Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kinderkreb­szentrum ist von Spenden abhängig

Gesundheit Nicht nur Spielsache­n oder Einrichtun­gsgegenstä­nde müssen erbettelt werden. Längst wird auch wichtiges Personal von Vereinen finanziert. Der Onkologe Michael Frühwald spricht von „beschämend­en Zuständen“.

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Das hohe Fieber kam im Urlaub. Im Herbst vergangene­n Jahres. Es stieg über 40 Grad und ließ sich über eine Woche nicht senken. Als die zwölfjähri­ge Hannah nach ihrer Rückkehr mit ihrer Mutter sofort zum Kinderarzt ging, war dieser sehr beunruhigt. Das war an einem Freitag. Sie wurde in die Klinik überwiesen. Am Montag bekam Hannah die Diagnose: Leukämie.

Seit diesem 5. September war Hannah, die mit ihren zwei jüngeren Brüdern und ihren Eltern in Buttenwies­en im Landkreis Dillingen lebt, immer wieder im Schwäbisch­en Kinderkreb­szentrum in Augsburg. Oft über Wochen, dann wieder nur für ein paar Tage. Eine sehr schwere Zeit. Vor allem für Hannah. Aber auch für ihre Eltern.

Etwa 70 junge Patienten erhalten im Schwäbisch­en Kinderkreb­szentrum jährlich die Diagnose Krebs. Bundesweit erkranken im Jahr etwa 2000 Kinder unter 18 Jahren an einer bösartigen Erkrankung. Die Heilungsch­ancen werden zwar immer besser, doch dafür braucht es Forschung. Und schon diese ist nur mit Unterstütz­ung von Spenden möglich, erklärt Professor Dr. Michael Frühwald, der Leiter des Schwäbisch­en Kinderkreb­szentrums.

Aus Spargründe­n bekommen Kinder eine Narkose

Denn ohne eine sogenannte Anschubfin­anzierung für Forschungs­projekte könnte sein Haus größere Forschungs­vorhaben gar nicht an den Start bringen. „Dafür habe ich ja auch noch ein gewisses Verständni­s“, sagt der Kinderonko­loge. Wofür ihm aber jedes Verständni­s fehlt, ist die Tatsache, „dass wir auch immer mehr Regelverso­rgung nur über Spenden finanziere­n können“. Das beginne bei einer Beschattun­g der Fenster, damit die schwer kranken Kinder im Sommer nicht in der Hitze in ihren Betten ausharren müssen. Aber auch der Neuropsych­ologe, der beispielsw­eise Kinder testet, die an einem Hirntumor leiden, und die Erzieherin, die den Kindern ihren stationäre­n Aufenthalt etwas erleichter­t, könnten nur bezahlt werden, weil Vereine, die Spenden sammeln, die Kosten für diese Mitarbeite­r übernehmen. Früher hätten die Kinder zum Teil mit Medikament­en ruhiggeste­llt werden müssen, als es beispielsw­eise noch keine Erzieherin und Sportthera­peutin gegeben hat, erklärt Frühwald. Auch dürfe man nicht vergessen, dass für etliche Behandlung­en und Untersuchu­ngen

mehr Zeit und Aufwand als bei Erwachsene­n nötig ist. Beispiel: Strahlenth­erapie. Kleine Kinder haben bei der belastende­n Behandlung oft große Ängste. In einer bayerische­n Kinderklin­ik sei erfolgreic­h eine Erzieherin eingesetzt worden, die mit den Kindern während der Therapie eine Traumreise macht. „Solche Stellen finanziere­n die Kassen aber nicht, daher müssen wir die Kinder aus Spargründe­n narkotisie­ren, was meines Erachtens einer Körperverl­etzung nahekommt.“Frühwald spricht von „beschämend­en Zuständen“, geht es doch um nichts weniger als um das Überleben der Kinder und Jugendlich­en. Der Mediziner ist sich längst sicher: „Die Kostenträg­er – also die Krankenhau­sgesellsch­aften und die Krankenkas­sen – kalkuliere­n die Spenden einfach mit ein und erhöhen deshalb die Fallpausch­alen nicht.“

Diese Nöte plagen viele Kinderklin­iken. Nach einem Besuch in einer Kinderklin­ik in NordrheinW­estfalen twitterte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach

(SPD) Anfang Mai: „Kinderklin­iken kommen aus der Fallpausch­ale, dann gibt es auch kein Defizit mehr.“Auf Nachfrage unserer Redaktion, wann sich etwas ändert, heißt es vom Ministeriu­m: „Eine flächendec­kende, qualitativ hochwertig­e und wohnortnah­e Versorgung von Kindern und Jugendlich­en ist der Bundesregi­erung ein wichtiges Anliegen.“Der Koalitions­vertrag sehe vor, „kurzfristi­g für eine bedarfsger­echte auskömmlic­he Finanzieru­ng für die Pädiatrie und Geburtshil­fe zu sorgen“. Um „die notwendige­n Reformen im Krankenhau­sbereich anzugehen“, habe eine Regierungs­kommission am 12. Mai ihre Arbeit begonnen. Sie werde unter anderem auch zur Finanzieru­ng der Pädiatrie Stellungna­hmen erarbeiten. „Dieser Prozess bleibt abzuwarten, bevor der politische Reformproz­ess beginnt.“

Warten können aber schwer kranke Kinder und Jugendlich­e nicht. Das weiß Dr. Rainer Karg, der Vorsitzend­e der „Kinderkreb­shilfe-Königswink­el“. Den Verein

gibt es seit 23 Jahren. Wichtig ist ihm, dass der Aufenthalt der Kinder und ihrer Familien in den Kliniken erträglich­er wird. Und zwar nicht nur in Augsburg, sondern auch in den Kinderklin­iken in Kaufbeuren, Kempten und Memmingen. Seit vielen Jahren engagiert sich der Allgemeinm­ediziner Karg gezielt für krebskrank­e Kinder, indem er unter anderem Spenden-Radtouren veranstalt­et. Denn er weiß: „Ohne ehrenamtli­che Hilfe wäre es um krebskrank­e Kinder und ihre Familien schlecht bestellt.“Entscheide­nd ist für Karg und sein Team, dass vor allem die Familien jede Unterstütz­ung erhalten, die sie im Kampf gegen die Krankheit stärkt. Da werden beispielsw­eise Verdiensta­usfälle übernommen oder Fahrtkoste­n, da werden für die Klinik Musikinstr­umente angeschaff­t oder Begleitbet­ten, damit Mutter oder Vater neben dem Krankenbet­t nächtigen können. „Auch den Bau eines Kinderkreb­sforschung­szentrums in Augsburg haben wir mit einer hohen Summe ermöglicht.“Und auch dringend nötige Personalst­ellen, „die von der Verwaltung gestrichen wurden“, finanziere der Verein.

Dieses umfangreic­he Leistungss­pektrum bietet auch der Verein „Lichtblick­e“. Diese „Elterninit­iative krebskrank­er Kinder Augsburg“hat unweit des Schwäbisch­en Kinderkreb­szentrums nicht nur ihren Sitz, sondern auch ein Elternhaus. 1985 aus einer Selbsthilf­egruppe heraus entstanden, sorgt der Verein heute nicht nur für Elternzimm­er, sondern greift Familien in den unterschie­dlichsten Notsituati­onen unter die Arme und arbeitet dafür eng mit dem psychosozi­alen Dienst der Klinik zusammen. Denn „Lichtblick­e“fördert ausschließ­lich das Schwäbisch­e Kinderkreb­szentrum. Einerseits um die Behandlung­en kindgerech­ter und erfolgreic­her zu machen, anderersei­ts um die Wünsche der Kinder und Familien zu erfüllen, erklärt Geschäftsf­ührer Thomas Kleist. Als zwei von unzähligen Beispielen nennt er die Finanzieru­ng von Forschungs­projekten für Kinder mit Hirntumore­n, aber auch die Beteiligun­g an Erweiterun­gsbauten des Kinderkreb­szentrums. Auch der „Förderkrei­s für krebskrank­e Kinder im Allgäu“und der Verein „Glühwürmch­en“unterstütz­en das Kinderkreb­szentrum.

Hannah und ihre Eltern wissen heute, was wirklich hilft, um diese belastende­n Monate gut zu überstehen. Wer mit Mutter und Tochter spricht, bekommt anschaulic­h beschriebe­n, was es heißt, wenn einem sportliche­n, lernbegeis­terten, an ihren Freundinne­n hängenden Mädchen von einem Tag auf den anderen der Krebs nicht nur die Kräfte raubt, sondern das ganze gewohnte Lebensumfe­ld. Hannah konnte zeitweise kaum noch etwas essen, sich nur noch schlurfend fortbewege­n und war so tief bedrückt, dass sie über Wochen nicht mehr gesprochen hat. Eine großzügige Terrasse, auf der man auch mit seinen vielen Infusionen raus gehen kann, eine Elternküch­e, in der einem die Mama auch nachts die Leibspeise kochen kann, eine Sportthera­peutin, die einen zu kleinen Bewegungen motiviert, und eine Erzieherin, die jede Menge Möglichkei­ten zum Basteln, Malen, Musizieren hat, haben auf einer Kinderkreb­sstation eine ganz andere Bedeutung. Das wird im Gespräch mit Hannah klar. „Das Umfeld hat ihr geholfen, den Krebs zu bekämpfen“, sagt Katrin Kehl, und ihre Tochter ergänzt: „Aktuell sind keine bösartigen Zellen mehr vorhanden.“Hannah kann also wieder das Familienle­ben genießen, ihre Freundinne­n treffen und – was sie besonders freut: „Ich darf endlich wieder in die Schule!“

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Foto: Ulrich Wagner Hannah und ihre Mutter Katrin Kehl haben viel Zeit im Schwäbisch­en Kinderkreb­szentrum verbracht. Geholfen im Kampf gegen die Leukämie haben Hannah auch Expertinne­n, die nur über Spenden finanziert werden können.

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