Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenn alle Freundinne­n plötzlich Kinder haben

Soziales

- (Suria Reiche, dpa)

Kaum noch Zeit und Schlaf: Kinder stellen alles auf den Kopf. Auch enge Freundscha­ften. Wie können junge Eltern und Kinderlose die turbulente Anfangszei­t gemeinsam meistern – und verbunden bleiben?

Gräfenhaus­en Wenn sich unser Leben ändert, wandeln sich auch Freundscha­ften. Schon mit dem Start ins Berufslebe­n und ersten ernsten Beziehunge­n bekommen Freunde oft nicht mehr die volle Aufmerksam­keit. Doch besonders drastisch wird die Veränderun­g, wenn Kinder dazukommen. Vorbei sind stundenlan­ge Telefonate, die Nächte, in denen man zusammen um die Häuser gezogen ist und spontane Treffen zu zweit. Was jetzt für Eltern zählt, ist, dass es dem kleinen Menschen gut geht.

Felicitas Heyne ist Psychologi­n und Buchautori­n aus Heidelberg. Sie weiß, dass es für eine kinderlose Frau schwer vorstellba­r ist, wie dramatisch dieser „Erdrutsch“ist. „Ein neugeboren­es Kind lässt keinen Lebensbere­ich unberührt. Es findet nicht nur eine Interessen- und Energiever­schiebung statt, sondern auch ein Paradigmen­wechsel.“Als frischgeba­ckene Mutter sei man plötzlich rund um die Uhr fixiert auf ein anderes kleines Menschlein, so Heyne. Da bleibe nicht einmal Zeit für sich

Mütter haben kaum noch Zeit für sich selbst

selbst. Wie also für eine Freundin oder einen Freund? Dass das so ist, stoße vor allem dem kinderlose­n Part auf, sagt Horst Heidbrink. Er beschäftig­te sich als Psychologe viele Jahrzehnte lang mit dem Thema Freundscha­ft und meint: „Die frischgeba­ckenen Eltern verlieren Freundscha­ften ein Stück weit aus den Augen, weil sie so mit dem Kind beschäftig­t sind.“Den Kinderlose­n fehlt dann die emotionale Nähe, die sie aus der Freundscha­ft gewohnt waren.

Aber: „Es ist normal, dass sich das Leben ändert, dass sich andere Schwerpunk­te ergeben, dass die enge Freundscha­ft endet“, sagt Wolfgang Krüger, Diplom-Psychologe und Buchautor aus Berlin. Würde man hier mit Unmut reagieren, sei das eher belastend. „Wir müssen akzeptiere­n, dass wir als Freunde mitunter an die zweite Stelle rücken und dass sich im Leben nicht alles um uns dreht.“

Handelt es sich um eine enge Freundscha­ft, müsse man sich manchmal in die Lage des anderen hineinvers­etzen, rät Felicitas Heyne. Und immerhin gebe es Möglichkei­ten, vor allem enge Freundscha­ften weiterzupf­legen. Nur vielleicht zeitlich nicht mehr ganz so intensiv. Eltern sei es jedoch anzuraten, vor

allem enge Freunde oder Freundinne­n mit einzubezie­hen. Dann fühlten diese sich nicht mehr außen vor oder unnütz.

Wolfgang Krüger rät frischgeba­ckenen Eltern zudem, mit dem eigenen Partner Vereinbaru­ngen zu treffen, damit man sich „mindestens alle 14 Tage einmal zurückzieh­en kann“, um beispielsw­eise in Ruhe zu telefonier­en oder sich mit anderen Menschen zu treffen. Ansonsten gelte: „Man muss die Beziehung mit Freunden an die neuen Gegebenhei­ten anpassen und beispielsw­eise die Freundin zu sich einladen, damit sie an dem Familienle­ben teilhat.“

Gut sei es laut Felicitas Heyne auch, Verständni­s für die Situation der kinderlose­n Freundin oder des kinderlose­n Freundes zu signalisie

ren. Dafür könne man Sätze wählen wie: „Ich kann mir vorstellen, dass das für dich gerade alles nicht so prickelnd ist, aber er oder sie wird größer und es wird auch wieder anders.“Oder: „Ich kann mich dir gerade nicht so zuwenden, wie ich gern würde. Aber schließ bitte nicht daraus, dass du mir nicht wichtig bist.“Und wie verhält sich die kinderlose Freundin am besten, ohne die Freundscha­ft zu gefährden – oder der jungen Mutter Stress zu bereiten? Kindliches Beharren auf eine Freundscha­ft, die es gab, bevor sich das Leben komplett verändert

hat, ist jedenfalls falsch, da sind sich die befragten Psychologe­n sicher. Horst Heidbrink findet es sinnvoll, mal daran zu erinnern, was man früher alles miteinande­r gemacht hat. Und nachzufrag­en, ob es dafür nicht irgendeine Möglichkei­t gibt. Niemand könne aber erwarten, dass die Eltern ihr Kind hintanstel­len. „Darauf muss ich Rücksicht nehmen!“

Zu verlangen, dass sich die Freundin oder der Freund die gleiche Zeit für die Freundscha­ft nimmt wie früher, könne auch nach hinten losgehen, sagt Felicitas Heyne. „Gute Freundscha­ften zeichnet aus, dass es ein Verständni­s für solche Situatione­n gibt.“Man könne aber schon sagen, was man vermisse und seine Bedürfniss­e formuliere­n, so Heyne. „Ich würde mir wünschen, dass,...“sei ein Satz, den man immer sagen dürfe.

Und auch das Angebot, mal auf das Kind aufpassen zu können, sei anzuraten, sagt Wolfgang Krüger. „Dann hat man ein gemeinsame­s Thema.“Damit die Freundscha­ft trotz großer Veränderun­gen überlebt, sei aber auch eine große Anpassungs­bereitscha­ft notwendig. „Und die kinderlose Freundin muss wissen, wie anstrengen­d und kräftezehr­end gelegentli­ch das Leben der Freundin ist.“Eines der Zauberwort­e für den Psychologe­n Krüger: Interesse. „An den Kindern, an Erziehungs­problemen, generell am Leben des anderen.“Dann werde man als kinderlose Freundin oder als kinderlose­r Freund vielleicht zum Lebensbegl­eiter.

Etwas Bereitscha­ft sich anzupassen ist nötig

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Foto: Silvia Marks, dpa Seit die Freundin Mutter ist, fühlt sich ihre kinderlose Vertraute wie das fünfte Rad am (Kinder‰)Wagen.

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