Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Eine Bühne für die LeseLeidenschaft
Seit 15 Jahren gibt es in Augsburg den Literarischen Salon: eine Erfolgsgeschichte mit einer Schattenseite, die weiterhin für Probleme sorgt. Die aktuelle Ausgabe aber zeigt, was das Format so interessant macht.
Der Abend ist sommerlich lau, in den Baumwipfeln raschelt ab und zu eine Brise, oben leuchtet der noch blaue Himmel, unten strahlt indirekt ein weiches Licht in den mild schattigen Brunnenhof – und jetzt ein gutes Buch! Könnten Lese-Begeisterte da seufzen. Aber womöglich gibt es an diesem Mittwochabend gleich 15 davon.
Denn es ist wieder Auftakt zur Sommersaison des Literarischen Salons in Augsburg, wieder debattiert ein vierköpfiges Podium, bevor alle ihre je drei persönlichen LektüreEmpfehlungen geben, über drei von allen gelesene Werke. Es sind ausnahmsweise drei Bestseller an diesem Abend, aber es ist wie an jedem dieser Abende ein leidenschaftliches Gespräch über deren Qualität und überhaupt: Was macht ein Buch zu einem guten? Oder gar zu einem „eindrucksvollen Buch“, „einem Superbuch“, oder „Weltliteratur“, wie es auch diesmal mitunter heißt?
Während auf der Bühne also vorgestellt und debattiert wird von einem Quartett, das sich zu jeder Ausgabe neu aus ungefähr 30 Beitragenden zusammensetzt, sitzt ganz hinten in den ordentlich gefüllten Publikumsreihen die Konstante in Person, Kurt Idrizovic, und freut sich sichtlich über das Gespräch dort Zur Begrüßung hatte er, der Buchhändler am Obstmarkt und unermüdliche Buch-Aktivist, auf die 15 Jahre verwiesen, die es den Salon nun gebe, durchaus stolz, weil es gelungen sei, das Format zu etablieren, was „in Augsburg ja doch immer ein bisschen dauert“. Der Applaus von seinem Publikum, das immer mindestens zu zwei Dritteln ein Stammpublikum ist, wirkte dankbar und anerkennend. Eine reine Erfolgsgeschichte von Friede, Freude, Literatur ist es aber nicht.
Denn gegründet hatte Idrizovic das Format 2007 ja in gemeinsamer Initiative mit der damaligen Theaterintendantin Juliane Votteler, die in der Folge auch selbst mal unter den Debattierenden war, damals noch im Theaterfoyer, mit einer Frühlings- und einer Herbstsaison. Diese Heimat aber hatte die Veran
vor dem zehnjährigen Jubiläum bereits verloren. Zum Bruch führte, dass Votteler und ihr Haus nichts mehr damit zu tun haben wollten, weil sich Idrizovic als einer der Kritiker an den Ausmaßen der Theatersanierung engagiert hatte.
Überhaupt sei seitdem, so sagt der 69-Jährige im Gespräch vor dem Jubiläumsabend, für ihn so manches schwerer geworden und geblieben. Die Zusammenarbeit mit der Stadt vor allem, auch was andere Veranstaltungsorte betrifft. Die Heimat, die der Literarische Salon dann in der Haag-Villa gefunden hat, offenbarte sich spätestens durch die coronabedingte Pause nur als vorübergehend. So sind die in Sachen Inzidenz unproblematischeren Open-AirFormate, die Idrizovic dafür als sommerliche Zwischenlösung erfunden hat, aktuell das einzig sichevorne. re. Ein neues Dach über dem Kopf für eine Wiederaufnahme der Herbstsaison, so sagt er, stehe derzeit nicht in Aussicht. Das ist, neben dem diesjährigen Ausfall der bereits 30 Jahre währenden Reihe „Literatur im Biergarten“, für die durch die coronabedingte Kürze des Vorlaufs kein qualitativ angemessenes Lesungsprogramm mehr aufzustellen gewesen wäre, eine zweite kleine Bitterkeit: Heimatlos wirkt er, der Salon zu seinem Jubiläum hin.
Trotzdem: „Es ist eine Institution“, sagt Natalie Acksteiner, so versierte wie charmante Moderatorin dieses Abends im Brunnenhof, bevor es dann zur Sache geht beim ersten Literatur-Quartett 2022: zu Emmanuel Carrères „Yoga“also, und zu Orhan Pamuks „Die Nächte der Pest“, sowie zu Hervé Le Telliers „Die Anomalie“– mit Literastaltung tur-Übersetzer Lutz Kliche fein, mit Buch-Blogger Marius Müller knallig, Poetry-Slam-Papst Horst Thieme smart. Es werden zwei glasklare Empfehlungen daraus, für ein „eindrucksvolles Buch“(Kliche zu Carrère) und für ein „Superbuch“(Thieme zu Le Tellier). Bei Pamuk dagegen winkt das Podium mehrheitlich ab, Marius Müller: „Dieser Autor hat durchaus schon gezeigt, dass er imstande ist, Weltliteratur zu schreiben – hier tut er es nicht.“
Vielleicht hätte es mehr um das Berührende und weniger um das Beeindruckende an Literatur gehen können an diesem Abend; vielleicht kam die Schönheit der Sprache zu kurz, und ein bisschen fehlte auch der Funke der Streitbarkeit. Aber die Reihe geht ja weiter, in immer neuer Zusammensetzung, geeint in einer Leidenschaft. „Es hat sich da eine große Familie gefunden, eine Community – es sind Menschen, die das Lesen von Büchern erfüllt und die Gespräche darüber glücklich machen“, sagt Kurt Idrizovic. Und wirkt selbst glücklich dabei.
Termine Die weiteren beiden Som merSalons finden statt am Sonntag, 31. Juli, im Taubenschlag bei der City Galerie und an Donnerstag, 4. August, im Brunnenhof. Einlass ist um 18.30 Uhr, Beginn um 19.30 Uhr; Vorverkauf bei der Buchhandlung am Obstmarkt.