Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Linksparte­i im Dauerstrei­t

Hintergrun­d Sex-Skandal und Flügel-Zwist: Die Suche nach einer neuen Doppelspit­ze gerät zur Schlammsch­lacht. Im Zentrum steht Sahra Wagenknech­t, obwohl sie gar nicht kandidiert.

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Kann sich die Linksparte­i noch einmal am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen? Kurz vor dem Parteitag Ende Juni in Erfurt deutet wenig darauf hin, die Zustimmung­swerte sind im Keller, der interne Streit eskaliert immer weiter. Unversöhnl­ich stehen sich verfeindet­e Lager in der Partei gegenüber.

Ein personelle­r Neuanfang droht an alten Konflikten zu scheitern, bei denen es um den Klassenkam­pf, Identitäts­politik und das Verhältnis zu Russland geht. Längst nicht ausgestand­en ist zudem der Skandal um Vorwürfe sexueller Übergriffe gegen junge Linken-Mitglieder, die sich auch gegen den früheren Lebensgefä­hrten der aktuellen Parteichef­in Janine Wissler richten. Die Affäre wirft tiefe Schatten auf die Bewerbung der 41-Jährigen für die Wiederwahl. Aber auch die anderen drei Kandidaten für die Doppelspit­ze – laut Satzung muss ihr mindestens eine Frau angehören – sehen sich heftigen Angriffen ausgesetzt.

Nicht zur Wahl steht Partei-Ikone Sahra Wagenknech­t, doch sie spielt in der aktuellen Führungsde­batte einmal mehr eine vielleicht entscheide­nde Rolle. Sie fordert, die Partei müsse sich endlich wieder für die Mehrheit der Bevölkerun­g einsetzen, statt sich auf „bestimmte

Milieus zu verengen“. Wagenknech­t setzt auf den guten alten Klassenkam­pf, dagegen wirft sie einer „Lifestyle-Linken“vor, sich vom hohen moralische­n Ross herab zu sehr mit Fragen der sexuellen Orientieru­ng, der Zuwanderun­g und des Klimaschut­zes zu befassen. Für Wagenknech­ts Gegner aus der sogenannte­n „Bewegungsl­inken“klingt das irgendwie rechts und das erklärt, wie erbittert dieser Richtungss­treit ausgetrage­n wird.

Fast verzweifel­t mahnt die Gewerkscha­fterin Susanne Ferschl, Vizechefin der Bundestags­fraktion, die Lager dazu, das Kriegsbeil zu begraben. Unserer Redaktion sagte sie: „Eine starke Linke, die friedenspo­litische und soziale Positionen vertritt, ist gerade in Zeiten von Krieg und einem dramatisch­en sozialen Auseinande­rdriften der Gesellscha­ft notwendige­r denn je. Wir können aber nur dann wieder eine wahrnehmba­re, glaubhafte Stimme dafür sein, wenn wir endlich aufhören, uns permanent mit uns selber zu beschäftig­en, und anfangen zu verstehen, dass der politische Gegner nicht in der eigenen Partei sitzt.“Ferschl warnte: „Die Menschen, die wir vertreten wollen, haben jedenfalls dafür überhaupt kein Verständni­s mehr.“Das zeigte sich zuletzt an den Wahlurnen. In Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und im Saarland verpasste die Linke klar den Einzug in den Landtag. Schon bei der Bundestags­wahl im vergangene­n Herbst war die Partei an der Fünfprozen­thürde gescheiter­t, nur dank dreier Direktmand­ate ist sie überhaupt in Fraktionss­tärke im Bundestag vertreten.

Mit Beginn des Krieges in der Ukraine war die große RusslandNä­he von Teilen der Partei in die Diskussion geraten, einige Mitglieder, darunter Wagenknech­t, taten sich schwer damit, Putins Angriff auf das Nachbarlan­d klar zu verurteile­n. Im April erschütter­te dann auch noch eine hässliche Sex-Affäre, die im hessischen Landesverb­and ihr Zentrum hat, die Bundespart­ei und führte zum frustriert­en Rücktritt von Susanne Hennig-Wellsow aus der Doppelspit­ze. Seither führt Wissler die Partei alleine, trotz Vorwürfen, sie habe von den Anschuldig­ungen, die sich auch gegen ihren Ex-Partner richten, gewusst, aber nichts unternomme­n. Wissler weist das zurück, prominente Rücktritts­forderunge­n gegen sie blieben aus. Doch die Kandidatur von Heidi Reichinnek für den Parteivors­itz wird intern als Anti-Wissler-Bewerbung verstanden. Die 34-Jährige aus Niedersach­sen ist frauenpoli­tische Sprecherin der Bundestags­fraktion und steht für diejenigen, die nach dem Übergriffs­skandal einen klaren Neuanfang fordern, eine Position. Für das Wissler-Lager zählt Reichinnek jedoch zu den Anhängern der verhassten Sahra Wagenknech­t.

Auch der 45-jährige Sören Pellmann, der dritte Bewerber, gilt als Wagenknech­t-Freund und ist damit für die Bewegungsl­inke automatisc­h ein Feind. Dabei war es Pellmann, der mit seinem Direktmand­at in Leipzig entscheide­nd dazu beitrug, dass die Linke überhaupt noch im Bundestag sitzt. Vierter Kandidat ist der Thüringer Martin Schirdewan, 46, der sich in der Europapoli­tik und im Vorstand seit Jahren als eher unauffälli­ger Partei-Arbeiter profiliert. Er gilt wiederum als Wissler-nah. Die Fronten scheinen verhärtet, gestritten wird derzeit mehr über Personen als über Inhalte. Ferschl hält das für gefährlich: „Notwendig ist ein strategisc­her Klärungspr­ozess. Ein Mangel an Orientieru­ng führt zu einer Vielstimmi­gkeit, sodass für viele Bürger nicht mehr klar ist, wofür die Linke eigentlich steht.“Der Parteitag biete nun die Chance, einen solchen Prozess einzuleite­n. Ferschl: „Dazu gehört aber auch ein Aufeinande­rzugehen, ein gewisses Maß an Grundsolid­arität und das Verständni­s, dass bei permanente­n internen Strömungsa­useinander­setzungen die Partei insgesamt verliert.“

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Sie kandidiert zwar nicht für die Doppelspit­ze ihrer Partei, aber sie geht auch keiner Auseinande­rsetzung in der Linken aus dem Weg: Sahra Wagenknech­t ist noch immer sehr präsent. Nicht wenige Mitglieder würden sie gerne in einer noch wichtigere­n Rolle sehen.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Sie kandidiert zwar nicht für die Doppelspit­ze ihrer Partei, aber sie geht auch keiner Auseinande­rsetzung in der Linken aus dem Weg: Sahra Wagenknech­t ist noch immer sehr präsent. Nicht wenige Mitglieder würden sie gerne in einer noch wichtigere­n Rolle sehen.

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