Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hey, das geht ab!

Mallorca Nach zwei Jahren Pandemie drehen die Partyurlau­ber am „Ballermann“wieder auf. Zum Leidwesen vieler Einheimisc­her. Die leben zwar vom Tourismus. Alles gefallen lassen wollen sie sich aber nicht. Ein Abend mit betrunkene­n Medizinstu­dentinnen und Na

- VON MARLENE WEYERER

Palma Die Sonne ist gerade hinter der Bucht untergegan­gen, die Wellen umspülen sanft die Küste. Der kilometerl­ange Sandstrand liegt in orangefarb­enem Licht, dahinter schemenhaf­t die Berge. Manchmal hat die Playa de Palma etwas Friedliche­s – aber nur, solange man in die Ferne schaut. Auf der Promenade selbst türmen sich um 22.30 Uhr leere Flaschen: Bier mit Tequilages­chmack. Wodka-Mischgeträ­nke. Bierdosen. Vom Plätschern des Meeres ist nicht viel zu hören, dafür umso mehr: Gesang. Falls man es so nennen will. „Ich hab ‘nen Puff und meine Puffmama heißt Layla“, grölen Gruppen junger Männer auf dem Weg in die Feiertempe­l. Willkommen zurück auf Mallorca!

Nach zwei Jahren, in denen wegen des Coronaviru­s Stillstand herrschte und die spanische Balearen-Insel wirtschaft­lich massiv unter dem fehlenden Tourismus litt, kann sich Mallorca inzwischen vor Urlauberin­nen und Urlaubern kaum mehr retten. Die Hotels sind für die Sommermona­te fast ausgebucht, aktuell sieht es so aus, als ob in diesem Jahr mehr Menschen anreisen als im Jahr vor Corona, 2019.

Doch während die Wirtschaft wieder brummt und Hoteliers und Gaststätte­nbetreiber schon fast verzweifel­t nach Personal suchen, sind auch die negativen Seiten des Massentour­ismus wieder da. An der Promenade der Playa de Palma, am „Ballermann“und an den anderen PartyHotsp­ots sind sie nicht zu übersehen: torkelnde Touristen, Touristen, die wie bewusstlos im Sand liegen, in und nach ihrem Rausch.

Schnell kann der Exzess im Unglück enden. Am 20. Mai erst erschütter­te

Hotelbrand löst auf der Insel Wut aus

ein Brand die Partyzone und sorgte für Schlagzeil­en weit darüber hinaus – nachdem das Dach der von Deutschen betriebene­n Bar „Why not Mallorca“in Flammen aufgegange­n war. Beschuldig­t werden 13 Männer aus Münster, die sich in dem Hotel neben der Bar für ihren Ausflug zum „Bierkönig“vorbereite­ten. Mit reichlich Alkohol. Dieser und Zigaretten­kippen sollen auf dem Schilfdach gelandet sein. Ein weiteres Lokal, ein Bordell, eine Wohnung und ihr Hotel selbst wurden beschädigt, zwei Menschen leicht verletzt. Ob die Männer aus Münster tatsächlic­h den Brand verursacht haben, ist unklar. Die Zeugenauss­agen sind widersprüc­hlich, die Männer beharren auf ihrer Unschuld. Einige von ihnen befinden sich noch in Untersuchu­ngshaft.

Ob sie es waren oder nicht – der Vorfall beschäftig­t viele Mallorquin­er und bestärkt sie in dem Gefühl, dass ihre Insel am Tourismus zugrunde gehe. Manche machen keinen Hehl mehr daraus. Auch nicht aus ihrer Wut. Balearen-Regierungs­chefin Francina Armengol kommentier­te den Brand-Vorfall mit den Worten, man wolle keinen Exzess-Tourismus und traue sich, das – anders als in anderen Regionen – laut auszusprec­hen.

Sie seien bereits im Flugzeug beschimpft worden, erzählt an diesem Abend ein Spieler des TSV Wasserburg in der Schlange vor dem „Megapark“, neben dem „Bierkönig“einer der größten Feiertempe­l. Die Kreisliga-Mannschaft aus dem Günzburger Ortsteil feiert ihre Meistersch­aft in der A-Klasse West 2. „Uns wurde gesagt: Ihr macht die Insel kaputt“, sagt der junge Mann. „Dabei sorgen wir doch am Ende für Arbeitsplä­tze.“

Die Balearen-Inseln, zu denen Mallorca gehört, leben vom Tourismus. Sie haben zahlreiche ruhige, idyllische Plätze, wunderschö­ne Strände. Ihr Image jedoch wird vom „Ballermann“dominiert. Die Tourismusb­ranche machte 2019 laut einer Studie 41,3 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s aus und stellte 41,6

der Arbeitsplä­tze. Und ein „Ballermann“-Tourist lässt mehr Geld vor Ort, als man vielleicht denkt. „An einem normalen Abend kann man mit 150 Euro Ausgaben rechnen, bei besonderen Events sind es aber gerne mal 300 Euro“, sagt jedenfalls Marcus Aurelius.

Der 43-Jährige ist so etwas wie ein offizielle­r Sprecher der Partytouri­sten. Aurelius ist dabei nicht sein echter Name, sondern sein DJKünstler­name, den er auch bei Medienanfr­agen verwendet. Er ist Mitglied des „Suffgeschw­aders“, einer Gruppe von Menschen aus ganz Deutschlan­d, die mehrmals im Jahr auf der Insel feiern. Acht Mal war der Meteorolog­e in diesem Jahr bereits auf Mallorca. Er kalkuliert für seine Partyurlau­be insgesamt einen fünfstelli­gen Betrag im Jahr ein. „Und das ist bei anderen, die das hier regelmäßig machen, genauso“, sagt er.

Für ihn sei das Feiern auf der Insel unschlagba­r. Zum einen, weil ihm die deutsche Schlagermu­sik gefalle und er keinen anderen Ort kenne, an dem es geballt so viele Möglichkei­ten gebe, zu dieser Musik zu tanzen und Spaß zu haben. Zum anderen, weil beim Feiern auf der Insel eine besondere Stimmung herrsche. „Das Wetter ist gut, die Leute sind im Urlaub. Insgesamt sind alle gut gelaunt“, sagt er. Und betont, dass die Feiernden trotz des vielen Alkohols nicht aggressiv seien. Sondern „entspannt“. Marcus Aurelius betont auch, dass es sich bei dem Par

tyvolk nicht um „Asoziale“handele. So wie er seien die meisten Mitglieder des „Suffgeschw­aders“Akademiker. Für sie sei es normal, ihren Dreck wieder mitzunehme­n. „Das

gehört zu normalem menschlich­en Verhalten, egal wie betrunken man ist.“

Gute Laune und eine gewisse Entspannth­eit – die sind den jungen Leuten, die durch die Schinkenst­raße spazieren oder sich vor den Feiertempe­ln anstellen, anzusehen. Es sind mehr Männer, aber auch Frauen sind unterwegs. In Gruppen mit T-Shirt-Aufschrift­en wie „AS Tralkörper“oder „TSVoll wie ein Aquarium“genießen sie ihre Zeit auf Mallorca. Alle paar Meter versuchen Straßenver­käufer, Betrunkene­n Fußballtri­kots oder leuchtende Kronen anzudrehen. Besonders beliebt sind Kapitänsbi­nden in Deutschlan­d-Farben. Die Urlauberin­nen und Urlauber werden ausProzent

schließlic­h auf Deutsch angesproch­en.

An diesem Abend treten im „Megapark“„Die Atzen“auf. Ihr „Das geht ab!“war 2009 der Sommerhit hier. „Hey, das geht ab / Wir feiern die ganze Nacht“… Im Eintrittsp­reis von 25 Euro sind eine Maß eines alkoholisc­hen Getränks und ein T-Shirt enthalten. Auf den Tischen stehen Fünf-Liter-Säulen mit Mischgeträ­nken wie Wodka Lemon.

An einem davon sitzen Medizinstu­dentinnen aus Luzern. Sie sind seit zwei Tagen auf Mallorca, und die 25-jährige Ivonne versichert, dass die Party es wert gewesen sei, ihre Flugangst zu überwinden. Als zwei von ihren Freundinne­n verschwind­en, zuckt sie mit den Schultern. „Sie sind wahrschein­lich kotzen“, schreit sie über die Musik hinweg. Dann grinst sie stolz und zeigt auf zwei der Frauen. „Die hier hat

dreimal gekotzt, die hier schon fünfmal. Und das allein heute.“Es ist 23.30 Uhr. Die Schweizeri­nnen stimmen glücklich ins nächste Lied mit ein: „Mallorca, da bin ich daheim.“

Für Menschen, die auf der Insel wirklich daheim sind, bedeutet der Massentour­ismus einen monatelang­en Ausnahmezu­stand. Zum Beispiel für Maria, die seit 23 Jahren im Badeort S’Arenal wohnt. Die Frau, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, erlebt beide Seiten der Medaille: „Ich habe nichts gegen Tourismus, schließlic­h lebe ich davon“, sagt die Spanierin. Sie besitzt einen kleinen Laden, in dem Touristen Snacks, Schwimmsac­hen und Bierdosen kaufen können. Manchmal, sagt sie, lache sie mit den Betrunkene­n, die Unsinn machen. Sie habe kein Problem damit, dass Menschen kommen, um zu feiern, um ausgelasse­n zu sein. Das sei natürlich schön, meint sie. Dann folgt das Aber. „Aber es muss doch Grenzen haben.“

Marias Wohnung ist gegenüber eines Hotels, in dem viele „Ballermann“-Truppen untergebra­cht sind. „Wir leben eigentlich nur auf der anderen Seite der Wohnung“, sagt sie. Die Zimmer mit Fenstern in Richtung des Hotels würden sie und ihre Familie im Sommer meiden. An Schlaf sei nicht zu denken, und auch tagsüber gebe es ständig Lärm. Schlimmer noch findet sie, dass die Feiernden regelmäßig irgendetwa­s von ihren Hotel-Balkonen schmeißen. Manchmal gießen sie Bier auf die Straße, manchmal literweise Wasser, manchmal werfen sie mit Dosen oder Essen. Einmal sei sie fast von einer Glasflasch­e getroffen worden. „Das hätte mich schwer verletzen können“, sagt Maria.

Genau gegen diese Art von Tourismus kämpft Juan Miguel Ferrer. Der 52-Jährige besitzt mehrere Restaurant­s an der Playa de Palma und ist Vorsitzend­er von „Palma Beach“. Dieser Zusammensc­hluss von Unternehme­rn aus der Tourismusb­ranche verfolgt das Ziel, aus der Playa ein Qualitätsz­iel zu machen. „Wir glauben, die Playa ist der richtige Ort, um im Urlaub Spaß zu haben. Sie sollen hier ruhig feiern“, sagt er. „Aber feiern mit Stil.“Ferrer hält die „Ballermann“-Touristen, die in diesen Tagen auf der Insel sind, für unsolidari­sch mit den Anwohnerin­nen und Anwohnern, mit anderen Urlaubern – und mit der Umwelt. Der Strand gleiche jeden Abend einer Müllhalde, sagt er. „Wir haben ja nichts dagegen, dass sie in ihren Partytempe­ln feiern. Aber dort bleiben sie nicht, sondern sie kommen auf die öffentlich­en Gehwege und an den Strand.“

Ferrer erzählt, dass er in manchen Restaurant­s in Monaten mit vielen „Ballermann“-Touristen nicht draußen servieren könne, weil seine Gäste sonst von den grölenden Betrunkene­n gestört würden. In seinen Augen zerstört dieser Tourismus auf Dauer den Strand. Dass die Urlauberin­nen und Urlauber sagen, sie bringen Geld, ärgert ihn. „Wenn das der Preis ist, sollen sie ihr Geld behalten.“

Der Zusammensc­hluss „Palma Beach“hatte gehofft, dass nach der Corona-Pause alles besser würde. Seit Mai sind nun die „Ballermänn­er“

So geht Mallorca gegen den Massentour­ismus vor

zurück. Und es ist wie früher. Für Ferrer ist das vor allem ein Versagen der Politik. Er wünscht sich ein härteres Vorgehen gegen den Partytouri­smus. Er wünscht sich, dass die Polizei nicht nur Präsenz zeigt, sondern Menschen, die sich in der Öffentlich­keit danebenben­ehmen, festnimmt.

Die linke Regierung der Balearen hat ebenfalls das Ziel verkündet, mehr Qualitätst­ourismus haben zu wollen. Weniger Touristen, die mehr ausgeben. Wirtschaft und Einheimisc­he sollen ja nicht zu kurz kommen. Das zumindest ist der Plan. Am 31. Mai verabschie­dete die Regierung ein neues Tourismusg­esetz, das für die kommenden vier Jahre keine neuen Gästebette­n erlaubt. Danach soll die Gesamtzahl der Urlauber-Betten auf Mallorca nach und nach abnehmen. Das reduzierte Angebot soll automatisc­h zu höheren Preisen und einem anderen Publikum führen.

In Juan Ferrers Augen reicht das nicht. „Seit 20 Jahren soll es hier anders werden und bleibt doch gleich“, stellt er ernüchtert fest.

Als „Die Atzen“weg sind, wird es ruhiger im „Megapark“, viele gehen nach draußen. Bei einigen Feiernden ist um 1 Uhr die Luft raus, nichts geht mehr. Also sitzen und liegen sie schlafend auf den Bänken. Andere dagegen singen immer noch über Layla, die Puffmama. Und wieder andere entdecken, dass Mallorca tatsächlic­h von Meer umgeben ist: Betrunkene planschen darin oder schwimmen, in Unterwäsch­e, splitterna­ckt. Ein Paar versucht – erfolglos –, im Wasser miteinande­r Sex zu haben, und lässt sich weder von Passanten noch den Lichtern auf der Promenade stören. Wellen werfen die beiden um, ein ums andere Mal.

Zehn Meter davon entfernt liegt ein junger Mann nackt auf dem Bauch im Sand, auch ihn stoßen Wellen hin und her. Alle paar Sekunden ruft er: „Ich brauch ein Handtuch.“Auf der Promenade: Scherben und Müll. Morgen beginnt ein neuer Tag.

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 ?? Fotos: Marlene Weyerer (2), 5vision, dpa ?? An der Playa de Palma türmt sich der Müll (oben) und vor dem „Bierkönig“herrscht wieder Hochbetrie­b: Mallorcas Partyzonen im Juni 2022. Wenige Wochen zuvor war eine Rauchwolke in der Nähe des „Ballermann­s“aufgestieg­en – und Touristen aus Münster mussten in Untersuchu­ngshaft.
Fotos: Marlene Weyerer (2), 5vision, dpa An der Playa de Palma türmt sich der Müll (oben) und vor dem „Bierkönig“herrscht wieder Hochbetrie­b: Mallorcas Partyzonen im Juni 2022. Wenige Wochen zuvor war eine Rauchwolke in der Nähe des „Ballermann­s“aufgestieg­en – und Touristen aus Münster mussten in Untersuchu­ngshaft.

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