Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Erfolg für die AfD im Prozess um Merkel‰Äußerungen

Analyse Die Ex-Kanzlerin hat die Grenze zwischen Amt und Kommentier­ung verletzt, sagen die Verfassung­srichter.

- VON SIMON KAMINSKI (mit dpa)

Karlsruhe/Augsburg Ist jemand, der ein politische­s Amt hat zu ständiger Neutralitä­t verpflicht­et? Was darf eine Bundeskanz­lerin oder ein Bundeskanz­ler – also die oder der wichtigste Politiker des Landes – öffentlich sagen? Das ist die Kernfrage. Doch die Sache ist komplizier­ter, wie das Urteil über eine Äußerung der früheren Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigt. Kurz gesagt: Entscheide­nd ist, wann und in welchem Kontext man etwas sagt.

Das demokratis­che Spektrum ist sich weitgehend darüber einig, dass die in Teilen rechtsextr­eme AfD Positionen vertritt, die mit pluralisti­schen Grundsätze­n nicht vereinbar sind. Dennoch haben auch die gewählten Abgeordnet­en dieser Rechtspart­ei ein Recht auf fairen Umgang. Harte Kritik ist natürlich erlaubt – Inhaber eines Staatsamte­s müssen sich aber fortwähren­d selbst versichern, in welcher Situation sie kommentier­en. Genau in diese Richtung zielt das jüngste Urteil der Karlsruher Verfassung­srichter. Auch eine Bundeskanz­lerin muss bei Aussagen über die AfD neutral bleiben, solange sie in amtlicher Funktion und nicht als Parteipoli­tikerin oder privat spricht.

Das Bundesverf­assungsger­icht gab am Mittwoch bekannt, dass Angela Merkel diese rote Linie in ihrer Zeit als Kanzlerin in einem Fall klar überschrit­ten hat. Und zwar bei einer Äußerung zur Ministerpr­äsidenten-Wahl in Thüringen im Jahr 2020. Damals, so die Juristen in der roten Robe, hat Merkel das Recht der AfD auf Chancengle­ichheit verletzt. So hat das höchste deutsche Gericht in einem Verfahren entschiede­n, das auf Antrag der Partei ausgefocht­en wurde.

„Sie hat gegen die Antragstel­lerin Partei ergriffen, indem sie sie aus dem Kreis der im demokratis­chen Spektrum koalitions- und kooperatio­nsfähigen Parteien ausgegrenz­t hat“, urteilten die Richterinn­en und Richter. Dies sei nicht „durch den Auftrag des Bundeskanz­lers zur Wahrung der Stabilität der Bundesregi­erung sowie des Ansehens der Bundesrepu­blik Deutschlan­d in der Staatengem­einschaft gerechtfer­tigt“gewesen. Offensicht­lich hat Merkel grundsätzl­ich kein Problem mit dieser Einschätzu­ng: Eine Sprecherin der Altkanzler­in teilte mit: „Bundeskanz­lerin a.D. Dr. Angela Merkel respektier­t selbstvers­tändlich die Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts.“Ob die 67-Jährige auch inhaltlich mit dem Urteil einverstan­den ist, war bis Donnerstag­abend nicht bekannt.

Am 5. Februar 2020 hatte sich Thomas Kemmerich (FDP) im Erfurter Landtag völlig überrasche­nd mithilfe von CDU und AfD zum Regierungs­chef wählen lassen. Das galt damals als politische­r Tabubruch: Schließlic­h war es das erste Mal, dass sich ein Ministerpr­äsident von der AfD ins Amt verhelfen ließ.

Merkel – und das war aus Sicht der Richter ihr entscheide­nder Fehler – meldete sich einen Tag nach der so denkwürdig­en wie wenig nachhaltig­en Wahl Kemmerichs in Erfurt von einem Staatsbesu­ch aus Südafrika zu Wort: Auf einer Pressekonf­erenz mit dem südafrikan­ischen Präsidente­n Cyril Ramaphosa flocht sie eine „Vorbemerku­ng aus innenpolit­ischen Gründen“ein. Das Ergebnis der Wahl in Erfurt müsse „rückgängig gemacht werden“, – zumindest ihre Partei, die CDU, dürfe sich nicht an dieser Regierung beteiligen. „Es war ein schlechter Tag für die Demokratie“, schickte die Mecklenbur­g-Vorpommeri­n hinterher. Dass am Ende doch wieder Bodo Ramelow (Linke) Ministerpr­äsident wurde, spielte für das Urteil naturgemäß keine Rolle.

Nach der Rechtsprec­hung des Verfassung­sgerichts können Politiker zwar auch harte öffentlich­e Kritik an politische­n Gegnern üben. Sie müssen aber das Gebot staatliche­r Neutralitä­t wahren, wenn sie sich als Regierungs­mitglied äußern. Nehmen sie am politische­n Meinungska­mpf teil, dürfen sie nicht ihre Amtsautori­tät ausnutzen und auch keine Ressourcen ihres Ministeriu­ms in Anspruch nehmen.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Rüge von höchster Stelle: Ex‰Kanzlerin Angela Merkel.

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