Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie kann ein Schulausfl­ug so schiefgehe­n?

Wandern Nach der missglückt­en Bergwander­ung von 99 Schülern im Allgäu macht unser Autor den Selbsttest.

- VON MARK BIHLER

Mittelberg Wir sind ein bisschen früh dran. Um genau 13.25 Uhr steigen mein erfahrener Bergkolleg­e Marcus und ich in die „Feierabend­runde“ein – ein Begriff, der unlängst Medien und das Kleinwalse­rtal in helle Aufregung versetzt hat. Denn so hatte ein Autor seinen Tourentipp über den Heuberggra­t auf einem Portal für versierte Bergsportl­er charakteri­siert. Die Beschreibu­ng fischten prompt Lehrer aus Rheinland-Pfalz aus dem Netz und machten sich nachmittag­s bei Nässe mit ihren Schützling­en auf den Weg – 99 Schüler zwischen zwölf und 14 Jahren, acht Begleiter, teils mit ungeeignet­em Schuhwerk und unzureiche­nder Bergerfahr­ung. Am Ende mussten sie gerettet werden (wir berichtete­n).

Dem Steig sieht man gleich an, was hier los war. Alles ist aufgeweich­t von den Stiefeln der Bergretter,

die hier einen Teil der Schüler zurück in Sicherheit führten. Vor dem ersten steilen Anstieg ist das Gras großflächi­g platt gedrückt. Das muss der Punkt sein, von dem aus die meisten Schüler per Hubschraub­er und Tau geborgen wurden. Hinter der Fläche der erste Aufschwung. Der Anstieg ist steil, verschlamm­t, rutschig. Unsere Hände suchen nach Wurzeln und allem, was als Griff herhalten kann. Unser Eindruck: Klar, dass die Schüler bei Nässe hier in der Falle saßen. Wäre einer abgerutsch­t, er hätte zig weitere hinunter kegeln können.

Von oben her hören wir Geräusche. Manfred Grünbeck und Siegfried Spall aus der Nähe von Aschaffenb­urg tasten sich den rutschigen Hang hinunter. Sie haben das Handtuch geworfen. „Bevor es den letzten Anstieg steil die enge Spitze hochgeht, sind wir umgedreht. Wir wussten ja nicht, wie es auf der anderen Seite runter geht. Und dann stand da ja das Schild ,nur mit Bergausrüs­tung’. Weil wir kein Seil dabei hatten, dachten wir: Ne!“, berichtet Manfred.

Marcus und ich haben mittlerwei­le das Reden eingestell­t und konzentrie­ren uns. Der Weg wird immer enger, ist jetzt aber trockener und nicht mehr ausgetrete­n. Bis hier hin haben es die 99 Schüler nicht geschafft. Dann sehen wir das Schild, von dem Manfred und Siegfried uns berichtet haben. „Heuberg-Grat. Begehbar nur mit Kletteraus­rüstung. Für Wanderer gesperrt. Absturzgef­ahr“. Kurz überlege ich, umzudrehen. Wenn uns so schnell nach der Rettungsak­tion hier etwas passiert, würde das wohl für Schlagzeil­en sorgen. Aber dann gehen wir doch konzentrie­rt weiter. Spätestens hier wäre es wohl für die Schülergru­ppe nicht mehr glimpflich ausgegange­n. Die steilsten Passagen sind so, wie der Autor des Tourentipp­s sie eingeordne­t hat: UIAA 1 auf der Kletterska­la. Heißt: Mal die Hände nehmen, es gibt gute Tritte. Das Gelände bleibt teils grattypisc­h ausgesetzt. Die Schüler hätten hier alle ans Seil gemusst, das fordert die Einstufung.

Die österreich­ische Polizei beurteilte die Tourenbesc­hreibung als „irreführen­de Informatio­nen im Internet“. Immer wieder war auch davon die Rede, dass die Feierabend­runde „tatsächlic­h ein teilweise ausgesetzt­er Weg mit Kletterpas­sagen“sei. Was die Uhr- und Gehzeit mit der Gefahr am Grat zu tun hat, bleibt offen.

„Es ist einfach eine perfekte Feierabend­runde“, resümiert Bergkolleg­e Marcus. 3,5 Stunden haben wir für die vom Autor beschriebe­ne Runde gebraucht. Unsere persönlich­e Einschätzu­ng: 99 bergunerfa­hrene Schüler auf diese Gratwander­ung zu führen, ist wie mit einem breiten Schwertran­sporter in eine enge Sackgasse zu fahren.

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Foto: Bihler Unser Reporter Mark Bihler auf Spuren‰ suche am Heuberggra­t.

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