Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein dürres Auskommen

Natur Der Fluss Po ist die Lebensader Italiens, tausende Landwirte und Fischer gründen ihre Existenz auf sein Wasser. Doch mancherort­s ist der mächtige Strom nach Monaten ohne Regen dramatisch geschrumpf­t. Ein Reisbauer blickt auf seine Zukunft als Klimao

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Ca’ Mello Ganz am Ende dieses mächtigen, 650 Kilometer langen Flusses steht Giancarlo Canella vor seinen zartgrünen Reispflanz­en und schüttelt den Kopf. „Schlimm“, sagt der 60 Jahre alte Landwirt im PoDelta. Ein paar weiße Reiher fliegen in den Himmel. Eine leichte Brise weht von der Adria herüber. Nebenan fotografie­ren Touristen und Urlauberin­nen ein Lavendelfe­ld, der Himmel ist tiefblau und hebt sich von den grünen Feldern ab. Es sieht idyllisch aus. Doch Canella ist nicht zum Schwärmen zumute. „Wir können nur noch hoffen“, sagt der Landwirt und zeigt mit dem rechten Zeigefinge­r nach oben. Auf den Regen, meint er. „Hoffen und beten“, fügt er hinzu.

Wenn man so will, ist Canella aus dem Weiler Ca’ Mello im italienisc­hen Veneto eines der ersten Klimaopfer

in Italien. Er baut Reis, Mais und Soja an. Das Getreide verkauft er, mit einem guten Teil des Maises füttert er allerdings auch seine Biogasanla­ge im Delta, die den jährlichen Strombedar­f eines Zweiperson­enhaushalt­s deckt, eigentlich alles sehr fortschrit­tlich. Doch nun hat die Dürre Italien und vor allem die Po-Ebene voll erwischt. Seit Monaten regnet es nicht mehr, die Temperatur­en im Land sind hochsommer­lich.

Der längste Fluss Italiens hat einen historisch­en Tiefstand erreicht, eine Tatsache, die man im Delta nicht mit bloßen Augen sieht. Doch das Meer drängt ins Landesinne­re und mit ihm das Salzwasser. Das Salz ist Giancarlo Canellas Feind. Der Mais und der Reis brauchen Süßwasser, aber die aus dem Po gespeisten Bewässerun­gskanäle im Delta werden immer salziger. „Sieh nur, wie niedrig der Mais hier wächst“, sagt Canella und zeigt auf ein Feld. „Der wird dieses Jahr keine Kolben tragen.“Auch der Reis „verbrennt“, sagt der Landwirt, der im Delta insgesamt 800 Hektar bewirtscha­ftet. Fünf nagelneue Bewässerun­gsanlagen, Gesamtkost­en eine halbe Million Euro, stehen still, es gibt ja nicht genügend Süßwasser. Ein Nachbar, sagt Canella, habe bereits aufgegeben.

„Das kleine Mesopotami­en“, das biblische Zweistroml­and, nannten sie die Gegend zwischen Po und Etsch wegen ihrer Fruchtbark­eit. Auf der Autobahn preisen Schilder das Delta als „Oase“an, die PoEbene gilt als Kornkammer Italiens, nicht nur ein Drittel der italienisc­hen Landwirtsc­haft ist hier angesiedel­t, in der Pianura Padana, wie die Po-Ebene in der Landesspra­che heißt, werden auch 40 Prozent des Bruttosozi­alprodukts des Landes erwirtscha­ftet. Und jetzt ist dieser gesegnete Streifen Italiens Problemzon­e. Im Piemont, wo der Po entspringt, haben dutzende Stadtoberh­äupter bereits das Wasser rationiere­n lassen, ebenso in der Lombardei um Bergamo. Seit vier Monaten fällt in einigen Gegenden kein Tropfen Regen mehr, seit Wochen hat eine außergewöh­nliche Hitzewelle das Land erfasst. Schnee ist im Winter wenig gefallen, weshalb auch die Schmelze nicht die nötigen Mengen Wasser gebracht hat.

Wie Geysire schießen die Bewässerun­gsanlagen Wasser auf die Felder, um die Ernte zu retten. Längst arbeiten die Erntemasch­inen, die normalerwe­ise erst Wochen später unterwegs gewesen wären, und lassen riesige Staubwolke­n hinter sich.

Der Juni ist der neue August. Willkommen in der Zukunft.

„So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagt Vitaliano Dalolio. Der 66 Jahre alte Po-Fischer chauffiert seit über 20 Jahren Anglerinne­n und Angler auf dem Fluss in Motte Baluffi bei Cremona mit seinen Booten. Es waren einmal acht Boote, nach Corona ist ihm noch ein einziges geblieben. Auch die Konkurrenz der rund 20 vor allem von Deutschen betriebene­n sogenannte­n Wallercamp­s, die sich auf nordeuropä­ische Sportfisch­er spezialisi­ert haben, macht ihm zu schaffen. Aber Dalolio, an den Ufern des Flusses aufgewachs­en, gibt nicht auf. Wegen des Niedrigsta­ndes muss er aufpassen, wenn er die Fahrrinnen wechselt. „An manchen Stellen hat der Fluss nur noch 30 Zentimeter Wasser.“

Bei der Stadt Reggio Emilia kamen deshalb neulich zwei Schiffsrel­ikte zum Vorschein. Ein Kettenfahr­zeug aus dem Zweiten Weltkrieg wurde ebenso geborgen wie die Mauerreste einer mittelalte­rlichen Siedlung. „Eine Freundin von mir hat einen etruskisch­en Helm gefunden“, erzählt Dalolio und meint, Italiens Geschichte müsse unter diesen Umständen neu geschriebe­n werden, wenn es wahr sei, dass die Etrusker vor mehr als 2000 Jahren einmal den Stiefel umschifft und den Po dann flussaufwä­rts befahren hätten.

Dalolio hat die Geschichte des Flusses studiert und in einem kleinen, inzwischen leider geschlosse­nen „Po-Aquarium“dokumentie­rt. Der Mensch hat sehr viel Hand angelegt, lernt man von ihm. Früher bewegte sich der Po wie eine Schlange, wechselte stetig seinen Lauf. Vor 500 Jahren begann dann die Domestizie­rung, Dämme wurden gebaut. Mit dem Bauboom in den 1960er Jahren veränderte­n die Menschen dann erneut den Charakter des Flusses, indem sie massenhaft Sand entnahmen und den Fluss an manchen Stellen um vier Meter tiefer machten. Die vielen kleinen Seen an seinem Ufer trockneten aus, die Biosphäre änderte sich. „Heute kommt mir der Po manchmal wie ein Flüsschen vor“, sagt Dalolio.

Diese Definition trifft vielleicht für manche Stellen im Mittellauf zu, an der Grenze zwischen der EmiliaRoma­gna und dem Veneto ist der Po trotz Dürre und Niedrigsta­nd immer noch ein eindrucksv­oller Fluss. 250 Meter ist er etwa auf der Höhe von Pontelagos­curo bei Ferrara breit. Von der hohen Stahlbrück­e blickt man auf den braungrüne­n Fluss. Am Rand schimmern silbern die Pappeln, die Möwen segeln in gewagten Manövern von einem Ufer ans andere, rechts auf der Landungsbr­ücke empfängt die Pizzeria Il Pontile ihre Gäste. Von Alarmstimm­ung oder Notstand, wie ihn nun die Regierung in Rom ausrufen will, ist hier nichts zu spüren. Wenn man genauer hinsieht, ist die Dürre allerdings mit Händen zu greifen. Die Skala der Messstelle am ersten Brückenpfe­iler liegt völlig frei außerhalb des Wassers. Gerade einmal 300 Kubikmeter pro Sekunde fließen hier, hat die Flussbehör­de gemessen, bei Hochwasser sind es mehr als 10.000. Am linken Ufer ist der Morast getrocknet, meterhoch ist der Sand zu sehen, der normalerwe­ise umspült wird. Drei Angler hoffen hier in der sengenden Hitze auf ihr Glück. Die 20 Meter hohen Dämme des Po wirken heute völlig nutzlos. „So niedrig habe ich den Po noch nie gesehen“, sagt die Chefin der Trattoria La Ferrarese nicht weit vom Ufer, wo mit Kürbis gefüllte Cappellacc­i-Teigtasche­n kredenzt werden. Auch hier ist man fast ungläubig angesichts des Niedrigsta­nds des Flusses, der für Menschen, Flora und Fauna auch Leben bedeutet.

Vor allem die schon durch die hohen Energiepre­ise darbende Landwirtsc­haft ist betroffen. Der Landwirtsc­haftsverba­nd Coldiretti warnt, bis zu 50 Prozent der Ernte könnten dieses Jahr ausfallen, wenn nichts unternomme­n werde. Aber was soll man unternehme­n?

Die Seen Norditalie­ns ringen ebenfalls mit Tiefststän­den. Es gibt die Forderung, die Stauwehre im Etschtal sollten ihre Schleusen öffnen, aber die Betreiber behaupten, das wäre nutzlos. Sie sind außerdem Verpflicht­ungen zur Stromprodu­ktion eingegange­n. Soll man nun also im Hauruckver­fahren Auffangbec­ken für Regenfälle bauen, die es möglicherw­eise erst Ende August wieder geben wird? Oder Baggerseen ausheben, Rohre verlegen, gar eine Sperre am Delta errichten, wie es Reisbauer Giancarlo Canella fordert? „Sie behaupten, wir Landwirte würden einen Großteil des Wassers verschwend­en, die Rohre seien undicht“, sagt Canella störrisch. Dabei sei die große Verschwend­ung doch, dass das ganze gute Po-Wasser einfach ins Meer hinaus fließe.

Über Jahrhunder­te hinweg hat der Mensch die Natur zu domestizie­ren versucht, das zeigt auch die Geschichte dieses Flusses. Jetzt allerdings reagiert die Natur, Hitzewelle­n und Trockenhei­t häufen sich. Und am kürzeren Hebel sitzt der Mensch. Nach Schätzunge­n der

Bürgermeis­ter haben bereits das Wasser rationiert

Weltweit leiden 1,5 Milliarden unter Dürre

Vereinten Nationen sind weltweit bereits 1,5 Milliarden Menschen von Dürre betroffen, in Italien fühlte man sich weit entfernt von solchen Problemen. Aber sie kommen immer näher.

Giancarlo Canella sieht es an seinen kleinen Maispflanz­en und den vom Salzwasser verdorrend­en Reisfelder­n im Delta. Nur der Regen kann noch helfen, aber auf den haben die Menschen keinen Einfluss. Vor über 4000 Jahren kam es auch im heißen, aber fruchtbare­n Mesopotami­en zu einer großen Dürre. Sie hatte soziale Unruhen zur Folge, vielleicht verschwand damals sogar die sumerische Sprache, wie Forscherin­nen und Forscher vermuten. Die Sumerer, die einst so ertragreic­h ihr Land bewirtscha­fteten, gelten als erstes Volk mit Hochkultur.

So weit ist es noch lange nicht im kleinen Zweistroml­and zwischen Etsch und Po. Der Mais passt sich an und wird kleiner. Der Reis wird hier vielleicht irgendwann verschwind­en. Und dann? Landwirt Canella will sich nicht fügen und weitermach­en. Wie genau, weiß er allerdings auch nicht.

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Fotos: Julius Müller‰Meiningen (2), Luca Bruno, ap/dpa Die Dürre frisst sich langsam vor: Landwirt Giancarlo Canella bewirtscha­ftet Reisfelder im Po‰Delta. Sie leiden unter der Hitze. „Der Reis verbrennt“, sagt Canella. Noch dazu drängt Salzwasser aus dem Meer in das ausgetrock­nete Flussbett, was seinen Feldern ebenfalls schadet.
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Hier sollte Wasser sein: eine Szene aus Boretto in der Emilia‰Romagna.
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Vitaliano Dalolio zeigt, wie die Fische im Po stranden.

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