Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Deutschland steht vor harten Verteilungskämpfen
Leitartikel Krieg, Pandemie, Inflation, Klima: die langen Aufschwungjahre sind fürs erste vorbei. Es drohen immer mehr Konflikte. Zeit für wichtige Weichenstellungen.
Viele Klagen über Ungerechtigkeiten klingen wie Vorboten einer unangenehmen Zukunft: Menschen in Rente gehen beim Energiegeld leer aus. Mineralölkonzerne kassieren einen dicken Batzen der Steuerentlastung bei den Spritpreisen für sich ein. Die Abschaffung der Ökostromumlage als Ausgleich für Klimaabgaben verglüht in steigenden Strompreisen. Wohnungskonzerne denken laut über Mieterhöhungen nach. Die Inflation frisst vergangene Lohn- und Rentenerhöhungen auf. Und die Vermögensungleichheit wächst auch in Pandemiezeiten.
Hinter diesen Phänomenen steht eine Kette kaum enden wollender Krisen, die sich in Flugzeuggeschwindigkeit um die Welt verbreiten. Lange war bei der Globalisierung in der Gewinn- und Verlust-Rechnung der Ertrag größer als die Kosten. Effizienz durch billige Produktion in fernen Ländern und neue Märkte ließen hier wie dort Wohlstand wachsen. Doch ab einem gewissen Punkt wird das System, immer auf das günstigste Angebot zu setzen, verletzlicher und krisenanfälliger. Ein Beispiel war, als die weltweit nach China outgesourcte Schutzmaskenproduktion ausgerechnet im Moment einer Pandemie zusammenbrach. Ähnliches erlebt Deutschland mit seiner Politik, als Hauptenergiequelle auf billiges Gas aus Russland zu setzen. Krieg, Pandemie, Inflation, Klima: Inzwischen jagt eine Krise die nächste und die Krisenanfälligkeit als Kehrseite der Globalisierung frisst deren Gewinne auf.
Lange konnten Regierungen dank der Globalisierungsgewinne Konflikte mit Milliardenpaketen und niedrigen Zinsen entschärfen. Doch die hohe Inflation rund um die Welt zeigt wie ein Krankheitssymptom, dass die Krisen langsam zu viel an der Zahl werden. In den USA war es ein gut gemeintes riesiges Pandemie-Schuldenpaket für Investitionen, das die Inflation aufbrechen ließ. In Europa ist es ein an Bösartigkeit nicht zu überbietender Angriffskrieg Russlands.
Hier wie dort scheint die Politik des Gelddruckens und des Schuldenmachens an ein Ende bisheriger Möglichkeiten gekommen zu sein. Auch in Deutschland drohen ohne Niedrigzinsen als billiges Schmiermittel für den Wachstumsmotor härtere Verteilungskämpfe. Sie werden zunehmend die Mitte der Gesellschaft treffen. Auch der finanzielle Spielraum der Regierung, die Folgen der Teuerungsspirale für sozial schwächere Bevölkerungsgruppen abzufedern, wird geringer. Die Spannungen in der Gesellschaft drohen größer zu werden.
Auch außerhalb nehmen die Verteilungskämpfe zu: Schon die zaghafte Zinswende lässt alte Konflikte zwischen dem Süden und dem Norden der Eurozone aufbrechen.
Weltweit steigende Getreidepreise durch Russlands Krieg in der Kornkammer Ukraine nähren die Angst vor Konflikten in ärmeren Weltregionen: Sowohl bei der arabischen Revolution als auch der Flüchtlingskrise 2016 standen ganz am Anfang explodierende Brotpreise.
Deutschlands Politik muss sich fragen, ob auch sie sich in Umverteilungsdebatten stürzt. Am wichtigsten wäre es aber, das Land als Lehre aus der Globalisierung widerstandsfähiger gegen Krisen zu machen: Vor allem viel mehr in Bildung zu investieren, um schon von klein auf die soziale Spaltung zu überwinden. Ebenso muss das
Land bei der Digitalisierung und schnelleren Planverfahren Anschluss an die Weltspitze finden.
Es wäre Zeit für jenen Aufbruch, den die Koalition zu Beginn versprochen hatte, als sie noch dachte, über ein pralles Portemonnaie dicker Steuereinnahmen zu verfügen. Doch, ob die bereits in Lappalien tief zerstrittene Regierung die Kraft hat, in Krisenzeiten mit knappen Kassen wichtige Reformen zu stemmen, scheint Stand heute fraglich.
Die Kehrseite der Globalisierung ist Krisenanfälligkeit