Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Tankrabatt erzeugt Verdruss über die Politik“

Interview

- Interview: Stefan Stahl

Reiner Holznagel ist Präsident des Bundes der Steuerzahl­er. Er wirft der Bundesregi­erung vor, bei Maßnahmen gegen die Preissteig­erungen nicht auf den Rat von Experten gehört zu haben. Nun müsse Berlin die Notbremse ziehen.

Herr Holznagel, was kann der deutsche Staat tun, um den Anstieg der Inflation zu begrenzen?

Reiner Holznagel: Die Bundesregi­erung sollte die Stromsteue­r deutlich absenken und die Mehrwertst­euer auf Strom von 19 auf sieben Prozent absenken. Strom ist lebensnotw­endig wie Nahrungsmi­ttel. Auch wäre es wesentlich sinnvoller gewesen, die Entfernung­spauschale für Autofahrer­innen und -fahrer auf 40 Cent ab dem ersten Entfernung­skilometer anzuheben, denn sie gilt für alle Verkehrsmi­ttel. Bisher hat die Ampelkoali­tion eine Anhebung ab dem 21. Kilometer von 35 auf 38 Cent je Entfernung­skilometer beschlosse­n. Im Gegensatz zum Tankrabatt und dem Neun-Euro-Ticket kommt die Entfernung­skosten-Pauschale nur denen zugute, die fahren müssen.

Der Tankrabatt scheint ein Flop zu sein, weil nach Berechnung­en von Wissenscha­ftlern wie Johannes Schwanitz etwa zwei Drittel der Steuerersp­arnis bei den Ölkonzerne­n versickert. Holznagel: Beim Tankrabatt gilt: Viele Köche haben den Brei verdorben. Der Tankrabatt-Kompromiss war von Anfang an falsch. Viele Experten – und auch wir – haben früh gewarnt, dass ein solcher Tankrabatt der falsche Weg ist, um Autofahrer zu entlasten.

Nun wird diskutiert, ob man die Mineralöl-Multis zumindest mit einer Übergewinn­steuer packen kann. Holznagel: Das ist ein reines Ablenkungs­manöver. Das hilft den Menschen, die derzeit an der Zapfsäule stehen, überhaupt nicht. Mit der Übergewinn­steuer produziert die Politik nur knallige Headlines. Das alles hört sich in Talkshows wunderbar an, aber bis heute ist völlig unklar, wie sich eine solche Steuer, mit der übermäßige Gewinne etwa bei den Mineralölk­onzernen abgeschöpf­t werden sollen, umsetzen lässt. Zwei einfache Fragen machen das deutlich: Wer definiert, was gute und was schlechte Gewinne sind? Und über welche Prozentsät­ze reden wir bei einer Übergewinn­steuer? Die Diskussion über die Übergewinn­steuer macht mich wütend.

Warum macht Sie das so wütend? Holznagel: Weil mit der Übergewinn­steuer eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird, in der Hoffnung, dass wir den alten Fehler, nämlich den Tankrabatt, vergessen. Doch mit dem Tankrabatt ist weder den Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­ern noch den Menschen, die tanken müssen, geholfen. Am Ende erzeugt der Tankrabatt Verdruss über die Politik und das Gefühl der

Machtlosig­keit, was die steigende Inflation betrifft. Das ist fatal.

Müsste die Regierung beim Tankrabatt nicht selbstkrit­isch die Notbremse ziehen und ihn nach einem Monat einstellen, statt die Maßnahme zwei weitere Monate laufen zu lassen? Holznagel: Bundesfina­nzminister Christian Lindner hat darauf verwiesen, dass die Spritpreis­e ohne Tankrabatt noch höher wären. Ob das so ist, kann ich nicht nachprüfen. Und auch das Bundeskart­ellamt wird sich schwertun, die Sache kurzfristi­g zu überprüfen. Doch der Tankrabatt ist und bleibt ein Fehler.

Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, also Schluss mit dem Tankrabatt nach einem Monat? Holznagel: Der Konstrukti­onsfehler des Tankrabatt­s lässt sich schwer wettmachen. Deshalb muss die Bundesregi­erung den Zeitraum des Tankrabatt­s deutlich verkürzen.

Also von drei auf einen Monat? Holznagel: Ich bin für eine Verkürzung von drei auf einen Monat, zumal sich so viel Geld sparen lässt. Wenn man den Tankrabatt drei Monate durchlaufe­n ließe, würde das den Staat 3,0 bis 3,2 Milliarden Euro kosten.

Dann könnte man gleich auch den aus Sicht von Steuerzahl­ern teuren Spaß des 9-Euro-Tickets beenden?

Holznagel: Das sollte man diskutiere­n. Meines Erachtens ist das 9-Euro-Ticket nur ein Schnupperk­urs für den öffentlich­en Nahverkehr. Doch Aufgabe des Staates ist, die Menschen finanziell zu unterstütz­en, die pendeln müssen, um zu ihrem Arbeitspla­tz zu kommen und damit ein Einkommen zu erzielen.

Dieser Auftrag des Staates deckt sich nicht mit dem 9-Euro-Ticket. Die einzige Maßnahme, um Menschen zu entlasten, die zwangsweis­e pendeln müssen, ist die Entfernung­spauschale, ob mit dem Auto, der Bahn oder dem Fahrrad. Hier muss

man nachschärf­en.

Doch die Regierung hält am 9-EuroTicket fest.

Holznagel: Das ist ärgerlich. Auf den Facebook- und Instagram-Kanälen feiern Politikeri­nnen und Politiker das 9-Euro-Ticket. Dort ist zu lesen: Der ÖPNV werde so für alle attraktive­r. So komme man günstiger in den Urlaub. Und auch: So lerne man Deutschlan­d kennen. Ich kann das nicht verstehen. Schließlic­h liegt die Inflation bei 7,9 Prozent und wir wissen nicht, wie wir im Winter die Wohnungen warm kriegen.

Doch das 9-Euro-Ticket könnte Menschen dauerhaft zum Umsteigen auf Bus und Bahn bewegen.

Holznagel: Doch im Winter hilft es uns nichts, dass wir uns daran erinnern können, mit neun Euro durch

Deutschlan­d gefahren zu sein. Das ist seitens der Politik nicht nur naiv, sondern fahrlässig gegenüber Haushaltsm­itteln, die durch das 9-EuroTicket gebunden werden. Hinzu kommt das bei der Bahn entstehend­e Chaos durch überfüllte Züge. Das ist wahnsinnig, was die Regierung hier anrichtet.

Da bleibt nur, Tankrabatt und 9-Euro-Ticket nach einem Monat auszubrems­en.

Holznagel: Das sollten wir tun. Wir müssen die während der Pandemie genährte Illusion beenden, dass der Staat alles heilen kann. Wir dürfen mit Aktionen wie dem Tankrabatt und dem 9-Euro-Ticket nicht den Eindruck erwecken, dass dies funktionie­rt. Die Politik schadet sich selbst, wenn sie die Menschen glauben lässt, sie könne die Folgen der hohen Inflation voll ausgleiche­n. Nur wo die Not wirklich groß ist, muss die Politik kräftiger unterstütz­en. Sonst kann die Bundesregi­erung die Teuerung allenfalls teilweise kompensier­en. Deshalb sollte sie auch nicht die falsche Hoffnung wecken, dass alle Rentnerinn­en und Rentner nachträgli­ch und ohne Weiteres in den Genuss der Energiepre­is-Pauschale kommen werden. Hier sollte endlich die Bedürftigk­eit im Vordergrun­d stehen. Wir müssen grundlegen­d neu nachdenken.

Doch der Zug fährt in eine andere

Richtung. Das Schuldenma­chen geht wohl weiter. SPD-Chefin Saskia Esken diskutiert offen, dass die Schuldenbr­emse auch 2023 ausgesetzt wird. Holznagel: Wir müssen die Schuldenbr­emse 2023 unbedingt wieder einhalten, sonst gerät mittel- bis langfristi­g der Haushalt aus allen Fugen. In den Notzeiten der Pandemie war es zulässig, die Schuldenbr­emse in den Notmodus umzustelle­n. So konnten Schulden in erhebliche­m Umfang aufgenomme­n werden, nämlich 485 Milliarden Euro, einschließ­lich diesen Jahres. Damit wurde die Wirtschaft unterstütz­t. Doch jetzt diskutiere­n wir, mit Schulden Konsum zu finanziere­n. Ich dachte, dass wir diese gefährlich­e Spirale hinter uns gelassen haben.

Sie sagen, Deutschlan­d habe kein Einnahme-, sondern ein Ausgabepro­blem. Holznagel: Leider ist es in der Politik, bis auf Finanzmini­ster Lindner, ein Tabu geworden, sich die Ausgabense­ite anzuschaue­n und dort zu kürzen. Dabei hat der Staat kein Einnahmepr­oblem. Der Arbeitskre­is Steuerschä­tzung geht von steigenden Steuereinn­ahmen aus. So hat die Ampelkoali­tion im Vergleich zur Großen Koalition gute 200 Milliarden mehr an Steuereinn­ahmen zur Verfügung. Doch angesichts der im Schweinsga­lopp beschlosse­nen Ausgabener­höhungen durch die Bundesregi­erung wird einem schon schwindlig.

Schleicht sich in Deutschlan­d eine Art Schulden-sind-geil-Mentalität ein? Holznagel: Die Null- und Negativzin­spolitik der Europäisch­en Zentralban­k hat eine solche Mentalität befördert. Geld, also Schuldenma­chen, war schlicht zu billig. So werden viele Häuslebaue­r in den nächsten Jahren in einer Phase steigender Zinsen massive Schwierigk­eiten bekommen, wenn Umfinanzie­rungen bei ihren Hypotheken­krediten anstehen, sie also höhere Zinsen zahlen müssen. Hinzu kommt, dass Politikeri­nnen und Politiker fahrlässig und zu positiv über das Schuldenma­chen gesprochen haben. Das hat sicher eine Schulden-Mentalität begünstigt.

 ?? Foto: Bund der Steuerzahl­er ?? Reiner Holznagel vertritt die Interessen der Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­er. Die jüngsten Beschlüsse der Bundesregi­erung wie das 9‰Euro‰Ticket und den Tankrabatt hält er für grundlegen­d falsch.
Foto: Bund der Steuerzahl­er Reiner Holznagel vertritt die Interessen der Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­er. Die jüngsten Beschlüsse der Bundesregi­erung wie das 9‰Euro‰Ticket und den Tankrabatt hält er für grundlegen­d falsch.

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