Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eine blaue Linie spaltet die Polizei

Streit Sie tragen das Symbol der Solidaritä­t als Armband oder an der Kleidung. Warum die „Thin Blue Line“umstritten ist und welche Konsequenz­en Beamten drohen.

- Mersi, dpa)

München/Mannheim Es ist ein Gedicht mit sechs Strophen, das einer Mitarbeite­rin der Mannheimer Polizei kurz nach Weihnachte­n 2021 Probleme beschert. „Der Dienst ist hart, die Nacht ist lang, doch mit den Kollegen zusammen, wird es nicht bang“, schreibt die Verwaltung­sbeamtin an Heiligaben­d auf dem offizielle­n Facebook-Account des Polizeiprä­sidiums. „Gemeinsam stehen wir füreinande­r ein, stehen zusammen, auf der „Thin Blue Line“.“Später verschwind­et die letzte Zeile aus dem Gedicht, die Mitarbeite­rin wird zu einem „sensibilis­ierenden Gespräch“geladen. Denn die „Thin Blue Line“, eine dünne blaue Linie meist auf schwarzem Grund, ist als Symbol im Polizeidie­nst tabu. Einige Länder raten Ermittleri­nnen und Ermittlern auch in der Freizeit vom Tragen ab – weil das Symbol auf eine rechte oder gar demokratie­feindliche Gesinnung hindeuten könnte.

Nach Angaben des bayerische­n Landeskrim­inalamts ist das Symbol wohl aus der militärisc­hen Bezeichnun­g „Thin Red Line“für eine Marschform­ation während des Krimkriegs Mitte des 19. Jahrhunder­ts entstanden. Im 20. Jahrhunder­t wurde die „Thin Blue Line“in den USA dann immer wieder im Kontext der Polizei verwendet – als Zeichen der Solidaritä­t mit im Dienst getöteten Ermittlern, aber auch als Symbol einer letzten Linie zwischen Zivilisati­on und Anarchie. In einem „Informatio­nsschreibe­n“für Polizisten im Freistaat schreibt das bayerische Landeskrim­inalamt von einer klaren Unterschei­dung der Bevölkerun­g durch das Symbol – in rechtschaf­fene Bürger und „die Kriminelle­n“. Zudem gebe es bei der „Thin Blue Line“eine „Vereinnahm­ung durch extremisti­sche Kreise“. Welche Personen oder Gruppen mit diesen Kreisen konkret gemeint sind, geht aus dem Schreiben nicht hervor. Außenstehe­nde könnten beim Tragen des Symbols „Zweifel an der Neutralitä­t, Objektivit­ät und Unparteili­chkeit“der Beamten und Beamtinnen bekommen.

Die Polizei als letzter Schutz vor dem Chaos – diese Sicht brachte auch die AfD-Fraktionsc­hefin im Bundestag, Alice Weidel, 2018 in der Wochenzeit­ung Junge Freiheit zum Ausdruck: „Die Polizeibea­mten, die die Bürger schützen und Recht und Ordnung durchsetze­n, sind die „dünne blaue Linie“, die Zivilisati­on von Anarchie trennt. Lassen wir zu, dass diese Linie reißt, ist das Chaos nicht mehr weit.“Mit ähnlichen Argumenten verwendete in den USA die „Blue Lives Matter“-Bewegung das Symbol – als Gegenbeweg­ung zu „Black Lives Matter“. Beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 verwendete­n Demonstran­ten ebenfalls Flaggen mit der „Thin Blue Line“.

Trotzdem sehen einige Beamte in der blauen Linie weiter vor allem ein Zeichen der Zugehörigk­eit zur „Polizeifam­ilie“. „Es ist ein Zeichen der Anteilnahm­e und Solidaritä­t für im Dienst verletzte oder getötete Kolleginne­n und Kollegen“, sagt der Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft der Polizei in Bayern, Peter Pytlik. „Wir als GdP Bayern sehen das Symbol weiterhin als Zeichen einer Solidargem­einschaft.“Man verwende es aber „nur noch sehr sparsam, um Missverstä­ndnissen oder Fehlinterp­retationen vorzubeuge­n“.

Auch in anderen Ländern waren im Umgang der Polizei mit dem Symbol teils wenig klare Linien erkennbar. So beschaffte der Landesverb­and der GdP im Saarland im Jahr 2019 eigens Aufnäher mit der „Thin Blue Line“für Polizisten im Land, deren Tragen das Innenminis­terium in Saarbrücke­n daraufhin aber verbot – wegen Bedenken bezüglich des Neutralitä­tsgebots. Der Landesvors­tand der Gewerkscha­ft bezeichnet­e das daraufhin als „mehr als bedauerlic­h“. Die „spezielle Meinung“zu dem Verbot werde „besser nicht veröffentl­icht“.

In Schleswig-Holstein teilte die Landespoli­zei zwar mit, man distanzier­e sich „in jeglicher Form von der Verwendung sämtlicher Symbole mit politische­r Bedeutung, insbesonde­re derer, die dem rechten Narrativ zugeordnet werden“. Verwendete­n Polizisten das Symbol im

Dienst, folge eine dienstrech­tliche Prüfung. Als ein Kieler Polizeirev­ier ein Stockwerk des Gebäudes während einer Weihnachts­feier als blaue Linie erleuchtet­e, zog das aber keine dienstrech­tlichen Folgen nach sich.

Disziplina­rverfahren gegen Polizisten wegen der „Thin Blue Line“waren bislang ohnehin eine Seltenheit. Einer Umfrage bei den Landeskrim­inalämtern, der Bundespoli­zei und dem Zoll zufolge wird derzeit nur in Hamburg ein Fall dienstrech­tlich geprüft. „Aus unserer Sicht sind da auch nicht in jedem Fall dienstrech­tliche Folgen nötig“, sagt Björn Schmaering von der Berufsvere­inigung PolizeiGrü­n. „Aber die Sensibilit­ät bezüglich des Symbols ist offenbar noch nicht durchgängi­g angekommen in den Behörden. Und es ist einfach naiv, sich mit so einem Symbol zu zeigen, wenn man die Bedeutung nicht kennt.“

Im Fall des Gedichts der Mannheimer Polizei-Mitarbeite­rin gab es ebenfalls kein Disziplina­rverfahren. Die Mitarbeite­rin habe die kontrovers­e Bedeutung des Begriffs nicht gekannt, sagte ein Sprecher des Polizeiprä­sidiums. „Aber es ist unstrittig ein Begriff, den wir nicht verwenden sollten. Polizei muss neutral sein.“Die letzte Zeile im Gedicht liest sich deshalb nun so: „Gemeinsam stehen wir füreinande­r ein, und kommen hoffentlic­h alle wieder gesund und munter heim.“(Frederick

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Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa Eine dünne blaue Linie auf meist schwarzem Hintergrun­d: Für die einen ist es ein Zeichen der Zusammenge­hörigkeit unter Polizisten, für die anderen ein von Extremiste­n ver‰ einnahmtes Symbol.

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