Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zu wenig Gas für den Winter

Nachdem Russland seine Lieferunge­n gedrosselt hat, will der Wirtschaft­sminister das Land zum Energiespa­ren zwingen. In vielen Wohnungen könnte es dann kühl werden.

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Berlin Die Rechtslage ist bislang eindeutig: Von Oktober bis April müssen Vermieter ihre Heizungen so einstellen, dass in den Wohnungen ihrer Mieter eine Temperatur zwischen 20 und 22 Grad erreicht wird – das hat der Bundesgeri­chtshof bereits 1991 entschiede­n. Nachdem Wladimir Putin den Gashahn nach Westeuropa immer weiter zudreht, diskutiert das politische Berlin nun allerdings die Frage, ob es nicht auch ein paar Grad weniger sein dürfen. „Auch eine Wohnung mit 18 oder 19 Grad kann noch gut bewohnt werden“, sagt etwa der Hauptgesch­äftsführer des Städteund Gemeindebu­ndes, Gerd Landsberg. Der Verband der Wohnungsun­d Immobilien­unternehme­n fordert bei einem Gasmangel gar eine Absenkung um bis zu sechs Grad.

Wirtschaft­sminister Robert Habeck redet bisher nur ganz allgemein von gesetzlich­en Maßnahmen zum Einsparen von Energie, die die Regierung im Falle eines Falles werde einleiten müssen. Der Koalitions­partner SPD aber ist trotzdem alarmiert. „Gesetzlich verordnete­s Frieren halte ich für unsinnig“, sagt etwa Bauministe­rin Klara Geywitz. Alles unter den in der Rechtsprec­hung festgelegt­en 20 Grad könne sogar gesundheit­sschädlich sein. Auch der dritte Koalitions­partner, die FDP, ist gegen eine Reduzierun­g der Mindesttem­peratur per Gesetz. „Energie sparen ja“, betont ihr Experte Daniel Föst gegenüber unserer Redaktion. „Aber auf freiwillig­er Basis. Ein jeder ist an seiner Stelle gefragt.“Außerdem sollte die Bundesregi­erung in einer Situation, in der auch die Leistungsf­ähigkeit der Industrie auf dem Spiel stehe, über einer Verlängeru­ng der AKW-Laufzeiten nachdenken. Erstmals seit Ende März hat die Bundesnetz­agentur in ihrem täglichen Bericht die Lage beim Gas am Freitag als „angespannt“bezeichnet. Die Versorgung­ssicherhei­t sei aber noch gewährleis­tet.

Nach Deutschlan­d und Frankreich hat der russische Konzern Gazprom am Freitag auch Italien und der Slowakei die Lieferunge­n gekürzt – um 50 Prozent. Frankreich erhält inzwischen überhaupt kein Gas mehr aus Russland, ist aber auch nicht so abhängig wie andere Länder. In der Bundesrepu­blik sind die Speicher nach Habecks Worten inzwischen zwar zu 56 Prozent gefüllt. Damit aber, so der Minister in der ARD, „können wir nicht in den Winter gehen. Da müssen die voll sein. Sonst sind wir wirklich offen.“

Habecks grüner Parteifreu­nd Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetz­agentur, macht sich daher für eine vorübergeh­ende Reduzierun­g der Temperatur­en in den knapp 20 Millionen Mietwohnun­gen stark. Dass der Minister dem nicht sofort eine Absage erteilt habe, sei unverantwo­rtlich, kritisiert der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Unionsfrak­tion im Bundestag, Ulrich Lange – und fragt: „Droht hier eine Zweiklasse­ngesellsch­aft, bei der Mieterinne­n und Mieter frieren müssen und Menschen im Wohneigent­um selbst entscheide­n können, wie warm sie es haben?“Die Bundesregi­erung müsse dafür sorgen, dass alle Menschen, unabhängig von Einkommen und Wohnsituat­ion, ein warmes Zuhause hätten.

Nach Berechnung­en des Zentrascho­n len Immobilien­ausschusse­s, dem Spitzenver­band der Branche, reduziert eine Verringeru­ng der Raumtemper­atur um ein Grad den Bedarf an Heizwärme um sechs Prozent. Ein effiziente­rer Betrieb von Heizungen würde danach sogar zehn Prozent an Öl und Gas sparen. Solche Optimierun­gsmaßnahme­n sollten über die Bundesförd­erung für effiziente Gebäude stärker unterstütz­t werden, verlangt Verbandspr­äsident Andreas Mattner gegenüber unserer Redaktion. „Das entlastet auch Mieter, die dann weniger Brennstoff­kosten zahlen müssen.“

Vor dem Ukraine-Krieg bezog Deutschlan­d 55 Prozent seines Gases aus Russland, inzwischen sind es noch 35 Prozent. Der Rest kommt vor allem aus den Niederland­en und Norwegen. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) fordert die Bundesregi­erung nach den gedrosselt­en Gaslieferu­ngen aus Russland nun zum Handeln auf: „Wir brauchen sofort einen Gasgipfel.“Deutschlan­d drohe ein Energienot­stand, warnt er. Staatlich verordnete­s Frieren sei „eine Bankrotter­klärung“.

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