Augsburger Allgemeine (Land Nord)
So schafft sich die Linke selbst ab
Leitartikel Der Partei laufen die Wähler davon, weil ihre Politiker zuvor den Wählern davongelaufen sind. Kann eine neue Parteispitze das Blatt noch wenden?
Wenn sich die Linkspartei an diesem Wochenende zum Bundesparteitag trifft, läutet im Hintergrund die Totenglocke. Gelingt es in Erfurt nicht, die Reihen zu schließen, ist das Ende kaum mehr abzuwenden. Dabei ist es gerade mal 15 Jahre und ein paar Tage her, dass sich die Mitglieder der ostdeutschen PDS und der westdeutschen WASG in der Dortmunder Westfalenhalle jubelnd in den Armen lagen. Aus zwei Parteien war eine geworden, die Linke. Sie feierte einige Erfolge, schaffte es in alle ostdeutschen und einige westdeutsche Landtage sowie in manche Landesregierung. In Thüringen stellt sie mit dem pragmatischen Bodo Ramelow sogar den Ministerpräsidenten. Doch jetzt steht die Partei vor der Selbstzerstörung.
Bei den vergangenen zehn Wahlen in Bund und Ländern setzte es nur Einbußen, nur dank dreier Direktmandate ist die Linke überhaupt noch im Bundestag. Dann auch noch ein hässlicher Skandal, junge Parteimitglieder werfen älteren sexuelle Übergriffe vor. Für eine Partei, die in Teilen einen hochmoralischen Feminismus pflegt, könnte wenig peinlicher sein. Entnervt warf mit Susanne Hennig-Wellsow ein Teil der Doppelspitze hin. Janine Wissler, deren ehemaliger Lebensgefährte in die Sexaffäre verwickelt scheint, führt die Partei seither alleine, tritt auch wieder an, wenn in Erfurt ein neues Spitzendoppel gewählt wird. Doch sie und die drei Mitbewerber stehen im Kreuzfeuer der Kritik ihrer Parteifreunde, die sich entlang unterschiedlicher ideologischer Lager gruppieren.
In der Schlammschlacht um die Führung verbreitern sich alte Bruchlinien, manifestieren sich die zahlreichen offenen Widersprüche und ungelösten Fragen, die seit der Parteigründung für schwelenden Groll sorgen. Das beginnt schon mit den tiefen Wurzeln in der Sozialistischen Einheitspartei der untergegangenen DDR, der viele LinkenAnhänger bis heute nachtrauern. Ein problematisches Erbe, das nie ehrlich aufgearbeitet wurde. Zu den Altlasten gehört auch ein schwärmerisches Verhältnis zu Russland. Nicht gerade ein politisches Verkaufsargument, während alle Welt sieht, wie brutal russische Truppen in der Ukraine wüten. Wenn Teile der Partei, darunter ihre Ikone
Sahra Wagenknecht, lieber die USA für den Krieg mitverantwortlich machen, ist sogar Gregor Gysi entsetzt. Die einzigen beiden einem größeren Publikum bekannten bundespolitischen Köpfe sind so zerstritten wie die ganze Partei, aber ohne wichtige Funktionen.
Wagenknecht hat weiten Teilen ihrer Partei vorgeworfen, zu einer „Lifestyle-Linken“mutiert zu sein, großstädtischen Fanatikern einer überbordenden Identitätspolitik, die sich lieber um die Feinheiten der sensiblen Sprache streitet, als sich dem Klassenkampf zu widmen. Im Bemühen, immer enger definierte Minderheiten vor tatsächlicher oder empfundener Diskriminierung zu schützen, habe die Funktionärskaste ihren Draht zu den Menschen verloren, die sich ihren kargen Lohn als Servicekräfte oder Paketbotinnen verdienen oder mit Sozialleistungen überleben müssen. Nun laufen die Wähler in Scharen davon, zur SPD und den Grünen, aber auch zur AfD, die Zuwanderer als Konkurrenten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt darstellt, was auch bei einem Teil der Linken-Klientel verfängt.
Auf der Strecke blieb die programmatische Erneuerung. So kommt die Partei in der Sozialpolitik über plumpe Forderungen nach immer mehr Umverteilung bis hin zu Enteignungen nicht hinaus. Die Außenpolitik ist von AmerikaHass geprägt, die Innenpolitik von einem Misstrauen gegenüber der Polizei. Gelingt in Erfurt nicht die radikale Kehrtwende, wird die Linke zu ihrem eigenen Totengräber.
Viele Linke trauern der DDR noch nach