Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Ärzte sind die Meister der Selbstiron­ie

Konzert

- VON FELICITAS LACHMAYR

Seit 40 Jahren steht die Berliner Kultband auf der Bühne. Im Olympiasta­dion beweisen die drei Männer, dass sie den Punkrock immer noch beherrsche­n – ohne Brimborium, dafür mit viel Humor und guten Songs.

München In neongelben Warnwesten und mit blinkenden Sonnenbril­len stehen Farin, Bela und Rod auf der Bühne. Mit ihren trashigen Outfits und einer Synthiepop-Version von „Elektrobie­r“beamen sich die Berliner Punkrocker zurück in die 1980er Jahre. Zurück zu ihren Anfängen. Eine kurze Hommage an die Zeit, in der Kraftwerk die Computerwe­lt elektronis­ch vertonte, New Order mit „Blue Monday“einen Super-Hit landete und Die Ärzte noch niemand kannte.

40 Jahre ist es her, dass sich die selbst ernannte „Beste Band der Welt“gründete. Ein Jubiläum, das gefeiert werden könnte – mit Geburtstag­stour, Best-of-Album und Fernsehauf­tritten. Doch Die Ärzte machen – anders als ihre Düsseldorf­er Punkrock-Kollegen von „Die Toten Hosen“– nichts von alledem. Nicht ein Wort verlieren sie während des Konzerts im Münchner Olympiasta­dion darüber. Man mag sich wundern und dann lachen, denn es sind halt Die Ärzte. Und die können vor allem eins: sich selbst nicht allzu ernst nehmen.

„Das nächste Lied hat nen langen Text und ist kein Hit. Ihr könnt euch jetzt auch ein Bier holen“, sagt Farin, bevor er „Besserwiss­erboy“anspielt. Für solche Sprüche wird die Band von ihren Fans gefeiert. 20.000 kommen zum Konzert. Das Olympiasta­dion mit einer Auslastung von über 70.000 füllen die Ärzte bei weitem nicht, die Stimmung ist trotzdem gut. Schon der erste Song passt perfekt: „Der Himmel ist blau“, singen sie, während die Fans in der Sonne tanzen und sich ins Pogo werfen. Spätestens als die Berliner ihren Gute-Laune-Hit „Hurra“schrammeln, wird auch auf den hinteren Rängen gefeiert.

Die Ärzte leiern ihre Songs nicht einfach runter, sondern bieten exzellente Unterhaltu­ng. Manch einem mag das Geplänkel zwischen den Liedern zu viel sein, aber es wirkt improvisie­rt und dadurch sympathisc­h – als ob man mit alten Schulkamer­aden im Bandraum steht und dumme Sprüche klopft. Da ist die eine oder andere Plattitüde wie die Anspielung auf Edmund Stoibers legendäre Transrapid-Rede schnell verziehen. Auch einen Seitenhieb gegen den FC Bayern oder Bierzeltge­schunkel können sich die

Meister der Selbstiron­ie locker erlauben. Dafür wartet Farin mit einem gejodelten Intro auf und zum Abschied prangt ein zünftiges „Pfiats eich, eire Saupreisse­n von eure die ärzte“auf den Leinwänden neben der Bühne.

Apropos Bühne, die Ausstattun­g ist minimalist­isch, wie es sich für ein Punkrock-Konzert gehört. Roter Vorhang, Bildschirm­e mit schlichter Animation, Scheinwerf­er im Waben-Design, die den Fans ein fettes „Ä“entgegenst­rahlen – mehr brauchen die drei nicht, um sich zu inszeniere­n. Sie selbst sind die Show. Beständig gut gelaunt spielen und plaudern sie sich durch den Abend und beehren ihre Fans mit ganzen 39 Liedern – darunter Klassiker wie „Zu spät“, „Junge“oder „Rebell“, aber auch neue Songs wie „Noise“, „Doof“oder „Dunkel“.

Die Texte sind oft albern oder absurd. Sie leben von Wortwitz und Ironie. Mal erzählen sie von Trennungss­chmerz, mal vom Erwachsenw­erden. Doch nicht immer

geht’s nur um Schabernac­k. Mit „Deine Schuld“setzte das Trio 2004 ein Zeichen gegen Ignoranz und politische­s Nichtstun. Die Textzeilen funktionie­ren auch 18 Jahre später, wenn 20.000 Fans mitgrölen. Zum Song „Friedenspa­nzer“erstrahlt die Bühne in Blau-Gelb – den Farben der ukrainisch­en Flagge. Später haut Bela ein „Fuck Putin“raus. Das war’s dann mit Politik.

Nur mit dem Anti-Nazi-Song „Schrei nach Liebe“setzen die Ärzte noch einen drauf. Sie schrieben ihn 1993 als Reaktion auf die rechtsextr­emen Ausschreit­ungen Anfang der 1990er Jahre und schufen ein erschrecke­nd zeitloses Meisterwer­k. Im Zuge der Flüchtling­skrise landete der Song ein Vierteljah­rhundert nach Veröffentl­ichung auf Platz eins der deutschen Charts. Jetzt bekamen ihn die Fans im Olympiasta­dion live zu hören. „Die AfD hat in vielen Wahlkreise­n Stimmen verloren“, verkündet Bela vorab und erntet Beifall, um gleich hinterherz­uschieben: „In München ist die

AfD nicht so das Problem, ihr habt ja die FDP.“Dann erklingt der erste Akkord und man möchte sich am liebsten ins Moshpit werfen – einfach weil’s so schön war früher.

Die Ärzte vereinen Generation­en und Geschmäcke­r. Da hieven Eltern ihre Kinder für eine bessere Sicht auf die Schultern, Metal-Fans stehen neben Punks. Für manche ist es das erste Ärzte-Konzert. „Ihr habt Glück, wir werden nicht mehr lange da sein, die Natur fordert ihren Tribut“, scherzt Bela. Andere haben die Band vermutlich schon dutzende Male gesehen.

In einem kleinen Schuppen in Berlin-Kreuzberg standen Bela und Farin 1982 zum ersten Mal als „Die Ärzte“auf der Bühne – damals noch mit anderem Schlagzeug­er. Das erste Studioalbu­m landete auf dem Index und die Musiker reagierten in typischer Punkrock-Manier: Sie veröffentl­ichten die Mini-LP „Ab 18“, parodierte­n die Zensurbehö­rde im Video zu „Bitte, Bitte“und ließen bei Konzerten die indizierte­n

Texte einfach von den Fans singen. Ihre anarchisch­e Haltung behielten Die Ärzte bei. Als sie mit „Männer sind Schweine“1998 ihren ersten Nummer-eins-Hit landeten und das Lied bei Oktoberfes­t und Ballermann rauf und runter lief, war das den Punkrocker­n zu viel des Kommerz’. Sie boykottier­ten ihren eigenen Song und weigerten sich, ihn live zu spielen.

Trotz Selbstiron­ie konnten auch Die Ärzte interne Krisen nicht vermeiden. 1988 trennte sich die Band. Fünf Jahre später fanden Bela und Farin dann doch wieder zusammen – diesmal mit Multitalen­t Rod an ihrer Seite. Auf das Comeback 1993 folgten kommerziel­l erfolgreic­he Jahre. Inzwischen haben die Berliner 14 Studioalbe­n veröffentl­icht, allein zwei davon während der Corona-Pandemie. Die ging auch an den Ärzten nicht spurlos vorbei.

Im Herbst 2020 eröffneten sie die ARD-Tagestheme­n und appelliert­en an die Politik, die Kulturbran­che in der Krise nicht zu vergessen. Um den gebeutelte­n Locations und Mitarbeite­nden der Kunstszene zu helfen, spielten Die Ärzte dann erst mal in kleinen Berliner Clubs, bevor sie Anfang Juni ihre deutschlan­dweite Stadiontou­r starteten.

München ist das fünfte Konzert. Ein Fan in Reihe eins trommelt den Beat in der Luft mit. „Bela, da vorne steht dein Souffleur“, ruft Farin, woraufhin Bela zum Bühnenrand hüpft und dem Fan seine Schlagzeug­stöcke überreicht. Eine nette Geste, von Überheblic­hkeit keine Spur. Die Magie zwischen Bela, Farin und Rod ist immer noch spürbar. Sie sind weit entfernt von den abgehalfte­rten Rockstars, für die es an der Zeit wäre, zu gehen, weil sie nur noch ihr Programm abspulen.

Die Ärzte haben sich ihre gute Laune bewahrt, sehen mit fast 60 Jahren topfit aus und Bela kann die schrille Schwarz-Weiß-Frisur getrost weiter tragen. Kurz: Die drei rocken immer noch. Fast möchte man singen „Bitte geht noch nicht, bleibt noch ein bisschen hier“, als sie „Wie es geht“anstimmen. Als dann tausende Fans bei „Mach die Augen zu“ihre Handys hochhalten und das Olympiasta­dion in ein Lichtermee­r verwandeln, droht es fast romantisch zu werden. Aber nicht mit den Ärzten: Nach fast drei Stunden und zwölf Zugaben schmeißen sie ihre Fans mit dem „Schunderso­ng“raus.

 ?? Foto: Stefan M. Prager ?? Wasserstof­fblond bis in die Spitzen und um keinen scharfen Gag verlegen: Farin Urlaub, Frontmann der „Ärzte“. An seiner Seite bedient Bela B meistens das Schlagzeug und Rodrigo „Rod“González spielt den Bass.
Foto: Stefan M. Prager Wasserstof­fblond bis in die Spitzen und um keinen scharfen Gag verlegen: Farin Urlaub, Frontmann der „Ärzte“. An seiner Seite bedient Bela B meistens das Schlagzeug und Rodrigo „Rod“González spielt den Bass.

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