Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ordensfrau kämpft gegen finanziellen Missbrauch
Porträt Eine Vorsorgevollmacht soll den Willen kranker Menschen schützen. Schwester Bernadette aus München hat andere Erfahrungen gemacht: Die Dokumente werden von Erbschleichern oft ausgenutzt. Wie sie den Opfern hilft.
München Auch dieser Missbrauch findet meist hinter verschlossenen Türen statt. Opfer sind vor allem ältere Menschen, sagt Schwester Bernadette Brommer. Menschen, die krank sind und auf Hilfe anderer angewiesen. Treffen könne dieses Schicksal, vor dem die Ordensfrau so eindringlich warnt, aber jeden: Denn vor einem Unfall, einer schweren psychischen oder geistigen Beeinträchtigung ist niemand gefeit. Viele sorgen für diesen Ernstfall vor, indem sie eine Vorsorgevollmacht haben und darin festlegen, wer sie betreuen soll, wenn dies nötig wird. Doch diese Vollmachten würden, wie Schwester Bernadette seit Jahren erlebt, sehr oft ausgenutzt werden. Das heißt: Menschen, die nur an das Geld der Hilfsbedürftigen wollen, bringen diese bewusst dazu, eine Vollmacht zu ihren Gunsten zu unterzeichnen.
Erbschleicher nennt man oft diese Täterinnen und Täter. Doch das Wort trifft es gar nicht genau, sagt Schwester Bernadette bei einem Treffen in ihrem Büro in MünchenThalkirchen. Sie spricht lieber von Missbrauch von Vorsorgevollmachten und hat den Eindruck, dass sie ein ganz dickes Brett bohren muss, bis endlich die ganze Tragweite der Schäden bewusst wird. Denn nicht nur, dass hier enorme Summen an einzelne Menschen gingen, die sich dieses Geld „hinterlistig ergaunern“. Und das könnten beispielsweise auch die eigenen Kinder sein, die die anderen Geschwister enterben wollen, aber natürlich auch familienfremde Menschen, die sich plötzlich in das Leben der Opfer drängen, erklärt Schwester Bernadette. Mindestens ebenso schlimm sei es aber, dass sich die Angehörigen, die sich über Jahre beispielsweise um die Mutter oder den Vater gekümmert haben und ein inniges Verhältnis pflegten, durch so einen Missbrauch „ohnmächtig fühlen, ausgeliefert, getäuscht und nicht mehr geliebt“. Nicht selten kommen zu Schwester Bernadette, die seit gut zehn Jahren Opfer solcher Fälle sowie vor allem deren Angehörige aus ganz Deutschland unterstützt, Menschen, die in Folge dieses Erlebnisses komplett aus der Bahn geworfen werden: „Ich hatte schon Angehörige, die waren aufgrund der psychischen Belastung so verzweifelt, dass sie an Selbstmord dachten.“
Nun ist Schwester Bernadette keine Juristin, sondern Seelsorgerin. Seit ihrem 20. Lebensjahr gehört sie dem Orden der Schwestern vom
Guten Hirten an und war gut zehn Jahre Klinikseelsorgerin. Sie lebt mit 19 Schwestern im Kloster St. Gabriel im Münchner Stadtteil Solln. Ihre Aufgabe sieht sie vor allem darin, den Menschen zuzuhören, sie aufzubauen, ihnen Mut und neue Hoffnung zu geben. Allerdings spricht die engagierte Ordensschwester längst nicht mehr nur mit der Opferseite. Über ihre Homepage www.mysisteract.de informiert sie über die Probleme und klärt auf. Sie hat ein Buch zu dem Thema mit dem Titel „Willenlos – Wehrlos – Abgezockt: Erbschleicherei“geschrieben und sie macht medienwirksam auf allen Kanälen auf das Problem aufmerksam. Darüber hinaus habe sie längst Kontakte zum Landeskriminalamt geknüpft, erzählt sie. Auch Politiker habe sie aufgefordert, diesen Missstand endlich in Form eines strengeren Gesetzes abzustellen. Einem Gesetz, das beispielsweise jede Änderung einer Vorsorgevollmacht erschwert und besser kontrolliert. „So ein finanzieller Missbrauch muss endlich eine Straftat werden“, sagt sie energisch. Darüber hinaus setzt sie sich für eine feste Anlaufstelle für die Opfer ein. Sie selbst ist schließlich nur ehrenamtlich aktiv.
Doch wie kommt eine Ordensschwester, die Religionspädagogik und Gemeindepastoral studiert hat und sich zusätzlich zur examinierten
Altenpflegerin ausbilden ließ, überhaupt zu diesem Thema? Nun, Schwester Bernadette hat die Tragödie selbst erlebt, erzählt sie. Zwar nicht als Angehörige, aber als liebe, vertraute Bekannte: Eine intelligente, wohlhabende Frau habe einen fremden Mann in ihr Leben gelassen, der ihr am Ende alles genommen hat. Er isolierte die Frau von allen Freunden, manipulierte sie und nahm ihr alles Geld.
Auch als Klinikseelsorgerin hat sie lange beobachten können, was oft passiert, wenn Menschen schwer erkranken, wenn das Ende des Lebens
naht. Die gläubige Katholikin weiß um die große Einsamkeit in unserer Gesellschaft, um die große Hilflosigkeit gerade vieler älterer Menschen. „Und Einsamkeit, Isolation und Zukunftsängste nehmen gerade infolge der Pandemie stark zu“, sagt sie. Schließlich beschäftigt sie sich nicht nur mit Erbschleicherei, sondern rief zusammen mit weiteren Ehrenamtlichen in München auch eine Anlaufstelle für Betroffene von Long-Covid ins Leben. „Wenn ich sehe, dass irgendwo Hilfe nötig ist, reicht es nicht zu reden, da muss man handeln – das ist doch eigentlich ganz einfach“, sagt sie.
Wie aber kann sie Menschen, die Erbschleichern zum Opfer gefallen sind, in Gesprächen helfen? Da ist es wieder, dieses sanfte Lächeln. „Oft bete ich mit ihnen“, sagt sie in ihrer leisen Art, ergänzt aber sofort: „Natürlich frage ich vorher, ob sie das möchten.“Oft halte sie auch einfach ihre Arme über die Menschen, versuche sie so zu erden, ihnen neue Kraft zu geben. „Man merkt schnell, was der Einzelne braucht.“Meist helfe es schon, dass die Betroffenen sich ihren ganzen Kummer von der Seele reden können.
Sie selbst findet in ihrer täglichen Bibellektüre Halt: „In dem Buch steht alles drin“, betont sie. Sprudelt dann aber auch gleich los, was sie sonst noch so alles gerne macht: Schlagzeugspielen zum Beispiel. Auch eine Band hat sie schon gegründet, in der vor allem auch Menschen mit psychischen Problemen Musik machen können. Und sie schreibt gerne, hat bereits einen Kurs fürs Drehbuchschreiben belegt. In ihren Stücken thematisiere sie das, worauf sie unentwegt aufmerksam machen will: auf soziale Nöte, etwa auf die Folgen von Arbeitslosigkeit, auf die zunehmende Einsamkeit – und vor allem auch auf den Missbrauch hilfsbedürftiger Menschen.
Auch für Betroffene von LongCovid ist sie da