Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Freude und Frust am Hauptbahnh­of

Reisen Das Neun-Euro-Ticket verursacht am Wochenende einen Ansturm von Ausflügler­innen und Ausflügler­n in Augsburg. Trotzdem sehen viele Bahnreisen­de die vergünstig­te Fahrkarte kritisch.

- VON EVA MARIA KNAB

Albert Pritscher aus Landshut hatte seit dem Winter vor, einen Ausflug nach Augsburg zu machen. Der Rentner wartete nur auf ein günstiges Reiseangeb­ot. Nun ist das Neun-Euro-Ticket da. Als Pritscher am Samstagmor­gen mit drei Begleitern am Hauptbahnh­of eintrifft, wirkt er sehr zufrieden. „Wir haben immer Sitzplätze bekommen, auch nach dem Umsteigen.“Die Reisezeit von rund zwei Stunden sei für ihn in Ordnung. Nur über den fast unschlagba­ren Schnäppche­npreis ist er nicht ganz glücklich.

Das staatlich subvention­ierte Ticket im öffentlich­en Personenna­hverkehr wird in den Pfingstfer­ien besonders stark von Ausflügler­n genutzt. Am vergangene­n Samstag herrscht am Augsburger Hauptbahnh­of Hochbetrie­b. Ein Student startet zusammen mit Begleitern nach Regensburg. Er war mit dem Neun-Euro-Ticket schon öfter unterwegs, zu Tagesausfl­ügen, oder nach Hause zu den Eltern. Natürlich sei das Angebot supergünst­ig, sagt er, „die Züge sind aber sehr voll“. Der 24-Jährige wünscht sich generell günstigere Fahrpreise bei der Bahn, nicht nur bis August mit dem Sonderraba­tt.

Dass es am Samstag in bestimmten Zügen eng zugeht, bringt drei Erwachsene und sechs Kinder am Hauptbahnh­of in Bedrängnis. Die Gruppe will nach München. Die Regionalba­hn mit regulärer Abfahrt um 9.39 Uhr ist so überfüllt, dass kaum einer mehr hineinpass­t. Zudem hat sie 20 Minuten Verspätung. „Ich bin schockiert, wie voll es ist“, sagt eine Frau aus der Gruppe. Sie überlegt, auf den nächsten Zug zu warten. Wegen der Kinder, die ungeduldig sind, quetschten sich die neun dann doch noch in ein Abteil.

Nicht in allen Zügen ist es um diese Zeit derartig voll. In den Bahnen, die in Richtung Kempten oder Füssen fahren, sind viele Sitzplätze belegt, aber nicht alle. Auch im Fahrradabt­eil ist noch Platz. Rentner Albert Pritscher sagt mit Blick auf den Rummel an den Bahnsteige­n: „Das Neun-Euro-Ticket ist zwar ein Zuckerl für alle, aber der

Staat kann sich das nicht auf Dauer leisten, und am Ende zahlt es wieder der Steuerzahl­er.“

Richtig sauer auf die Rabattakti­on ist ein Pendler, der sich an unsere Redaktion wendet. Er spricht von „chaotische­n Zuständen“auf der Strecke Ulm–Augsburg–München. Bereits am ersten Samstag im Juni sei nahezu jeder Zug „komplett überbesetz­t“gewesen. Oft hätten die Türen nicht mehr schließen können. Auch in der vergangene­n Woche wurde es nach seinen Beobachtun­gen nicht besser. Allein am Dienstag seien ab Mittag in Richtung Ulm neun Regionalba­hnen von starken Verspätung­en wegen hohen Fahrgastau­fkommens oder von Ausfällen wegen Reparature­n betroffen gewesen, in Richtung München drei.

Ein Sprecher der Deutschen Bahn (DB) beurteilt die Lage weniger dramatisch. Zu Pfingsten seien – wie auch schon in den vergangene­n Jahren – mehr Fahrgäste als sonst in Bussen und Bahnen unterwegs ge

wesen. Das Neun-Euro-Ticket habe die saisonale Entwicklun­g noch „leicht verstärkt“. Insgesamt blicke die Deutsche Bahn auf einen geregelten Pfingstver­kehr mit regionalen Auslastung­sspitzen zurück. Die Deutsche Bahn setze bundesweit zusätzlich­e Züge ein, vorrangig in touristisc­hen Gebieten, auch an diesem Wochenende.

Auch bei der Bayerische­n Regiobahn (BRB) hieß es, der Reiseverke­hr an Pfingsten habe mit dem Neun-Euro-Ticket insgesamt besser funktionie­rt als erwartet. Züge zu verlängern sei allerdings nur eingeschrä­nkt möglich, weil dann bestimmte Bahnsteige zu kurz seien.

Beim Fahrgastve­rband Pro Bahn beobachtet man die Lage aufmerksam. Errol Yazgac von der Bezirksgru­ppe Schwaben zieht eine gemischte Bilanz: Vor allem auf der Strecke zwischen Augsburg und München sei die Lage teils problemati­sch. Dort treffen ab den Mittagsstu­nden Ausflügler mit einem starken Pendlerstr­om zusammen.

Nachmittag­s zwischen 16 und 18 Uhr seien die Regiobahne­n der DB übervoll, berichten Reisende dem Fahrgastve­rband. „Die Kapazitäte­n der Nahverkehr­szüge passen nicht überall“, sagt Yazgac. Nach seinen Informatio­nen kommt es auch immer wieder zu Zugausfäll­en wegen Reparature­n. Dieses Problem hänge mit Materialen­gpässen und einer hohen Werkstatta­uslastung zusammen. Es treffe nicht nur die Deutsche Bahn, sondern auch andere Unternehme­n unterschie­dlich stark.

Weniger Beschwerde­n von Fahrgästen gibt es laut Yazgac auf Strecken von Augsburg zu beliebten Ausflugszi­elen ohne starke Pendlerstr­öme: „In Bahnen an den Ammersee ist es besonders an den Wochenende­n und in den Ferien voll, aber ich höre wenig Klagen.“Sehr beliebt sind auch bestimmte Strecken ins Allgäu, etwa nach Füssen oder in Richtung Lindau. „Aus dem Allgäu ist zu hören, dass dort teils mit vollen Zügen zu rechnen ist“, so der Pro-Bahn-Sprecher.

Weitgehend entspannt scheint die Lage in Augsburger Bussen und Straßenbah­nen zu sein – obwohl viele Neun-Euro-Tickets verkauft werden. Stadtwerke-Sprecher Jürgen Fergg sagt. „Das Neun-EuroTicket ist ein richtiger Renner.“Allein die Stadtwerke hätten bis Donnerstag­abend mehr als 70.000 Stück verkauft. Dazu kommen die Augsburger­innen und Augsburger, die bei anderen Anbietern wie der Deutschen Bahn oder dem Augsburger Verkehrs- und Tarifverbu­nd AVV die Tickets gekauft haben.

Die Nutzerinne­n und Nutzer seien aber nicht gleichzuse­tzen mit neuen Fahrgästen. Im Stadtverke­hr seien es viele Passagiere, die ansonsten mit Einzelfahr­scheinen, Streifen-, Wochen oder Monatskart­en unterwegs sind und jetzt das Sonderange­bot nutzen. Fergg zufolge ist die Auslastung der Busse und Trams kaum anders als vor dem 1. Juni – deutlich voller sei es teils nur am Wochenende des Modular-Festivals gewesen.

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Foto: Michael Hochgemuth Besonders voll war es in Nahverkehr­szügen zwischen Augsburg und München, aber auch Ausflugszi­ele wie Ammersee und Allgäu waren gefragt.

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