Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Erwin Pelzig ist mit den Jahren ernster geworden

Interview Seine Kunstfigur Erwin Pelzig sucht ihren Weg durch die immer komplexer werdende Gesellscha­ft. Ihr Schöpfer Frank-Markus Barwasser spricht mit unserer Redaktion.

- Interview: Gerald Lindner

Herr Barwasser, Sie waren am 7. März 2021 der letzte Gast, der vor dem Lockdown in der Stadthalle Gersthofen aufgetrete­n ist. Frank‰Markus Barwasser: Ein paar Tage später war dann auch für mich der letzte Auftritt für lange Zeit.

Wie war das für Sie: Von einem Tag auf den anderen mitten in einer Tournee zum Nichtstun verurteilt zu werden? Barwasser: Das hatte nicht nur Nachteile. Ich habe einen inzwischen sechs Jahre alten Sohn. Die Kita war zu. Da konnte ich viel sehr gute Zeit mit ihm verbringen.

Hat dies Ihre Sicht der Welt verändert?

Barwasser: Man verzeihe mir das hehre Wort – aber ich bin auf eine gewisse Weise demütiger geworden. Ich stehe nun seit mehr als 25 Jahren auf der Bühne und habe bis auf ein oder zwei Veranstalt­ungen, die wegen Erkältung oder dergleiche­n abgesagt werden mussten, alle Abende durchgebra­cht.

Aber ganz tatenlos blieb die Lockdown-Zeit für Sie nicht?

Barwasser: Es war ohnehin geplant, dass ich ein neues Programm schreibe. Die Premiere hat sich halt wegen der Corona-Pandemie verzögert.

Sie sprachen vorher über mehr als 25 Jahre auf der Bühne. Sie sind jetzt mit dem neunten Programm „Der wunde Punkt“unterwegs. Wird es schwerer, neue Programme zu erarbeiten? Barwasser: Die Themen der Programme werden immer schwerer. Und meine Anspruchsh­altung wird größer. Es werden immer größere Räder, die man dreht: die Pandemie, der Ukraine-Krieg, der Klimawande­l. So wird die Aufgabe größer, denn mein Kabarettpr­ogramm soll immer noch Unterhaltu­ng sein.

Wie hat sich Erwin Pelzig, wie hat sich Frank-Markus Barwasser verändert? Barwasser: Ich frage mich manchmal: Waren die Zeiten früher harmloser, oder war ich das? Ich bin auf jeden Fall ernsthafte­r auf der Bühne geworden, aber im Ernst liegt ja auch viel Komik. Die Figur Erwin Pelzig muss sich weiterentw­ickeln, das ist eine Herausford­erung. Es wird schwierige­r, die richtige Form für die Vorstellun­g zu finden. Ich will keine Pille-Palle-Sachen auf der Bühne behandeln. Aber obwohl die Themen komplexer werden, finde ich heute noch mehr Wertschätz­ung beim Publikum. Und natürlich sind

Pelzigs Freunde Dr. Glöbner und Hartmut wieder mit dabei und bringen ihre manchmal absurden Sichtweise­n mit ein.

Wie packen Sie das an?

Barwasser: Zwar sind die Themen ernster – aber nicht unbedingt Erwin Pelzig. Er stellt sich dem Weltenwahn­sinn mit Unerschütt­erlichkeit. Er zeigt die gleiche Ratlosigke­it wie das Publikum, wie mit der derzeitige­n Situation umgegangen werden muss. Deswegen heißt das Programm auch „Der wunde Punkt“: Es geht darin um die tiefen Kränkungen, die derzeit auf die Menschen einstürmen und die sie Dinge tun lassen, die schwer zu verstehen sind.

Was meinen Sie mit „Kränkungen“? Barwasser: Der Mensch ist weder die Krone der Schöpfung noch der Mittelpunk­t des Universums. Und der Homo sapiens ist im Grunde auch nur ein triebgeste­uerter Affe, der nichts im Griff hat. Sigmund

Freud hielt diese bitteren Erkenntnis­se für die drei großen Kränkungen der Menschheit. Derzeit sind noch weitere hinzugekom­men: die Pandemie mit den Lockdowns, der Ukraine-Krieg, die Inflation und der Klimawande­l. Die Zeiten sind so uneindeuti­g wie nie, was es schwer macht, eine zweifelbef­reite Überzeugun­g zu haben. Es ist alles so unfassbar komplex und verwirrend.

Und das irritiert Erwin Pelzig?

Barwasser: Klar, und es überforder­t ihn, wie uns alle. Aber Pelzig ist immer einer gewesen, der Selbstzwei­fel zeigt. Darin erkennt sich das Publikum wieder. Es zeigt sich auch in der Politik: Der Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck funktionie­rt so gut bei den Menschen, weil er auch seine Selbstzwei­fel kommunizie­rt. Diese Zweifel nehme ich ihm ab. Es ist ja schon eine Ironie der Geschichte: Ausgerechn­et die Grünen sind jetzt für Aufrüstung und fordern schwere Waffen für die Ukraine, aber in Interviews liest man geleauch

gentlich von pensionier­ten Generälen, die bei diesen Fragen eher zurückhalt­end argumentie­ren.

Die Welt hat sich verändert.

Barwasser: Ja, das hat sie wirklich. Und wir müssen noch mit weiteren gewaltigen Veränderun­gen und mit der Abschaffun­g vieler bisheriger Selbstvers­tändlichke­iten rechnen. Wir leben in der politischs­ten Zeit seit Jahrzehnte­n. Für meine Arbeit als Kabarettis­t ist das toll. Jetzt kann man sich den wirklich wichtigen Fragen widmen. Vor zwei Jahren haben wir uns zu Recht über ein paar Hundert Millionen Euro geärgert, die Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer für nichts ausgegeben haben soll, und nun geht es plötzlich um unfassbare Milliarden­summen: Corona, Bundeswehr, Tankrabatt. So schnell ändert sich die Sichtweise.

Wie fließt das in Ihr Programm ein? Barwasser: Als Kabarettis­t will ich ordnen und zeigen, wie Erwin Pelzig damit umgeht. Es geht darum, den

allgemeine­n Wahnsinn unserer Gesellscha­ft zu sortieren und vielleicht auch die komische Seite daran zu finden. Pelzig schlägt sich hier einen Pfad durchs Dickicht. Er ist eine Wiedergutm­achung am viel gescholten­en „kleinen Mann“, der sich auf seine Weise mit der Welt auseinande­rsetzt.

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Foto: Marcus Merk Erwin Pelzig war der letzte Gast, der in der Stadthalle Gersthofen vor dem Corona‰Lockdown aufgetrete­n ist. Mit seinem neuen Programm „Der wunde Punkt“kommt er nun zurück.

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