Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Augsburgs protestier­ender Rentner Kurt Späth

Porträt Der 74-Jährige erregt Aufmerksam­keit, weil er sich mit einem Schild gegen das Klimacamp positionie­rt. Wer ist der Mann, der mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält?

- VON INA MARKS

Wenn Kurt Späth mit seinem Schild „Klimacamp – nein danke“am Augsburger Rathaus steht, halten Passanten immer wieder inne. Etliche strecken den Daumen nach oben. Sogar aus vorbeifahr­enden Straßenbah­nen, erzählt er. Manche klopften ihm auf die Schulter, bedankten sich, nur wenige sagten im Vorbeigehe­n „der spinnt doch“. Späth ist 74 Jahre alt und eigentlich längst Rentner. Dennoch arbeitet er vier Tage die Woche in München. Für seinen stillen Protest gegen das Klimacamp nimmt er sich die Zeit. Der Anblick des Zeltlagers reiche ihm einfach, sagt er. Dabei hat der Augsburger durchaus Verständni­s für die jungen Leute. Er selbst ging einst auf die Straße, protestier­te gegen Politik und Establishm­ent. Über einen Mann, der eine traumatisi­erende Kindheit durchlebte, der sich nicht verbiegen will und der offenbar einen weichen Kern hat.

Kurt Späth mag Menschen, liebt Gesellscha­ft. Das ist ein Grund für seine berufliche Leidenscha­ft. Seit über 40 Jahren steuert der gebürtige Augsburger als Busfahrer Menschen in Linienbuss­en durch die Landeshaup­tstadt München. „Ich bin gerne unter Leuten, rede mit ihnen. Manchmal höre ich im Bus, wie sie sich über ihr Leben beklagen. Bei manchen Schicksale­n werde ich traurig“, sagt der Mann mit dem lebendigen Gesicht und der prägnanten Stimme. Vielleicht hat seine Empathie damit etwas zu tun, dass er selbst jahrelang keinerlei Mitgefühl erfahren hatte. Und das in einer Phase des Lebens, in der man besonders behütet werden sollte. Als uneheliche­s Kind, geboren in Augsburg, wuchs Späth in einem Kinderheim auf, einer Einrichtun­g mit einer dunklen Vergangenh­eit.

Im katholisch­en Kinderheim in Reitenbuch sollen Kinder über Jahrzehnte körperlich und seelisch missbrauch­t worden sein. Kurt Späth war eines von ihnen. „Wir bekamen mehr Prügel als zum Essen. Einerseits machte das uns hart, anderersei­ts wurden wir buchstäbli­ch weichgeklo­pft.“Er schildert, wie er und die anderen Kinder für die Dorfbewohn­er Kartoffeln klauben und bei der Heuernte helfen mussten, wie sie zusätzlich in der Landwirtsc­haft, die zum Heim gehörte, schufteten. „Sie nahmen uns die Schuhe von März bis Oktober weg, wir durften sie nur für die Kirche

Uns klebte der Teer an den Füßen. Wie es uns ging, hatte niemanden interessie­rt.“

Mit 14 Jahren entkam er dieser Hölle, weil er eine Schreinerl­ehre in einem Familienbe­trieb begann. Dort habe er wohnen dürfen, sei aber schamlos ausgenutzt worden. Späth erzählt offen, ohne eine Spur von Bitterkeit. „Die Zeit hat mich geprägt, ich lernte zu kämpfen.“Anerkennen­d spricht er darüber, dass sich Augsburgs Bischof Bertram Meier für eine finanziell­e Entschädig­ung für die damaligen Opfer einsetzte. „Aber Entschädig­ung? Ich weiß nicht, wie ich diesen Betrag nennen soll“, meint er.

Kurt Späth wollte irgendwann einen Neuanfang, zog an den Ammersee, lebte dort viele Jahre, bevor er nach Augsburg zurückkehr­te, in Breitbrunn. Damals schon war dem einstigen Mitglied der Jungen Union gesellscha­ftspolitis­ches Engagement

wichtig, er trat für die Gemeindera­tswahlen in Herrsching an, gründete eine eigene Wählervere­inigung. Dass er als Neuling nur knapp scheitert – darauf ist er heute noch stolz. Bei der Jugend am Ort war Späth offenbar beliebt.

Wie er berichtet, feierte er öfters mit den jungen Leuten. Er sagt, er könne gut mit der Jugend, habe auch nichts gegen die Klimaaktiv­isten in Augsburg. „Ich war doch selbst ein 68er, fuhr damals nach Schwabing, um gegen das System mitzuprote­stieren. Ich meinte auch, ich könnte die Welt verbessern und bin daran verzweifel­t. Wir machten auch Krawall, wofür ist man denn jung.“Späth kann verständni­svoller sein, als manch einer ihm vielleicht zutrauen will, wenn er das Schild „Klimacamp – nein danke“hochhält. Viel Verständni­s etwa hatte er während seiner Zeit am Ammersee für einen Jugendlich­en, einem Außenseite­r

des Dorfes. Der Junge sei von seinen Eltern geschlagen worden, hatte keine Freunde. Der Augsburger nahm sich seiner immer wieder an, wie er erzählt. Als der junge Mann bei einem Unfall ums Leben kam, war Späth tief getroffen. Er kaufte mehrere Blumenkrän­ze für die Beerdigung, „damit die im Dorf meinten, der hatte doch Rückhalt und war gar nicht so alleine“. Späth zieht ein Taschentuc­h aus dem Sakko und putzt sich die Nase. „Ich war auch mal Ausgestoße­ner, das werde ich nie vergessen.“Heute ist Späth in Augsburg längst ein Bürger, den viele kennen, der sich gerne auf dem Rathauspla­tz „meinem Wohnzimmer“aufhält, um hier und dort ein Schwätzche­n abzuhalten und der mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält. Augsburg und die Entwicklun­g der Stadt interessie­ren ihn, er verfolgt Stadtratss­itzungen, geht in Bürgeranzi­ehen.

versammlun­gen, macht seinen Mund auf, wenn ihm etwas nicht passt.

Er, der der CSU in Wahlkämpfe­n gerne geholfen habe, indem er etwa Flyer verteilte, sagt, er befinde sich gerade in einem politische­n Loch. Nein, zufrieden sei er mit der Stadtpolit­ik derzeit nicht. „Ich weiß noch nicht, ob ich die CSU weiter unterstütz­e.“In Richtung der Klimaaktiv­isten meint er, zwei Jahre Klimacamp seien nun genug. Mittlerwei­le wüsste jeder, wie man sich umweltkonf­orm zu verhalten habe. „Jeder kann so leben, wie er will. Aber die Allgemeinh­eit darf nicht in Geiselhaft genommen werden, und die jungen Menschen sollten Respekt vor dem Rathauspla­tz und seinen Denkmälern haben.“Kurt Späth will heute noch den ganzen Nachmittag lang am Rathaus mit seinem Schild stehen. Das ein oder andere Schwätzche­n ist ihm sicher.

 ?? Foto: Christoph Bruder ?? Der 74‰jährige Augsburger Kurt Späth ist ein Mensch, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Derzeit protestier­t er gegen das Klimacamp, weil es ihm optisch nicht gefällt. Oft kommt er dabei mit Passanten ins Gespräch.
Foto: Christoph Bruder Der 74‰jährige Augsburger Kurt Späth ist ein Mensch, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Derzeit protestier­t er gegen das Klimacamp, weil es ihm optisch nicht gefällt. Oft kommt er dabei mit Passanten ins Gespräch.

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