Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Kandidaten­status rückt näher

Europa Offenbar will die EU-Kommission die Ukraine in die Gemeinscha­ft aufnehmen.

- VON KATRIN PRIBYL

Brüssel/Kiew Es war bereits der zweite Besuch von Ursula von der Leyen in der Ukraine seit der Invasion Russlands und abermals kam die EU-Kommission­schefin mit warmen Worten nach Kiew. Das Land gehöre zur europäisch­en Familie. In eben diesem Duktus dürfte Ende dieser Woche die Einschätzu­ng der EU-Kommission ausfallen. Die Brüsseler Behörde wird empfehlen, der Ukraine den offizielle­n Status eines EU-Beitrittsk­andidaten zu gewähren, hieß es von mehreren Beamten in Brüssel. Man sei sich der Opfer, die die Ukrainer gebracht haben, sehr bewusst und erkenne die Notwendigk­eit an, ein deutliches Signal an den russischen Präsidente­n Wladimir Putin zu senden, lautete die Begründung.

Die Ukraine hatte im März – kurz nach dem Einfall der russischen Truppen am 24. Februar – einen Antrag auf die Aufnahme in die EU gestellt. Seitdem macht die Regierung in Kiew Druck. „Europa als Ganzes ist Ziel für Russland und die Ukraine ist nur die erste Stufe dieser aggressive­n Pläne“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Wochenende. Deshalb könne eine positive

Antwort auf den Mitgliedsc­haftsantra­g eine Antwort auf die Frage sein, „ob das europäisch­e Projekt überhaupt eine Zukunft hat“. Neben der Ukraine haben auch Georgien und Moldawien als Reaktion auf den Krieg Beitrittsg­esuche eingereich­t.

Von der Leyen mag zwar während ihrer Reise in Kiew Hoffnungen geschürt haben. Am Ende aber überwacht die Brüsseler Behörde den komplexen und langwierig­en Beitrittsp­rozess lediglich. Die Entscheidu­ng, ob die Ukraine Kandidaten­status erhält, liegt bei den 27 Mitglieder­n und muss einstimmig getroffen werden. Und innerhalb der Gemeinscha­ft herrscht keineswegs Einigkeit. Einige baltische und osteuropäi­sche Länder, aber auch Italien oder Irland setzen sich dafür ein, dass man der Ukraine rasch den gewünschte­n Status verleiht. Andere Mitgliedst­aaten, etwa die Niederland­e und Frankreich, zeigen sich skeptische­r, auch wenn die Vorbehalte angesichts der Lage in der Ukraine mit Vorsicht geäußert werden. Die französisc­he Regierung schlug zuletzt vor, eine „europäisch­e politische Gemeinscha­ft“für die Ukraine und andere beitrittsw­illige Länder zu schaffen, also die Staaten in einen breiteren und lockeren

Nachbarsch­aftsrahmen aufzunehme­n, ohne ihr eine Vollmitgli­edschaft zu gewähren.

Selbst wenn derzeit kein Krieg toben würde, wäre die Ukraine laut Beobachter­n nicht ausreichen­d vorbereite­t, Teil der Union zu werden. Die Ukraine habe „viel für die Stärkung der Rechtsstaa­tlichkeit getan, aber es müssen noch Reformen durchgefüh­rt werden, um zum Beispiel die Korruption zu bekämpfen oder die schon gut funktionie­rende

Verwaltung weiter zu modernisie­ren“, sagte von der Leyen immerhin bei ihrer Reise. Es klang beinahe wie eine Nebensächl­ichkeit. Dabei steht das kriegsgepl­agte Land Experten zufolge vor großen Herausford­erungen, bis es die sogenannte­n Kopenhagen­er Kriterien erfüllt. Wer Mitglied der Gemeinscha­ft sein will, muss diese einhalten.

Wie sich Deutschlan­d offiziell positionie­ren wird, ist noch unklar. Eine Sonderproz­edur aber, wie sie zunächst in der Diskussion stand, lehnt Berlin ab. Vielmehr war man in den vergangene­n Wochen bemüht, die Erwartunge­n zu dämpfen. Falls jedoch Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungs­chef Mario Draghi am Donnerstag in die Ukraine reist, wie offenbar geplant, werden es die ukrainisch­en Politiker kaum versäumen, ihr Anliegen vorzubring­en.

Immerhin, die Entscheidu­ng über den Kandidaten­status bedeutet nicht, dass das Land in der Folge automatisc­h aufgenomme­n wird. Hinzu kommt, dass der Beschluss nicht mit einem bestimmten Zeitrahmen verbunden ist. Bestes Beispiel ist die Türkei. Sie hält seit 1999 den Status eines Bewerberla­ndes.

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Foto: Natacha Pisarenko, dpa Hofft auf einen schnellen EU‰Beitritt: Se‰ lenskyj.

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