Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Erfolg für die AfD im Prozess um MerkelÄußerungen
Analyse Die Ex-Kanzlerin hat die Grenze zwischen Amt und Kommentierung verletzt, sagen die Verfassungsrichter.
Karlsruhe/Augsburg Ist jemand, der ein politisches Amt hat zu ständiger Neutralität verpflichtet? Was darf eine Bundeskanzlerin oder ein Bundeskanzler – also die oder der wichtigste Politiker des Landes – öffentlich sagen? Das ist die Kernfrage. Doch die Sache ist komplizierter, wie das Urteil über eine Äußerung der früheren Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigt. Kurz gesagt: Entscheidend ist, wann und in welchem Kontext man etwas sagt.
Das demokratische Spektrum ist sich weitgehend darüber einig, dass die in Teilen rechtsextreme AfD Positionen vertritt, die mit pluralistischen Grundsätzen nicht vereinbar sind. Dennoch haben auch die gewählten Abgeordneten dieser Rechtspartei ein Recht auf fairen Umgang. Harte Kritik ist natürlich erlaubt – Inhaber eines Staatsamtes müssen sich aber fortwährend selbst versichern, in welcher Situation sie kommentieren. Genau in diese Richtung zielt das jüngste Urteil der Karlsruher Verfassungsrichter. Auch eine Bundeskanzlerin muss bei Aussagen über die AfD neutral bleiben, solange sie in amtlicher Funktion und nicht als Parteipolitikerin oder privat spricht.
Das Bundesverfassungsgericht gab am Mittwoch bekannt, dass Angela Merkel diese rote Linie in ihrer Zeit als Kanzlerin in einem Fall klar überschritten hat. Und zwar bei einer Äußerung zur Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen im Jahr 2020. Damals, so die Juristen in der roten Robe, hat Merkel das Recht der AfD auf Chancengleichheit verletzt. So hat das höchste deutsche Gericht in einem Verfahren entschieden, das auf Antrag der Partei ausgefochten wurde.
„Sie hat gegen die Antragstellerin Partei ergriffen, indem sie sie aus dem Kreis der im demokratischen Spektrum koalitions- und kooperationsfähigen Parteien ausgegrenzt hat“, urteilten die Richterinnen und Richter. Dies sei nicht „durch den Auftrag des Bundeskanzlers zur Wahrung der Stabilität der Bundesregierung sowie des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft gerechtfertigt“gewesen. Offensichtlich hat Merkel grundsätzlich kein Problem mit dieser Einschätzung: Eine Sprecherin der Altkanzlerin teilte mit: „Bundeskanzlerin a.D. Dr. Angela Merkel respektiert selbstverständlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.“Ob die 67-Jährige auch inhaltlich mit dem Urteil einverstanden ist, war bis Donnerstagabend nicht bekannt.
Am 5. Februar 2020 hatte sich Thomas Kemmerich (FDP) im Erfurter Landtag völlig überraschend mithilfe von CDU und AfD zum Regierungschef wählen lassen. Das galt damals als politischer Tabubruch: Schließlich war es das erste Mal, dass sich ein Ministerpräsident von der AfD ins Amt verhelfen ließ.
Merkel – und das war aus Sicht der Richter ihr entscheidender Fehler – meldete sich einen Tag nach der so denkwürdigen wie wenig nachhaltigen Wahl Kemmerichs in Erfurt von einem Staatsbesuch aus Südafrika zu Wort: Auf einer Pressekonferenz mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa flocht sie eine „Vorbemerkung aus innenpolitischen Gründen“ein. Das Ergebnis der Wahl in Erfurt müsse „rückgängig gemacht werden“, – zumindest ihre Partei, die CDU, dürfe sich nicht an dieser Regierung beteiligen. „Es war ein schlechter Tag für die Demokratie“, schickte die Mecklenburg-Vorpommerin hinterher. Dass am Ende doch wieder Bodo Ramelow (Linke) Ministerpräsident wurde, spielte für das Urteil naturgemäß keine Rolle.
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts können Politiker zwar auch harte öffentliche Kritik an politischen Gegnern üben. Sie müssen aber das Gebot staatlicher Neutralität wahren, wenn sie sich als Regierungsmitglied äußern. Nehmen sie am politischen Meinungskampf teil, dürfen sie nicht ihre Amtsautorität ausnutzen und auch keine Ressourcen ihres Ministeriums in Anspruch nehmen.