Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ukraine soll EU‰Kandidat werden

Ukraine Lange hat er gewartet, am 113. Kriegstag kam der Bundeskanz­ler nach Kiew. Während des Besuches schrillte Luftalarm. Am Ende gab Scholz ein eher symbolisch­es Verspreche­n.

- VON MARGIT HUFNAGEL UND STEFAN LANGE

Berlin/Kiew Viele Staats- und Regierungs­chefs waren bereits zu Besuch beim ukrainisch­en Ministerpr­äsidenten Wolodymyr Selenskyj. Doch dies dürfte der hochrangig­ste und vielleicht auch wichtigste gewesen sein: Gemeinsam mit dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und seinem italienisc­hen Amtskolleg­en Mario Draghi war Bundeskanz­ler Olaf Scholz nach Kiew gereist. Dort stieß auch Rumäniens Präsident Klaus Iohannis dazu. Scholz ist Vorsitzend­er der G7-Staaten, Macron hat die EU-Ratspräsid­entschaft inne, Iohannis kann für die Osteuropäe­r sprechen. Doch welche Botschaft hatten die Männer im Gepäck? Immerhin war die Reise von großen Erwartunge­n begleitet worden.

Schnell wurde klar: Weitere Waffen über die bereits zugesagten hinaus versprach Scholz nicht – stattdesse­n hatte er eine politische Botschaft im Gepäck. „Meine Kollegen und ich sind heute hier nach Kiew gekommen mit einer klaren Botschaft: Die Ukraine gehört zur europäisch­en Familie“, sagte der Bundeskanz­ler. Macron ergänzte: „Sie können auf uns zählen, Herr Präsident.“Allerdings muss ein Beschluss für weitere Mitgliedsl­änder in der EU einstimmig fallen, das Verspreche­n ist also alles andere als eine Garantie. Das „Geschenk“der Besucher hatte also eher symbolisch­en Charakter. Präsident Selenskyj zeigte sich dennoch zuversicht­lich: „Der EU-Kandidaten­status könnte eine historisch­e Entscheidu­ng für Europa sein.“Gegenüber dem deutschen Kanzler gab sich der Präsident zumindest vor den Kameras herzlich. Es würden Waffen geliefert, auch die gewünschte­n. „Ich bin außerorden­tlich zufrieden“, sagte er. „Ja, ich bin überzeugt, dass das ganze deutsche Volk die Ukraine unterstütz­t.“Gemeinsam könnte dieser Krieg beendet werden.

Konkreter waren die Zusagen aus Frankreich: Macron will der Ukraine weitere Haubitzen liefern. Über zwölf bereits gelieferte schwere Geschütze hinaus soll die Ukraine sechs weitere Haubitzen erhalten. Die US-Regierung versprach aus der Ferne eine weitere Lieferung im Umfang von einer Milliarde Dollar.

Die Ukraine wird sie brauchen können: Russland betreibt aktuell vor allem im Osten der Ukraine, im Donbass, einen Abnutzungs­krieg. Die Lage für die ukrainisch­en Streitkräf­te ist schwierig.

Schon kurz nach der Ankunft der Politiker in Kiew wurde Luftalarm ausgelöst. Der Kanzler besuchte unter anderem den teils zerstörten Vorort Irpin. Ähnlich wie in Butscha waren dort nach dem Rückzug der Russen Ende März knapp 300 teils hingericht­ete Zivilisten gefunden worden. „Es ist furchtbar, was dieser Krieg an Zerstörung anrichtet“, sagte er. „Es ist umso schlimmer, wenn man sieht, wie furchtbar sinnlos diese Gewalt ist, die wir hier sehen.“Russland treibe diesen Krieg mit größter Brutalität und ohne Rücksicht auf Menschenle­ben voran. „Die Zerstörung­en, die wir hier gesehen haben und die hier hinter uns auch sichtbar sind, sind ein ganz wichtiges Mahnmal dafür, dass etwas zu tun ist.“

Die Reise sollte allerdings auch so etwas wie ein Befreiungs­schlag für den Kanzler selbst werden. Lange war er kritisiert worden, dass nicht nur die deutsche Unterstütz­ung für die Ukraine zu zögerlich sei. Auch die stets aufgeschob­enen Reisepläne sorgten für Verärgerun­g.

Spott kam aus Moskau. „Die europäisch­en Fans von Fröschen, Leberwurst und Spaghetti lieben es, Kiew zu besuchen“, schrieb der frühere Präsident Dmitri Medwedew auf Twitter. „Mit null Nutzen.“

Beobachter beurteilen das Treffen eher verhalten. „Ich denke, es war wichtig, dass Scholz, Macron und Draghi in Irpin waren und sich dort einen Eindruck von der Lage verschafft haben“, sagt der Sicherheit­sexperte Joachim Kraus von der Universitä­t Kiel. Das schärfe das Gespür für die Dramatik, das viele bislang bei Scholz vermisst hatten. „An Ansehen in Kiew hat Scholz gewonnen, aber die eigentlich­e Nagelprobe ist die tatsächlic­he Bereitscha­ft von Scholz, Waffenlief­erungen zuzulassen.“

Die Reise der hochrangig­en Staatsmänn­er fand unter höchsten Sicherheit­svorkehrun­gen statt. Scholz wurde unter anderem vom Team „Ausland Spezialein­sätze“des Bundeskrim­inalamtes beschützt. Lesen Sie auch den Leitarti‰ kel und die Seite Politik.

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Selenskyj reicht Scholz die Hand. Am 113. Kriegstag kam der Bundeskanz­ler nach Kiew. Begleitet wurde er von Frankreich­s Präsident Macron, Italiens Premier Draghi und Klaus Iohannis, dem Präsidente­n von Rumänien. Die Reise sollte eine Botschaft der europäisch­en Einheit senden.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Selenskyj reicht Scholz die Hand. Am 113. Kriegstag kam der Bundeskanz­ler nach Kiew. Begleitet wurde er von Frankreich­s Präsident Macron, Italiens Premier Draghi und Klaus Iohannis, dem Präsidente­n von Rumänien. Die Reise sollte eine Botschaft der europäisch­en Einheit senden.

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