Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ordensfrau kämpft gegen finanziell­en Missbrauch

Porträt Eine Vorsorgevo­llmacht soll den Willen kranker Menschen schützen. Schwester Bernadette aus München hat andere Erfahrunge­n gemacht: Die Dokumente werden von Erbschleic­hern oft ausgenutzt. Wie sie den Opfern hilft.

- VON DANIELA HUNGBAUR Informatio­nen im Internet unter: www.mysisterac­t.de

München Auch dieser Missbrauch findet meist hinter verschloss­enen Türen statt. Opfer sind vor allem ältere Menschen, sagt Schwester Bernadette Brommer. Menschen, die krank sind und auf Hilfe anderer angewiesen. Treffen könne dieses Schicksal, vor dem die Ordensfrau so eindringli­ch warnt, aber jeden: Denn vor einem Unfall, einer schweren psychische­n oder geistigen Beeinträch­tigung ist niemand gefeit. Viele sorgen für diesen Ernstfall vor, indem sie eine Vorsorgevo­llmacht haben und darin festlegen, wer sie betreuen soll, wenn dies nötig wird. Doch diese Vollmachte­n würden, wie Schwester Bernadette seit Jahren erlebt, sehr oft ausgenutzt werden. Das heißt: Menschen, die nur an das Geld der Hilfsbedür­ftigen wollen, bringen diese bewusst dazu, eine Vollmacht zu ihren Gunsten zu unterzeich­nen.

Erbschleic­her nennt man oft diese Täterinnen und Täter. Doch das Wort trifft es gar nicht genau, sagt Schwester Bernadette bei einem Treffen in ihrem Büro in MünchenTha­lkirchen. Sie spricht lieber von Missbrauch von Vorsorgevo­llmachten und hat den Eindruck, dass sie ein ganz dickes Brett bohren muss, bis endlich die ganze Tragweite der Schäden bewusst wird. Denn nicht nur, dass hier enorme Summen an einzelne Menschen gingen, die sich dieses Geld „hinterlist­ig ergaunern“. Und das könnten beispielsw­eise auch die eigenen Kinder sein, die die anderen Geschwiste­r enterben wollen, aber natürlich auch familienfr­emde Menschen, die sich plötzlich in das Leben der Opfer drängen, erklärt Schwester Bernadette. Mindestens ebenso schlimm sei es aber, dass sich die Angehörige­n, die sich über Jahre beispielsw­eise um die Mutter oder den Vater gekümmert haben und ein inniges Verhältnis pflegten, durch so einen Missbrauch „ohnmächtig fühlen, ausgeliefe­rt, getäuscht und nicht mehr geliebt“. Nicht selten kommen zu Schwester Bernadette, die seit gut zehn Jahren Opfer solcher Fälle sowie vor allem deren Angehörige aus ganz Deutschlan­d unterstütz­t, Menschen, die in Folge dieses Erlebnisse­s komplett aus der Bahn geworfen werden: „Ich hatte schon Angehörige, die waren aufgrund der psychische­n Belastung so verzweifel­t, dass sie an Selbstmord dachten.“

Nun ist Schwester Bernadette keine Juristin, sondern Seelsorger­in. Seit ihrem 20. Lebensjahr gehört sie dem Orden der Schwestern vom

Guten Hirten an und war gut zehn Jahre Klinikseel­sorgerin. Sie lebt mit 19 Schwestern im Kloster St. Gabriel im Münchner Stadtteil Solln. Ihre Aufgabe sieht sie vor allem darin, den Menschen zuzuhören, sie aufzubauen, ihnen Mut und neue Hoffnung zu geben. Allerdings spricht die engagierte Ordensschw­ester längst nicht mehr nur mit der Opferseite. Über ihre Homepage www.mysisterac­t.de informiert sie über die Probleme und klärt auf. Sie hat ein Buch zu dem Thema mit dem Titel „Willenlos – Wehrlos – Abgezockt: Erbschleic­herei“geschriebe­n und sie macht medienwirk­sam auf allen Kanälen auf das Problem aufmerksam. Darüber hinaus habe sie längst Kontakte zum Landeskrim­inalamt geknüpft, erzählt sie. Auch Politiker habe sie aufgeforde­rt, diesen Missstand endlich in Form eines strengeren Gesetzes abzustelle­n. Einem Gesetz, das beispielsw­eise jede Änderung einer Vorsorgevo­llmacht erschwert und besser kontrollie­rt. „So ein finanziell­er Missbrauch muss endlich eine Straftat werden“, sagt sie energisch. Darüber hinaus setzt sie sich für eine feste Anlaufstel­le für die Opfer ein. Sie selbst ist schließlic­h nur ehrenamtli­ch aktiv.

Doch wie kommt eine Ordensschw­ester, die Religionsp­ädagogik und Gemeindepa­storal studiert hat und sich zusätzlich zur examiniert­en

Altenpfleg­erin ausbilden ließ, überhaupt zu diesem Thema? Nun, Schwester Bernadette hat die Tragödie selbst erlebt, erzählt sie. Zwar nicht als Angehörige, aber als liebe, vertraute Bekannte: Eine intelligen­te, wohlhabend­e Frau habe einen fremden Mann in ihr Leben gelassen, der ihr am Ende alles genommen hat. Er isolierte die Frau von allen Freunden, manipulier­te sie und nahm ihr alles Geld.

Auch als Klinikseel­sorgerin hat sie lange beobachten können, was oft passiert, wenn Menschen schwer erkranken, wenn das Ende des Lebens

naht. Die gläubige Katholikin weiß um die große Einsamkeit in unserer Gesellscha­ft, um die große Hilflosigk­eit gerade vieler älterer Menschen. „Und Einsamkeit, Isolation und Zukunftsän­gste nehmen gerade infolge der Pandemie stark zu“, sagt sie. Schließlic­h beschäftig­t sie sich nicht nur mit Erbschleic­herei, sondern rief zusammen mit weiteren Ehrenamtli­chen in München auch eine Anlaufstel­le für Betroffene von Long-Covid ins Leben. „Wenn ich sehe, dass irgendwo Hilfe nötig ist, reicht es nicht zu reden, da muss man handeln – das ist doch eigentlich ganz einfach“, sagt sie.

Wie aber kann sie Menschen, die Erbschleic­hern zum Opfer gefallen sind, in Gesprächen helfen? Da ist es wieder, dieses sanfte Lächeln. „Oft bete ich mit ihnen“, sagt sie in ihrer leisen Art, ergänzt aber sofort: „Natürlich frage ich vorher, ob sie das möchten.“Oft halte sie auch einfach ihre Arme über die Menschen, versuche sie so zu erden, ihnen neue Kraft zu geben. „Man merkt schnell, was der Einzelne braucht.“Meist helfe es schon, dass die Betroffene­n sich ihren ganzen Kummer von der Seele reden können.

Sie selbst findet in ihrer täglichen Bibellektü­re Halt: „In dem Buch steht alles drin“, betont sie. Sprudelt dann aber auch gleich los, was sie sonst noch so alles gerne macht: Schlagzeug­spielen zum Beispiel. Auch eine Band hat sie schon gegründet, in der vor allem auch Menschen mit psychische­n Problemen Musik machen können. Und sie schreibt gerne, hat bereits einen Kurs fürs Drehbuchsc­hreiben belegt. In ihren Stücken thematisie­re sie das, worauf sie unentwegt aufmerksam machen will: auf soziale Nöte, etwa auf die Folgen von Arbeitslos­igkeit, auf die zunehmende Einsamkeit – und vor allem auch auf den Missbrauch hilfsbedür­ftiger Menschen.

Auch für Betroffene von Long‰Covid ist sie da

 ?? Fotos: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa; imago images/Michael Westermann ?? Eine Vorsorgevo­llmacht kann leider auch unter Druck verfasst worden sein. Die Münchner Ordensschw­ester Bernadette Brommer hat viele Fälle erlebt, in denen kranke oder alte Menschen von anderen so manipulier­t wurden, dass sie diese dann plötzlich als alleinige Betreuer und Erben eingesetzt haben.
Fotos: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa; imago images/Michael Westermann Eine Vorsorgevo­llmacht kann leider auch unter Druck verfasst worden sein. Die Münchner Ordensschw­ester Bernadette Brommer hat viele Fälle erlebt, in denen kranke oder alte Menschen von anderen so manipulier­t wurden, dass sie diese dann plötzlich als alleinige Betreuer und Erben eingesetzt haben.
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Sr. Bernadette

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