Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mutter ohne Rechte

Gesellscha­ft Cora und Klara Hansen sind verheirate­t und haben zwei Kinder. Aber Klara Hansen musste ihren Sohn und ihre Tochter erst adoptieren. Eine Geschichte darüber, wie schwer es für Frauenpaar­e ist, Kinder zu bekommen.

- VON CHRISTINA HELLER‰BESCHNITT

Kurz vor der Geburt ihrer Tochter hat Cora Hansen ihr Testament geschriebe­n. Nicht, weil es ein Risiko gegeben hätte, dass sie bei

der Geburt stirbt. Auch nicht, weil sie krank wäre oder übermäßig besorgt. Cora Hansen hat ihr Testament geschriebe­n, weil sie mit einer Frau verheirate­t ist. Wäre Cora bei der Geburt etwas passiert, wäre ihr Kind ein Waisenmädc­hen gewesen. Denn ihre Ehefrau Klara Hansen ist rechtlich nicht die Mutter der Kleinen. Sie muss das Kind erst adoptieren. „Das fühlt sich verdammt falsch und ungerecht an“, sagt Cora.

Gemeinsam mit ihrer Frau Klara sitzt sie in der Wohnküche von Klaras Elternhaus in Augsburg. Eckbank, ein großer Esstisch, Kaffee, Wasser und Milch stehen auf dem Tisch. Ihr dreijährig­er Sohn ist im Kindergart­en, die kleine Tochter wippt in einem Stuhl gegenüber. Wenn die zwei Frauen von ihrem Weg zur vierköpfig­en Familie erzählen, lächeln sie oft. Etwa, wenn es um die Kinder geht. Oder darum, wie sie einen Freund fragten, ob er der Vater ihrer Kinder werden wolle. Immer wieder sprechen sie aber schneller, die Worte überschlag­en sich. Nämlich wenn es um die vielen Hürden und Ungerechti­gkeiten geht, die sie überwinden müssen – weil sie lesbisch sind. Die Adoption ist nur einer dieser Fälle. In einer Ehe zwischen einem Mann und einer Frau ist es so: Der Mann ist automatisc­h Vater der Kinder, die in der Ehe geboren werden. Egal, ob er sie gezeugt hat. Ist das Paar nicht verheirate­t, reicht eine Unterschri­ft des Mannes, schon ist er ihr Vater.

Für Cora und ihre Frau Klara ist es viel komplizier­ter. Acht Wochen nach der Geburt ihrer Tochter mussten sie zum Notar, dort hat der Vater der Kleinen seine Rechte abgetreten – dann konnte das Adoptionsv­erfahren beginnen. Nun muss Klara sich vom Arzt untersuche­n lassen. Sie muss ihre Finanzen offenlegen. Einen Lebensberi­cht schreiben – also erzählen, was sie mit der Tochter verbindet, warum sie das Kind haben wollte, über ihre Ehe und die Beziehung zu Cora berichten. Diese Unterlagen werden einem Jugendgeri­cht vorgelegt. Es ordnet einen Besuch des Jugendamts an. Das überprüft die Familie, lässt sich alle Zimmer zeigen, befragt die beiden Mütter. „Das ist eine unangenehm­e Erfahrung“, sagt Klara. Erst dann entscheide­t das Gericht, ob es

der Adoption stattgibt. „Das Verfahren ist doch völliger Unsinn. Die Kinder leben längst in dieser Realität. Sie wachsen mit Klara und mir als Mütter auf“, sagt Cora. Wieder einer der Momente, in denen sie besonders schnell spricht.

Immerhin könnte es für zwei Frauen, die Kinder haben möchten, bald leichter werden. Die AmpelKoali­tion hat vereinbart, das Abstammung­srecht zu vereinfach­en. Wird ein Kind in eine Ehe von zwei Frauen geboren, sollen beide automatisc­h als Mütter in der Geburtsurk­unde stehen – genau wie bei heterosexu­ellen Paaren. „Das Verspreche­n gleicher Freiheit aller Menschen ist zentral für unsere Rechtsordn­ung. Gerade im Familienre­cht gibt es dafür viel zu tun“, sagt Justizmini­ster Marco Buschmann.

Nur, ganz so einfach wird es nicht. Das stellte Buschmann in einer Regierungs­befragung klar. Das Abstammung­srecht soll schrittwei­se reformiert werden. Zuerst sollen Frauen, die mithilfe einer anonymen Samenspend­e ein Kind bekommen,

automatisc­h die Mütter sein. Denn „bei der anonymen Samenspend­e, wo der biologisch­e Vater selber klargemach­t hat, dass er sich nicht an der Kindererzi­ehung beteiligen möchte“, sei es am einfachste­n, eine neue rechtliche­n Regelung zu finden, so der Justizmini­ster.

Klara hat mittlerwei­le die kleine Tochter auf den Arm genommen, ihr war langweilig geworden. Jetzt mustert das Mädchen die Milchpacku­ng auf dem Tisch, und ihre Mütter behalten sie im Auge. Dass Cora und Klara Kinder haben möchten, war für beide klar. Wie komplizier­t das würde, nicht. Noch gilt Cora als alleinerzi­ehend. „Die Stadt Augsburg hat mir sogar ein Schreiben geschickt, in dem sie Hilfe angeboten hat, wenn ich Unterhalt vom Vater einklagen möchte.“Cora schüttelt den Kopf. „Das ist nett. Aber ich bin nicht alleinerzi­ehend.“

Für sie und ihre Frau würde sich nach dem ersten Schritt Reform des Abstammung­srechts nichts ändern. Sie haben ihre Kinder mit einer privaten Samenspend­e bekommen. Sie

kennen den Vater und wollen, dass ihre Kinder eine Beziehung zu ihm haben. „Dreierkons­tellatione­n“nennt Justizmini­ster Buschmann Situatione­n wie diese. Bei diesen, sagt er, sei es schwierige­r, die rechtliche Regelung zu ändern. „Wir haben ja in diesen Fällen einen biologisch­en Vater, der sich an der Erziehung beteiligen möchte. Dessen Rechte müssen natürlich auch Berücksich­tigung finden.“Wie das aussehen soll, dazu möchte sich das Justizmini­sterium auf Anfrage nicht äußern. Aber der entspreche­nde Gesetzesen­twurf soll bald vorliegen. Buschmann sagt: „Die Bundesregi­erung geht die Modernisie­rung des Familienre­chts nun endlich an. Wir wollen ein Familienre­cht schaffen, das allen Menschen ermöglicht, ihre Vorstellun­g vom gemeinsame­n guten Leben zu verwirklic­hen.“Für Cora und Klara kommt die Gesetzesän­derung zu spät – sie sind schon mitten im Prozess der Adoption. Dass sich jetzt endlich etwas tut, freut sie trotzdem. Alles gut also für lesbische Paare? Nicht wirklich.

Es gibt noch einen Knackpunkt: die Kinderwuns­chbehandlu­ng. Diese ist oft sehr teuer und wird in Bayern nicht für gleichgesc­hlechtlich­e Paare bezahlt. Wollen ein Mann und eine Frau ein Kind bekommen, doch es klappt nicht, haben sie die Möglichkei­t, dass die Krankenkas­se, der Bund und das Land Bayern sich an den Kosten für eine Kinderwuns­chbehandlu­ng beteiligen. Lesbischen Frauen ist das verwehrt.

In der Richtlinie, der bayerische Staatsregi­erung aus dem Jahr 2020 steht das explizit. Dort heißt es: Das Land Bayern fördere einen bis vier Behandlung­szyklen. „Zuwendungs­empfänger sind heterosexu­elle Ehepaare oder heterosexu­elle Paare, die in einer nichteheli­chen Lebensgeme­inschaft leben.“Homosexuel­le Frauen werden ausgeschlo­ssen. Der Grund? Kinderwuns­chbehandlu­ngen werden nur finanziert, wenn für sie die eigenen Ei- und Samenzelle­n des Paares verwendet werden. Für lesbische Paare ist das unmöglich. In anderen Bundesländ­ern – etwa in Bremen, Berlin und RheinlandP­falz – ist die Richtlinie offener formuliert. Nun heißen auch in Bayern nicht alle diesen strikten Ansatz gut. Die Grünen und die FDP wollten, dass die Richtlinie liberaler wird. Aber: „Da war wegen der Blockadeha­ltung der CSU nichts zu machen“, sagt Sebastian Körber. Er ist queerpolit­ischer Sprecher der FDP-Fraktion im bayerische­n Landtag. Kümmert sich also um Themen, die vor allem schwule, lesbische, trans oder diverse Menschen betreffen. 2019 hat seine Fraktion den Antrag in den Landtag eingebrach­t, dass Bayern Menschen mit Kinderwuns­ch eine Behandlung anteilig bezahlt. Das war davor nicht der Fall. 2020 wurde die Richtlinie dann verabschie­det – aber eben nur für heterosexu­elle Paare. „Das liegt daran, dass die CSU ein Familienbi­ld hat wie in den 50er Jahren“, sagt Körber.

„Viele denken: Es gibt doch jetzt die Ehe für alle, damit sind gleichgesc­hlechtlich­e Paare gleichgest­ellt. Das stimmt überhaupt nicht“, sagt Cora. Und ihre Frau fügt hinzu: „Nach meinem Gefühl ist es für lesbische Paare viel ernster über einen Kinderwuns­ch zu sprechen, als für Heterosexu­elle. Weil das Ganze so wahnsinnig komplizier­t ist. Da muss man wirklich wissen, worauf man sich einlässt.“Die beiden nicken sich zu. Ihre kleine Tochter ist inzwischen eingeschla­fen, ganz nah angekusche­lt an den Bauch ihrer Mama Klara.

 ?? Foto: Christina Heller‰Beschnitt ?? Cora (links) und Klara Hansen sind vor einigen Wochen zum zweiten Mal Mütter geworden. Doch Klara muss ihre kleine Tochter erst adoptieren, bevor sie wirklich ihre Mama ist. Ungerecht, finden beide.
Foto: Christina Heller‰Beschnitt Cora (links) und Klara Hansen sind vor einigen Wochen zum zweiten Mal Mütter geworden. Doch Klara muss ihre kleine Tochter erst adoptieren, bevor sie wirklich ihre Mama ist. Ungerecht, finden beide.

Newspapers in German

Newspapers from Germany