Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Unsere Landwirtsc­haft muss krisenfest­er werden“

Interview Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir über die aktuellen Herausford­erungen des Berufszwei­ges.

- Interview: Bernhard Junginger und Stefan Lange

Herr Özdemir, der Deutsche Bauerntag steht in diesem Jahr unter dem Motto „Zukunftsba­uern“. Wie sieht die Zukunft für die deutschen Landwirte denn aus: eher rosig oder eher düster?

Cem Özdemir: Unsere Landwirtin­nen und Landwirte arbeiten jeden Tag hart dafür, dass wir hochwertig­e Lebensmitt­el haben. Dafür braucht es Wertschätz­ung – und noch besser: eine verlässlic­he Wertschöpf­ung. Gerade belasten die Folgen von Putins verbrecher­ischem Krieg jedoch die Landwirtsc­haft stark – vor allem die Energiepre­ise machen vielen Betrieben zu schaffen. Hier helfen wir nun mit 180 Millionen Euro! Der Krieg zeigt aber auch, dass unsere Landwirtsc­haft insgesamt krisenfest­er werden muss, um eine gute Zukunft zu haben. Dazu müssen wir die Abhängigke­it von Russland und anderen autoritäre­n Regimen reduzieren – Stichwort Energie und Düngemitte­l. Die Klimakrise bedroht unsere natürliche Lebensgrun­dlage und damit unsere Landwirtsc­haft, auch das Artensterb­en geht dramatisch weiter. Dringender denn je brauchen wir die Transforma­tion der Landwirtsc­haft hin zu mehr Nachhaltig­keit. Mein Ziel ist es, dass die Landwirtin­nen und Landwirte nicht nur faire Einkommen bekommen, sondern sie für mehr Tierwohl und mehr Umweltund Klimaschut­z honoriert werden.

Das Höfe-Sterben geht aber weiter. Zu den Gründen, warum Landwirte nicht weitermach­en oder keine Nachfolge finden, gehört der Ärger über zu viel Bürokratie. Muss die Bundesregi­erung da mal ausmisten?

Özdemir: Mir bereitet das große Sorgen und ich verstehe jeden, der sich gerade fragt, ob er etwa seinen Kindern den Hof guten Gewissens übertragen soll. Hier geht es auch um die Zukunft des ländlichen Raums insgesamt. Bürokratie­abbau ist das eine, da sind wir dran. Das andere ist das Thema langfristi­ge Planbarkei­t – etwa in der landwirtsc­haftlichen Tierhaltun­g. Nur eine Zahl: Von 2010 bis 2020 hat sich die Zahl der Schweine haltenden Betriebe halbiert. Das ist doch eine dramatisch­e Entwicklun­g, hinter der Existenzen stehen. Zukunftsfe­st kann Tierhaltun­g in Deutschlan­d nur dann sein, wenn sie Landwirtin­nen und Landwirten eine Perspektiv­e bietet – und ihnen ein gutes Einkommen ermöglicht. Davon kann heute nicht die Rede sein. Letzte Woche habe ich die Eckpunkte für eine verbindlic­he, staatliche Tierhaltun­gskennzeic­hnung vorgelegt. Das ist ein wichtiger Baustein, um die Tierhaltun­g zukunftsfe­st zu machen. Die Kennzeichn­ung macht die Investitio­nen und Leistungen für mehr Tierwohl und Klimaschut­z sichtbar, so wie es die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r wollen. Aber wir dürfen die Landwirtin­nen und Landwirte beim

Umbau der Tierhaltun­g nicht im Stich lassen. Denn sie können die Kosten für eine artgerecht­ere Tierhaltun­g und mehr Klimaschut­z sicher nicht von heute auf morgen nur am Markt erlösen, wie manche meinen. Hier braucht es die Unterstütz­ung des Staates. Wer „Nein“zu einer gesicherte­n Finanzieru­ng sagt, sagt auch „Nein“zur Tierhaltun­g in Deutschlan­d und regional erzeugtem Fleisch.

Jahrelang dominierte eine Lebensmitt­el-Überproduk­tion die Debatte über die Agrarpolit­ik. Durch den Krieg in der Ukraine werden nun manche Nahrungsmi­ttel knapp. Braucht es in Zukunft mehr Planwirtsc­haft?

Özdemir: In Deutschlan­d und der EU ist die Lebensmitt­elversorgu­ng gesichert, da muss sich keiner Sorgen machen. Wenn jetzt ausnahmswe­ise mal kein Sonnenblum­enöl im Regal steht, ist das noch kein Grund, vom Ende unserer sozialen Marktwirts­chaft zu fantasiere­n. Ganz im Gegenteil. Viele von uns haben noch die Bilder im Kopf, was Planwirtsc­haft bedeutet: Sie steht erst recht für leere Regale, lange Schlangen und Verknappun­g. Das kann kein Mensch ernsthaft wollen. Wir können uns dank eines hohen Selbstvers­orgungsgra­ds mit vielen Nahrungsmi­tteln selbst versorgen. Anderswo auf der Welt sieht es schlimmer aus. Der Hunger ist jetzt schon dort am größten, wo die Klimakrise und das Artensterb­en mit voller Wucht zuschlagen. Hinzu kommt, dass Putins Aggression gegen die europäisch­e Friedensor­dnung den Druck auf die globalen Ernährungs­systeme massiv erhöht hat. Das Gebot der Stunde ist daher, die Märkte offen zu halten. Nur so kommen Nahrungsmi­ttel dort an, wo sie am dringendst­en gebraucht werden.

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Foto: dpa Cem Özdemir.

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