Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der lange Schatten des Donald Trump

USA Seit einer Woche seziert ein Untersuchu­ngsausschu­ss den Kapitolstu­rm. Die Verwicklun­g des Ex-Präsidente­n in den Putschvers­uch ist offensicht­lich. Doch welche Folgen hat das?

- VON KARL DOEMENS

Seine Kinder und wenige Berater waren zugegen, als Donald Trump am 6. Januar 2021 im Oval Office zum Telefonhör­er griff. Es war kurz nach elf Uhr morgens an jenem schicksalh­aften Tag, der mit der offizielle­n Bestätigun­g des Wahlsiegs von Joe Biden enden sollte. Per Twitter hatte Trump seinen Stellvertr­eter Mike Pence aufgeforde­rt, das zu verhindern. „Ziemlich hitzig“sei das folgende Telefonat gewesen, berichtet Trumps Tochter Ivanka. Als „Schlappsch­wanz“und „Pussy“beschimpft­e der Präsident nach den Aussagen anderer Anwesender seinen Vize.

Lebendig wie in einem PolitThril­ler konnten die Amerikaner in dieser Woche die Szene miterleben, als der Untersuchu­ngsausschu­ss des Kongresses zum Kapitolstu­rm mit Zeugenauss­agen, Fotografie­n und Videoaufna­hmen die schicksalh­aften Abläufe rekonstrui­erte. Sie hörten auch, wie Rechtsexpe­rten der Regierung wochenlang dargelegt hatten, dass Pence die Wahlergebn­isse der Bundesstaa­ten unmöglich – wie von Trump gefordert – zurückweis­en oder gar annulliere­n konnte. Sie sahen, wie Trump trotzdem am Mittag des 6. Januar bei einer Kundgebung die Wut seiner

auf seinen Stellvertr­eter lenkte und der Mob anschließe­nd mit der Parole „Hängt Mike Pence!“zum Kapitol zog.

Seit gut einer Woche läuft die öffentlich­e Anhörung des Parlaments­gremiums, die live von mehreren Sendern übertragen wird. Komprimier­t, thematisch geordnet und fernsehger­echt werden dort die Ergebnisse der monatelang­en Befragung von mehr als 1000 Zeugen präsentier­t. Weitere Sitzungen werden folgen. Doch schon nach den ersten drei Hearings scheint erwiesen, was der demokratis­che Ausschussv­orsitzende Bennie Thompson zu Beginn sagte: „Der 6. Januar war die Kulminatio­n eines versuchten Coups, ein dreister Versuch, die Regierung zu stürzen. Die Gewalt war kein Versehen. Sie war Trumps letzte verzweifel­te Chance, die Übergabe der Macht zu verhindern.“

Die Vorbereitu­ngen für den Staatsstre­ich begannen spätestens am 3. November 2020, dem Tag der Präsidents­chaftswahl. Trumps Kampagnenc­hef Bill Stepien hatte den Präsidente­n darauf vorbereite­t, dass wegen der Auszählver­fahren einzelner Bundesstaa­ten an dem Abend zunächst überpropor­tional viele Trump-Stimmen zu erwarten seien, die spätere Auswertung der Briefstimm­en aber einen Schub für

Joe Biden bringen könnte. Genauso kam es. Trotzdem erklärte sich Trump – unterstütz­t von seinem nach Zeugenauss­agen zudem betrunkene­n Anwalt Rudy Giuliani – früh an dem Abend zum Wahlsieger. Als die Abstimmung dann klar anders ausging, konnte das für den Republikan­er nur Wahlbetrug sein.

In den Wochen darauf wiesen mehr als 60 Gerichte Klagen wegen angebliche­r Manipulati­onen von Stimmzette­ln zurück. „Bullshit“sei die Behauptung gewesen, erklärte Trumps ehemaliger Justizmini­ster Bill Barr vor dem Ausschuss unmissvers­tändlich. Das habe er Trump auch gesagt. Trump-Tochter Ivanka pflichtete bei. Mehrere Zeugen bestätigte­n: Trump wusste, dass es keinerlei Anzeichen für größere Unregelmäß­igkeiten bei der Wahl gab. Trotzdem verbreitet er bis heute seine Verschwöru­ngslüge, um die Legitimitä­t der Biden-Präsidents­chaft zu untergrabe­n – und über die Umwidmung von Spendengel­dern für seinen Rechtsfond­s Kasse zu machen.

Trump wusste auch, dass es keine rechtliche Grundlage für die NichtAnerk­ennung von Bidens Wahlsieg durch Pence gab. John Eastman, der fragwürdig­e Rechtsbera­ter des ExPräsiden­ten, soll in einem Gespräch mit dem Pence-Justiziar Greg JaAnhänger cobs offen eingeräumt haben, dass man eine Klage vor dem Supreme Court mit neun zu null Stimmen verlieren würde. Für sich selbst erbat der Jurist beim Präsidente­n eine Vorab-Begnadigun­g.

Und trotz all dieser Schilderun­gen: Unklar ist, welche rechtliche­n und politische­n Folgen das für Trump hat. Inzwischen wird der Ruf nach einer Anklage immer lauter. Nach zwei gescheiter­ten Amtsentheb­ungsverfah­ren steht der zuständige Justizmini­ster Merrick Garland vor einer extrem heiklen Entscheidu­ng: Eine erneute Niederlage der Demokraten würde dem Möchtegern-Autokraten den ultimative­n Triumph bescheren.

Noch folgenreic­her scheint die die Frage, welche Auswirkung­en die Enthüllung­en auf die öffentlich­e Meinung in den USA haben werden. Mit 20 Millionen Zuschauern waren die Einschaltq­uoten bei den Anhörungen anfangs hoch, doch sind sie seither deutlich gefallen. Vor allem dürften überwiegen­d Demokraten vor dem Fernseher sitzen. Deren Urteil über Trump steht eh fest. Nur jeder fünfte Wähler der Republikan­er unterstütz­t die Arbeit des Ausschusse­s. Parteigröß­en spielen die Erkenntnis­se ohnehin systematis­ch als vermeintli­ch linkes Ablenkungs­manöver herunter.

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Foto: Mandel Ngan, dpa Ein Video des ehemaligen US‰Präsidente­n Trump wird während des Untersuchu­ngsausschu­sses gezeigt. Das Gremium zeigt in vielen Beispielen auf, wie sehr Trump in den Sturm auf das Kapitol verstrickt war.

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