren Landwirtsc­haft gerade in diesen Zeiten begleiten und unterstütz­en will.

Gesunde, zukunftsfä­hige bäuerliche Familienbe­triebe, die sorgsam mit Vieh und Feld umgehen, sind ein Wert an sich, denn es geht letztendli­ch ums Wesentlich­e: ums Sattwerden. Für die Regierung kann die Konsequenz aus der Ukraine-Krise nur eine Politik sein, die Landwirtsc­haft nicht länger als Problemfel­d sieht. Sondern als Acker, auf dem die Lösungen und Chancen für die Zukunft gedeihen.

Die Handelsket­ten diktieren weiter gnadenlos die Preise

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