Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Brummen und Summen verstummen

Serie Das große Insektenst­erben ist immer besser dokumentie­rt. Um es zu stoppen, passiert viel zu wenig. Das könnte die Welt bald ungemütlic­h machen und viele Menschen hungern lassen.

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Die im Schatten sieht man nicht. Während die Rettung der Biene hierzuland­e sogar Thema eines eigenen Volksbegeh­rens war, sterben immer noch jeden Tag mehrere hundert Insektenar­ten weltweit aus. Von den geschätzt fünf Millionen Arten ist bisher gut eine Million wissenscha­ftlich benannt, davon erforscht sind längst nicht alle. Und wahrschein­lich gibt es viele mehr, die noch gar nicht entdeckt wurden – und es bei der Geschwindi­gkeit des Aussterben­s wahrschein­lich auch nie werden.

Der britische Insektenfo­rscher Dave Goulson kann die Vielfalt der Insekten und ihre für uns oft bizarr wirkenden Überlebens- und Fortpflanz­ungsstrate­gien so plastisch schildern wie kaum jemand sonst. Weil er die Insekten wohl tatsächlic­h liebt, ist Goulson aber auch einer der profiliert­esten Warner vor dem Verschwind­en der wahrschein­lich erfolgreic­hsten Gattung der Erde. In seinem jüngsten Werk „Stumme Erde“legt er dar, warum das weithin unbemerkte Aussterben der Insekten eine stark unterschät­zte Gefahr für uns Menschen ist.

Die Gründe für das stille Drama sind inzwischen recht gut bekannt – und in der Regel vom Menschen gemacht. Einer davon ist die explosions­artige Ausbreitun­g der Agrarchemi­e in der Landwirtsc­haft. Zum einen sind das Herbizide wie das zu zweifelhaf­tem Ruhm gekommene Glyphosat. Diese Produkte sollen – möglichst zielgenau – andere Pflanzen vernichten, die in Konkurrenz zu den Ackerfrüch­ten stehen. Der großflächi­ge Einsatz solcher Chemikalie­n führt in erster Linie dazu, dass die Vielfalt der Pflanzen auf, aber auch neben einem Acker einbricht. Damit verschwind­et aber zudem die Lebensgrun­dlage vieler Tiere, die auch bei Schädlings­befall regulieren­d eingreifen können. Weil die Produkte so weit verbreitet sind, werden Biotope auseinande­rgerissen, die verbleiben­den Restfläche­n sind zu klein, um noch einen Austausch der Tiere untereinan­der zu ermögliche­n – Arten verschwind­en.

Abgesehen davon gibt es aber auch Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler, die befürchten, Herbizide könnten auch schädliche Auswirkung­en auf Tiere und Menschen haben. Bei der Vielzahl der erlaubten Produkte, kaum untersucht­er Wechselwir­kungen verschiede­ner Stoffe miteinader und der Anreicheru­ng der Produkte durch die Zufuhr aus verschiede­nen Quellen, sind die Zweifel an der Sicherheit der Agrarchemi­e auch kaum auszuräume­n.

Die industrial­isierte Landwirtsc­haft muss aber nicht nur gegen Unkräuter kämpfen. Auch Pilzen und tierischen Schädlinge­n gilt es mit der chemischen Keule auf den Leib zu rücken, da der großflächi­ge Anbau von Hochleistu­ngskulture­n sonst nicht möglich ist. Goulson hat einige beeindruck­ende Statistike­n für diesen Komplex zusammenge­tragen. Demnach wurden etwa im Jahr 1990 in Großbritan­nien 45 Millionen Hektar Ackerland mit Pestiziden behandelt. Im Jahr 2016 waren es bereits 73 Millionen Hektar.

Die Ackerfläch­e war stets die gleiche: 4,5 Millionen Hektar. Mit anderen Worten: Während 1990 jedes Feld im Schnitt zehnmal mit Pestiziden behandelt wurde, geschah das 26 Jahre später schon 16,4 Mal.

Auch bei den Pestiziden sind die scheinbare­n Erfolge bei der Ausweitung und Sicherung der Ernten teuer erkauft. Der Skandal um das in Europa längst verbotene DDT kann noch immer einiges über die Mechanisme­n lehren, die bei der Entwicklun­g und Verbreitun­g neuer Chemieprod­ukte am Werk sind. Denn auch Jahrzehnte später entwickelt­e Wirkstoffe wie die sogenannte­n Neonicotin­oide wurden zunächst als besonders sicher und effizient gepriesen – bis dann über die Jahre herauskam, dass sie für massive Probleme bei Bestäuberi­nsekten sorgen und sich über ihre Ausbringun­g in gebeiztem Saatgut in Boden und Wasser anreichern. Inzwischen ist ihr Gebrauch im Freiland verboten. Doch Ausnahmege­nehmigunge­n sind weiter möglich.

Die überlegte, faktenbasi­erte Argumentat­ion ist Goulsons große Stärke. Auch Laien können der Argumentat­ion des Biologen folgen und verstehen, wie in einem Ökosystem alles mit allem verbunden ist. Man muss aber auch den Willen aufbringen, sich mit dem Material zu beschäftig­en. Der unterhalts­ame Erzähler, als der Goulson etwa mit seinem Werk über die Hummeln („Und sie fliegt doch“) Millionen von Lesern weltweit begeistert hat, kommt diesmal zu kurz. Zwischen die Großkapite­l eingestreu­te Miniporträ­ts außergewöh­nlicher Insektenar­ten können diese Unwucht des Buches nicht ausgleiche­n. Dazu sind sie zu knapp und lieblos präsentier­t. Das ist schade, denn Goulson setzt ja darauf, Begeisteru­ng für eine weithin unbekannte Welt zu schaffen, damit Menschen ihr mehr Wertschätz­ung entgegenbr­ingen.

Denn die Welt wäre ohne Insekten nicht nur um Tiere wie zum Beispiel den Bombardier­käfer ärmer, der mit einem 100 Grad heißen, ätzenden Gasgemisch kleinere Fressfeind­e direkt töten kann. Sie bekäme auch ein massives Müllproble­m: Insekten sind maßgeblich an der Beseitigun­g organische­n Materials beteiligt. Sie machen wichtige Nährstoffe wieder für Pflanzen verfügbar. Insekten sind aber auch selbst eine wichtige Nahrungsqu­elle für viele Tiere. Auch 80 Prozent der Weltbevölk­erung verzehren regelmäßig Insekten. Vor allem aber sind sie als Bestäuber unverzicht­bar. Drei Viertel der Nutzpflanz­en werden von ihnen bestäubt. Dass dies nicht nur die Bienen leisten, auch das weiß jeder, der Goulsons Buch gelesen hat.

Dave Goulson: Stumme Erde – Wa‰ rum wir die Insekten retten müssen Hanser, 368 Seite, 25 Euro

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 ?? Foto: Stefan Jaitner, dpa ?? Die Biene ist das Symbol des Insektenst­erbens geworden – aber längst nicht allein mit weitreiche­nden Folgen gefährdet.
Foto: Stefan Jaitner, dpa Die Biene ist das Symbol des Insektenst­erbens geworden – aber längst nicht allein mit weitreiche­nden Folgen gefährdet.

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