Augsburger Allgemeine (Land Nord)
ArianeVerspätung setzt Augsburger Firma zu
Raumfahrt Immer wieder wurde der Erstflug der Rakete verschoben, jetzt auf 2023. Das macht dem wichtigen bayerischen Zulieferer MT Aerospace zu schaffen. Warum Firmen-Chef Hans Steininger dennoch zuversichtlich ist.
Augsburg/Paris Im vergangenen Jahr herrschte in Europa noch Weltraum-Euphorie. Die Verantwortlichen waren sich sicher, dass die neue Trägerrakete Ariane 6, mit der Satelliten ins All geschossen werden sollen, im zweiten Quartal 2022 zu ihrem Erstflug abhebt. Das käme dann schon einer Verspätung von rund zwei Jahren gleich. Doch das zweite Quartal ist Ende Juni vorüber. Bereits jetzt steht fest: Die Ariane-5-Nachfolgerin wird auch 2022 nicht in die Lüfte steigen. So gestand Josef Aschbacher, Chef der europäischen Weltraum-Organisation ESA, ein, dass der erste Start sich um ein weiteres Jahr verzögern werde.
Nach Recherchen unserer Redaktion läuft das auf einen Termin frühestens im April 2023 hinaus, manche Experten mutmaßen, es könnte erst Ende kommenden Jahres soweit sein. Hinter den Kulissen ist von technischen Schwierigkeiten die Rede, ohne dass diese näher eingegrenzt werden. Dabei hat auch die Corona-Zeit mit ihren Beschränkungen den Raketenbauern zugesetzt. Ein Teil der Verspätungen geht auf das Konto der Pandemie. Das Schicksal hat nicht nur die Europäer ereilt. Auch in den USA mit dem größten Weltraumkonzern Boeing an der Spitze verschieben sich Raketenprojekte weiter nach hinten. Das nutzt Elon Musk mit seiner Firma Space X aus, dessen Rakete Falcon 9 nahezu im Wochenrhythmus fliegt. Davon profitiert aber das Augsburger Weltraum-Unternehmen MT Aerospace nicht, macht es doch mit dem umtriebigen Amerikaner keine Geschäfte. Dafür ist die Firma für rund zehn Prozent des Produktionsvolumens der Ariane 6 verantwortlich. MT Aerospace liefert Außenhaut und Treibstofftanks für die Rakete.
Der Anbieter ist stark von dem europäischen Projekt abhängig. Nachdem die Ariane 5 früher als geplant auslief und die Ariane 6 chronisch unpünktlich ist, war der Augsburger Standort zumindest vorübergehend gefährdet. Im Mai 2021 konnte MT-Aerospace-Chef Hans Steininger Entwarnung geben: „Augsburgs Tor zum Weltall bleibt erhalten.“Dazu musste er schmerzliche Einschnitte auf der Personalseite vornehmen. Nachdem schon einmal rund 70 Stellen weggefallen sind, baute das Unternehmen noch einmal etwa 100 im Ariane-Bereich
auf jetzt noch 550 ab. Die Firma war 2019 in die roten Zahlen gerutscht. „Und 2020 waren sie tiefrot“, erinnert sich der 60-Jährige im Gespräch mit unserer Redaktion.
Zumindest gelang es MT Aerospace, sich mit den betroffenen Beschäftigten überwiegend auf einvernehmliche Aufhebungsverträge zu einigen. „Nur in etwa einem Zehntel der Fälle mussten wir betriebsbedingt kündigen“, räumt Steininger ein. Das waren auch für den Manager harte Zeiten: „Ich hätte niemals gedacht, dass ich zu einem solchen Schritt greifen muss.“
Das Jahr 2020 bildete den Tiefpunkt für das Unternehmen, war der Umsatz doch von einst knapp 200 auf 110 Millionen Euro in die Tiefe gerauscht. Seitdem geht es wieder langsam aufwärts: Die Erlöse sollen in diesem Jahr auf 140 Millionen Euro steigen. Und 2021 hat die
Firma, was die Ergebnisseite betrifft, immerhin an der schwarzen Null gekratzt, verliert also kein Geld mehr, was auch das Ziel für 2022 ist.
Doch die neue Ariane-6-Hiobsbotschaft verschiebt den Aufstieg von MT Aerospace zu alter Stärke weiter in die Zukunft. Steininger rechnet erst im Jahr 2025 damit, wieder rund 200 Millionen Euro Umsatz einzufliegen. Dennoch ist er zuversichtlich und sagt: „Wir befinden uns auf dem aufsteigenden Ast.“Denn seine Strategie, die Abhängigkeit der Firma vom Wohl und Wehe der Ariane-Rakete zu verringern, geht langsam auf. Der Weg dahin sei mühsam, gesteht der Manager ein.
Noch arbeitet der Betrieb mit einer statt früher zwei Schichten in der Produktion. Nach den ursprünglichen Plänen sollten in diesem Jahr in Augsburg acht Sets aus der Außenhaut der Ariane-Rakete und den Treibstofftanks gebaut werden. Dann wäre die Fabrik von Montag bis Samstag ausgelastet gewesen. Nach aktuellem Stand können 2022 nur drei dieser Einheiten fertiggestellt werden.
„Wir krebsen vor uns hin. Das ist bitter“, sagt Steininger. Dass er dennoch viel zuversichtlicher als in den Krisenjahren 2020 und 2021 wirkt, hängt mit neuen Geschäftsfeldern zusammen. So hat der MTAerospace-Chef das Unternehmen auf weitere Standbeine gestellt. Eines ist der 3D-Druck. Hier stehen in dem Werk bereits sechs solcher Anlagen. Bis zu 34 weitere sollen hinzukommen. MT Aerospace druckt Bauteile für Kunden aus der Raumfahrt-, Auto- und Verteidigungsindustrie. Zudem will Steininger das durch die Raumfahrt erworbene Wissen um die Wasserstofftechnologie auf andere Branchen übertragen und Firmen künftig über den Tank hinaus ganze Systeme anbieten. Hier gibt es erste Kooperationen mit Triebwerksherstellern und im Militärbereich. Steininger kann sich vieles vorstellen, etwa dass Flugzeuge, Drohnen und Schiffe vom Wasserstoff-Know-how aus
Augsburg profitieren. Aus Ökostrom gewonnener Wasserstoff ist in der Luft- und Schifffahrt als künftige Antriebsquelle begehrt.
Um die Abhängigkeit vom europäischen Ariane-Programm zu reduzieren, hilft MT Aerospace auch ein Großauftrag von Boeing. So liefern die Bayern für die SLS heißende, fast 100 Meter lange Rakete Tankdeckel aus aufwendig geformtem Aluminium mit einem Durchmesser von rund 8,40 Metern.
Wenn die Ariane 6 einmal abhebt, ist MT Aerospace erneut Nutznießer amerikanischer Weltraum-Träume. Denn Amazon-Gründer Jeff Bezos, der wie Musk hoch hinaus ins All strebt, will mit dem Projekt Kuiper mehr als 3200 Satelliten, um global Internet zur Verfügung zu stellen, in den Himmel bringen lassen. Dafür hat er auch 18 Starts der Ariane 6 gebucht, in der reichlich Augsburger Technologie steckt.
All das lässt Steininger hoffen. „Wir müssen noch zwei Jahre überbrücken. Dann wird die Welt für uns ab 2024 besser.“Europa wolle die Ariane 6 zum Fliegen bringen und den eigenen Zugang zum Weltall behalten. „Das wird Europa gelingen“, betont er. Russland fällt für Europa als Weltraumnation wohl für viele Jahre aus. Und sollte Donald Trump wieder US-Präsident werden, ist ein sicheres europäisches Trägersystem von Vorteil.
Harte Zeiten für Beschäftigte und den Manager