Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Er hat den WelterbeTitel „heimgeholt“
Abschied
Sechs Jahre lang leitete Ulrich Müllegger das Büro zur Unesco-Bewerbung. Als die Auszeichnung verliehen wurde, war er live dabei. Nun geht er in Ruhestand – aber nicht, ohne der Stadt einen Auftrag mitzugeben.
Ulrich Müllegger ist ehrlich: Er hat nicht an Augsburg geglaubt. Nicht in dieser Hinsicht zumindest. Eine Welterbestadt? Das konnte sich der damalige Stadtsprecher, der eigentlich schon von Amts wegen Augsburg-Fan war, nicht vorstellen. Dennoch sagte er 2016 zu, als Oberbürgermeister Kurt Gribl ihn fragte, ob er die Leitung des Welterbe-Büros übernehmen wolle. Ein Büro, von dem nicht klar war, ob es länger als zwei, drei Jahre gebraucht würde; 2016 war Augsburg weit vom Welterbetitel entfernt. Heute blickt Müllegger, 62, mit einem Schmunzeln zurück. Und mit Stolz, denn 2019 hat er die Unesco-Auszeichnung „heimgeholt“. Weiter mit Leben füllen dürfen sie nun andere: Müllegger geht in Ruhestand und wird das Thema Wasser auf neue Weise in seinen Alltag einbauen.
Die letzten Berufsjahre vor dem Ruhestand bezeichnet Müllegger in der Rückschau als einen seiner „beruflichen Höhepunkte“. Vergleiche hat der studierte Philosoph und Politikwissenschaftler einige: Er war Radioredakteur, arbeitete in der Presseabteilung der Stadt und der Stadtwerke, war persönlicher Referent von OB Kurt Gribl. „Mit der Übernahme des Welterbe-Büros konnte ich noch einmal meine wissenschaftlichen Fähigkeiten einbringen – und ich durfte viele interessante Menschen kennenlernen“, fasst er einige der positiven Aspekte dieses Postens zusammen.
Auch vor 2016, sagt er, sei er am Thema Welterbe interessiert gewesen, allerdings nur so, wie es die meisten sind: touristisch. An seinem liebsten Ferienziel zum Beispiel, der italienischen Mittelmeerinsel Pantelleria, hat er das Welterbe direkt vor Augen. Dort wird Wein nach einer bestimmten Methode angebaut. Für die Art und Weise, wie Passito entsteht, gab es 2017 den Titel „immaterielles Welterbe“. Für Ulrich Müllegger ist die Unesco-Auszeichnung inzwischen aber weit mehr als eine touristische Marke. Auch der Unesco gehe es dabei um andere Werte. „Darum, Wissen weiterzugeben, um Nachhaltigkeit, um das Verbindende zwischen verschiedenen Orten auf der Welt“, zählt Müllegger auf. In Augsburg sieht er da durchaus eine Diskrepanz zwi
den 22 Welterbe-Sehenswürdigkeiten und dem, was hinter den Kulissen geschieht.
Mit der öffentlichen Wahrnehmung ist es beim Welterbe-Thema noch nicht so weit her. Zwar kann man die Prachtbrunnen, die Lechkanäle, die Kraftwerke sehen und teils besichtigen. Doch man muss um den Titel und die Denkmäler wissen, um alles einordnen zu können. Eine Beschilderung wurde vor Langem angekündigt, doch sie steht noch nicht. Das eigentlich jährlich geplante Wasserfest fand bislang nur einmal – im Jahr 2019 – statt. „Vieles ist natürlich auch bedingt durch Corona in den Hintergrund geraten“, sagt Müllegger. Dennoch schmerzt ihn manchmal, wie die Stadt mit diesem Schatz umgeht: „Als ich jetzt zwei Jahre lang Karussells und Buden rund um den Augustusbrunnen am Rathausplatz sehen musste, wurde mir weh ums Herz.“Auch die Plastikblumen und
rund um den Herkulesbrunnen hätten das Brunnendenkmal „nicht schöner gemacht“.
Wissenschaftlich sei ebenfalls „noch einiges rauszuholen“in Sachen Welterbe, obgleich hinter den Kulissen einige Netzwerke geknüpft wurden. Mit den Städten Hamburg und Regensburg gab es vor Kurzem einen Dialog über den sich verschärfenden Konflikt zwischen Denkmalund Klimaschutz. Müllegger nennt ein Beispiel: Wenn auf denkmalgeschützte Gebäude keine Solarpaneele installiert werden dürfen, werde es in Kommunen wie Regensburg, dessen Altstadt größtenteils zum Welterbe zählt, schwierig, die Klimaziele zu erreichen. Auch Augsburg steht vor ähnlichen Herausforderungen. Durch den Welterbetitel kam Augsburg auch zur Nichtregierungsorganisation Iclei, deren Mitglieder Strategien entwickeln, um Entwicklungen wie dem Klimawandel oder Starkregen-Erschen
eignissen zu begegnen. Diese Themen, sagt Müllegger, müssten in der Stadtverwaltung Augsburg künftig eine noch größere Rolle spielen. „Der Welterbetitel muss der Anstoß sein, bei Projekten solche Dinge von vorneherein mitzudenken.“
Mülleggers Nachfolge wurde bereits ausgeschrieben, die Stadt führt laut Welterbe-Referent Jürgen Enninger bereits Bewerbungsgespräche. Ulrich Müllegger hofft, dass die internationalen Projekte, die unter seiner Ägide angestoßen wurden, weitergeführt werden. Auch die guten Kontakte zur Universität Augsburg seien essenziell für die weitere Entwicklung und Belebung des Titels. „Die Augsburgerinnen und Augsburger sind stolz auf diesen Titel, aber die wenigsten wissen, was wirklich alles drinsteckt in der Augsburger Wasserwirtschaft“, ist Müllegger überzeugt.
Dass Müllegger nun, mit 62, in Rente geht, hat vor allem gesundSitzgelegenheiten
heitliche Gründe. Mehr will er dazu nicht sagen, aber er gibt zu, dass ihm manche Aufgaben zuletzt schwerergefallen seien. „Wenn man selbst seinen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden kann, dann muss man etwas ändern“, sagt er. Deshalb möchte er nun erst einmal Abstand gewinnen und eine Auszeit an seinem Ferienziel auf der Insel Pantelleria nehmen. Auch seine Frau wird ihn dort besuchen kommen. Danach könnte das Welterbe aber wieder eine Rolle spielen in seinem Leben: „Ich bin kein Mensch, der mit der Nagelschere Rosen schneidet.“Deshalb erwägt er, Kommunen künftig auf ihrem Weg zum Welterbe-Titel zu begleiten oder bereits bestehende Welterbestätten zu beraten. Und dann stünden da zu Hause noch das Klavier, die Querflöte und das Altsaxofon. Ulrich Müllegger, da darf man sicher sein, wird also nicht viel Wasser den Lech hinunterfließen lassen, bevor er wieder aktiv wird.