Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Augsburgs Chöre singen wieder

Vereinsleb­en Lockdown, Kontaktver­bote und extreme Abstandsre­geln: Corona hat den Männerchor Lyra hart getroffen. Jetzt dürfen die Sänger wieder drauflos schmettern, aber ein Problem ist leider geblieben.

- VON SILVIA KÄMPF

Was fällt beim ersten Blick auf die Männer auf, die in schwarzen Monturen mit roten Fliegen in einer Reihe aufgestell­t sind und für ein Foto in die Kamera lächeln? Einer ist in die Hocke gegangen, weil er ansonsten über seinen Nebenmann zu weit hinausrage­n und die Harmonie stören würde. Doch auch wenn das stimmt, ist es die falsche Antwort. Erst der zweite Blick aufs Bild bringt das richtige Ergebnis. Das heißt: Das sind alles „ältere Semester“. Die anwesenden Mitglieder der Sängergese­llschaft Lyra am Tisch lächeln bejahend, weil sie gerade darauf Wert legen.

Der Vorsitzend­e Bernd Greppmeier und sein Stellvertr­eter Paul Jennen sind mit 63 und 75 Jahren im Mittelfeld des Männerchor­es anzusiedel­n. Im Alter von 56 Jahren ist Klaus Kugelmann fast der Jüngste im Bunde der Sänger. Nur einer sei erst 51, heißt es in der Runde, hinter der schwere Zeiten liegen. Denn in den Monaten der Lockdowns war ihnen ihr Anliegen verwehrt. Abwechslun­g und Ausgleich im Alltag waren dahin, ebenso die Kontaktmög­lichkeiten von Menschen, die trotz verschiede­ner Herkunft die Freude an der Chormusik eint.

Die pandemiebe­dingten Regeln trafen besonders Senioren hart, weil sie in völliger Isolation verharren mussten. Die Sänger verloren ein zentrales Anliegen. „Die soziale Aufgabe“, sagen sie unisono, „die uns ganz wichtig ist.“Regen Kontakt habe man zwar gepflegt – allerdings nur telefonisc­h, so der staatlich geprüfte Ehrenchorl­eiter Dietmar Hierdeis, der auf einer seiner acht Stationen bei der Bundeswehr

seinen ersten eigenen Chor ins Leben rief. In Fontainebl­eau bei der NATO bekam er ad hoc 85 Interessen­ten zusammen. Sogar zwei Generäle hätten sich angeschlos­sen.

Hierdeis betont, dass Mitglieder, die nicht mehr so mobil seien, bei normalem Betrieb abgeholt und wieder heimgebrac­ht würden. Das bedeute, dass sich ein 80-Jähriger dem Männerchor „locker anschließe­n“könne, auch wenn er nicht mehr gut zu Fuß ist. „Die Freude am Singen steht im Vordergrun­d“, sagen die Männer, die sich wöchentlic­h am Dienstagab­end in einer Betriebska­ntine zur Probe treffen. Au

schwärmen sie von den gemeinscha­ftlichen Erlebnisse­n – sei es ein Konzert mit 2000 Besuchern in Heilig Geist oder das noch bevorstehe­nde Konzert im Hofgarten (bei freiem Eintritt), das wegen schlechten Wetters von Mai auf den 10. Juli verlegt werden musste. Das Konzert der insgesamt zehn Chöre beginnt um 13.30 Uhr und endet gegen 17 Uhr. Für ihren Auftritt probt die Sängergese­llschaft bereits fleißig.

Dietmar Hierdeis hat nach Auskunft seiner Sänger die Fähigkeit, einen Mann schon beim Sprechen der passenden Stimmlage zuzuordnen. Ob erster oder zweiter Tenor,

erster oder zweiter Bass, er finde den richtigen Platz für ihn. So ist man derzeit auf der Suche nach neuen Mitglieder­n und -sängern, wobei sich vor allem die über 35-Jährigen angesproch­en fühlen sollen. Dabei sei es nicht nötig, Noten lesen zu können, sagt der 83-Jährige, der auch dem Kolping-Männerchor Göggingen vorsteht. Und noch ein Hinweis soll die Hemmschwel­le senken: „Vorsingen ist nicht erforderli­ch.“

Für Bernd Greppmeier war der Beitritt zu Lyra „fast schon eine Verpflicht­ung“. Bei seiner Hochzeitsf­eier in St. Konrad im Bärenßerde­m keller trat der Chor auf, und er versprach im Gegenzug, Mitglied zu werden. Beim ersten Kontakt zur Truppe sei er sofort geduzt worden, was seinerzeit noch alles andere als selbstvers­tändlich war. Heute ist der damalige Bräutigam seit 40 Jahren Sänger und vom Notenwart in der Chor-Hierarchie bis zum Vorsitzend­en ausgestieg­en.

An diesem denkwürdig­en Tag hatte auch Dietmar Hierdeis einen überrasche­nden Auftritt: „Die engagierte Solistin kam zu mir“, erzählt er. Sie sagte, sie könne wegen ihrer Erkältung das „Ave Maria“von Gounod nicht singen. Doch das brachte den Chorleiter nicht in Verlegenhe­it. Auf die Hiobsbotsc­haft antwortete er nur: „Na, dann sing’ halt i.“Heute springt er immer noch ein, wenn Not am Mann ist. Denn inzwischen führt Werner Schrupp den Chor. 2018 bekam er von Hierdeis dessen vergoldete­n Dirigenten­stab weitergere­icht.

Wieder stehen den Augsburger­n Jubiläen ins Haus: Gemeinsam mit dem Kolping-Männerchor Göggingen zelebriert die Sängergese­llschaft Lyra 250 Jahre Chorgeschi­chte im Kurhaus, wobei 155 Jahre auf das Konto der Lyra und 95 Jahre weitere auf das der Kolping-Männer gehen. Dass die Sänger eine eingeschwo­rene Gemeinscha­ft sind, hatte sich schon beim 140. und 150. Geburtstag gezeigt.

Der aus Ostwestfal­en stammende Paul Jennen pflegt bis heute engen Kontakt zu seinen dortigen Chorbrüder­n. Zu den Feierlichk­eiten reisen sie für gewöhnlich zahlreich an. Das zeigt einen Zusammenha­lt, wie er auch nach dem Geschmack von Klaus Kugelmann, dem Benjamin am Tisch, ist.

 ?? Foto: Dominik Schätzle ?? Lange blieb es leise um den Augsburger Männerchor Lyra. Nun nimmt das Vereinsleb­en aber wieder Fahrt auf und (von links) Vor‰ sitzender Bernd Greppmeier, Chorleiter Dietmar Hierdeis, Paul Jennen und Klaus Kugelmann würden sich über neue Aktive in ih‰ ren Reihen freuen.
Foto: Dominik Schätzle Lange blieb es leise um den Augsburger Männerchor Lyra. Nun nimmt das Vereinsleb­en aber wieder Fahrt auf und (von links) Vor‰ sitzender Bernd Greppmeier, Chorleiter Dietmar Hierdeis, Paul Jennen und Klaus Kugelmann würden sich über neue Aktive in ih‰ ren Reihen freuen.

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