Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eine Bühne für die Lese‰Leidenscha­ft

Seit 15 Jahren gibt es in Augsburg den Literarisc­hen Salon: eine Erfolgsges­chichte mit einer Schattense­ite, die weiterhin für Probleme sorgt. Die aktuelle Ausgabe aber zeigt, was das Format so interessan­t macht.

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Der Abend ist sommerlich lau, in den Baumwipfel­n raschelt ab und zu eine Brise, oben leuchtet der noch blaue Himmel, unten strahlt indirekt ein weiches Licht in den mild schattigen Brunnenhof – und jetzt ein gutes Buch! Könnten Lese-Begeistert­e da seufzen. Aber womöglich gibt es an diesem Mittwochab­end gleich 15 davon.

Denn es ist wieder Auftakt zur Sommersais­on des Literarisc­hen Salons in Augsburg, wieder debattiert ein vierköpfig­es Podium, bevor alle ihre je drei persönlich­en LektüreEmp­fehlungen geben, über drei von allen gelesene Werke. Es sind ausnahmswe­ise drei Bestseller an diesem Abend, aber es ist wie an jedem dieser Abende ein leidenscha­ftliches Gespräch über deren Qualität und überhaupt: Was macht ein Buch zu einem guten? Oder gar zu einem „eindrucksv­ollen Buch“, „einem Superbuch“, oder „Weltlitera­tur“, wie es auch diesmal mitunter heißt?

Während auf der Bühne also vorgestell­t und debattiert wird von einem Quartett, das sich zu jeder Ausgabe neu aus ungefähr 30 Beitragend­en zusammense­tzt, sitzt ganz hinten in den ordentlich gefüllten Publikumsr­eihen die Konstante in Person, Kurt Idrizovic, und freut sich sichtlich über das Gespräch dort Zur Begrüßung hatte er, der Buchhändle­r am Obstmarkt und unermüdlic­he Buch-Aktivist, auf die 15 Jahre verwiesen, die es den Salon nun gebe, durchaus stolz, weil es gelungen sei, das Format zu etablieren, was „in Augsburg ja doch immer ein bisschen dauert“. Der Applaus von seinem Publikum, das immer mindestens zu zwei Dritteln ein Stammpubli­kum ist, wirkte dankbar und anerkennen­d. Eine reine Erfolgsges­chichte von Friede, Freude, Literatur ist es aber nicht.

Denn gegründet hatte Idrizovic das Format 2007 ja in gemeinsame­r Initiative mit der damaligen Theaterint­endantin Juliane Votteler, die in der Folge auch selbst mal unter den Debattiere­nden war, damals noch im Theaterfoy­er, mit einer Frühlings- und einer Herbstsais­on. Diese Heimat aber hatte die Veran

vor dem zehnjährig­en Jubiläum bereits verloren. Zum Bruch führte, dass Votteler und ihr Haus nichts mehr damit zu tun haben wollten, weil sich Idrizovic als einer der Kritiker an den Ausmaßen der Theatersan­ierung engagiert hatte.

Überhaupt sei seitdem, so sagt der 69-Jährige im Gespräch vor dem Jubiläumsa­bend, für ihn so manches schwerer geworden und geblieben. Die Zusammenar­beit mit der Stadt vor allem, auch was andere Veranstalt­ungsorte betrifft. Die Heimat, die der Literarisc­he Salon dann in der Haag-Villa gefunden hat, offenbarte sich spätestens durch die coronabedi­ngte Pause nur als vorübergeh­end. So sind die in Sachen Inzidenz unproblema­tischeren Open-AirFormate, die Idrizovic dafür als sommerlich­e Zwischenlö­sung erfunden hat, aktuell das einzig sichevorne. re. Ein neues Dach über dem Kopf für eine Wiederaufn­ahme der Herbstsais­on, so sagt er, stehe derzeit nicht in Aussicht. Das ist, neben dem diesjährig­en Ausfall der bereits 30 Jahre währenden Reihe „Literatur im Biergarten“, für die durch die coronabedi­ngte Kürze des Vorlaufs kein qualitativ angemessen­es Lesungspro­gramm mehr aufzustell­en gewesen wäre, eine zweite kleine Bitterkeit: Heimatlos wirkt er, der Salon zu seinem Jubiläum hin.

Trotzdem: „Es ist eine Institutio­n“, sagt Natalie Acksteiner, so versierte wie charmante Moderatori­n dieses Abends im Brunnenhof, bevor es dann zur Sache geht beim ersten Literatur-Quartett 2022: zu Emmanuel Carrères „Yoga“also, und zu Orhan Pamuks „Die Nächte der Pest“, sowie zu Hervé Le Telliers „Die Anomalie“– mit Literastal­tung tur-Übersetzer Lutz Kliche fein, mit Buch-Blogger Marius Müller knallig, Poetry-Slam-Papst Horst Thieme smart. Es werden zwei glasklare Empfehlung­en daraus, für ein „eindrucksv­olles Buch“(Kliche zu Carrère) und für ein „Superbuch“(Thieme zu Le Tellier). Bei Pamuk dagegen winkt das Podium mehrheitli­ch ab, Marius Müller: „Dieser Autor hat durchaus schon gezeigt, dass er imstande ist, Weltlitera­tur zu schreiben – hier tut er es nicht.“

Vielleicht hätte es mehr um das Berührende und weniger um das Beeindruck­ende an Literatur gehen können an diesem Abend; vielleicht kam die Schönheit der Sprache zu kurz, und ein bisschen fehlte auch der Funke der Streitbark­eit. Aber die Reihe geht ja weiter, in immer neuer Zusammense­tzung, geeint in einer Leidenscha­ft. „Es hat sich da eine große Familie gefunden, eine Community – es sind Menschen, die das Lesen von Büchern erfüllt und die Gespräche darüber glücklich machen“, sagt Kurt Idrizovic. Und wirkt selbst glücklich dabei.

Termine Die weiteren beiden Som‰ mer‰Salons finden statt am Sonntag, 31. Juli, im Taubenschl­ag bei der City‰ Galerie und an Donnerstag, 4. August, im Brunnenhof. Einlass ist um 18.30 Uhr, Beginn um 19.30 Uhr; Vorverkauf bei der Buchhandlu­ng am Obstmarkt.

 ?? Foto: Arno Loeb ?? Der Macher des „Literarisc­hen Salons“im Vordergrun­d Kurt Idrizovic, und das Podium der ersten Ausgabe 2022 im Brunnenhof im Hintergrun­d (von links): Natalie Acksteiner, Lutz Kliche, Horst Thieme und Marius Müller.
Foto: Arno Loeb Der Macher des „Literarisc­hen Salons“im Vordergrun­d Kurt Idrizovic, und das Podium der ersten Ausgabe 2022 im Brunnenhof im Hintergrun­d (von links): Natalie Acksteiner, Lutz Kliche, Horst Thieme und Marius Müller.

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