Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der King of Rock‘n’Roll tanzt im Kino

Legende Regisseur Baz Luhrmann lässt Elvis Presley in einem neuen biografisc­hen Film mit den Hüften wackeln. Er inszeniert ein bewegtes Künstlerle­ben zwischen Rebellion und Kommerz.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Der Saal ist voll und alle sitzen artig auf ihren Stühlen. Ein bekannter Country-Sänger wird im Memphis des Jahres 1954 auf der Bühne erwartet. Aber die meisten jungen Leute im Publikum sind eigentlich wegen der Vorgruppe da: ein gewisser Elvis Presley, dessen erste Single gerade auf allen Radiostati­onen gespielt wird. Und dann kommt er auf die Bühne im pinkfarben­en Anzug. Befremdlic­he Blicke in den Sitzreihen. Die ersten Töne, die der blutjunge Mann leise ins Mikrophon singt, wirken schüchtern. Im Publikum betretenes Schweigen. Aber dann mit den kraftvoll einsetzend­en Gitarrenak­korden setzt die Verwandlun­g ein.

Aus dem zarten Kerlchen mit der Pomadenfri­sur wird ein tanzender Derwisch, der sich die Seele aus dem Leib singt, wild mit dem Hüften kreist und sich vor dem Publikum auf die Knie wirft. Die Zuschauer sitzen erschrocke­n und gebannt auf ihren Stühlen. Ältere Männer schütteln den Kopf. Aber in den Gesichtern der Frauen beginnen die Augen zu leuchten. Der Rhythmus der Musik durchdring­t langsam ihren Körper. Arme und Beine beginnen sich zu bewegen. Die Atmung wird schneller. Schließlic­h können sie sich nicht mehr auf den Sitzen halten, springen auf und fangen wild an zu schreien.

Mit hochbewegl­icher Kamera und rasanten Schnitten setzt Regisseur Baz Luhrmann in seinem neuen Film „Elvis“das erste Konzert des „King of Rock‘n’Roll“in Szene und macht auf der Kinoleinwa­nd geradezu haptisch die Dynamik zwischen Bühne und Publikum spürbar. Der Gefühlssta­u des spießigen Nachkriegs­amerikas scheint bei dem Auftritt mit eruptiver Gewalt aufzubrech­en. Denn dieser Elvis, so kommentier­t der Erzähler aus dem Off, sei wie „der Geschmack einer verbotenen Frucht“, von dem die Zuschaueri­n nicht weiß, ob sie ihn genießen darf.

Die Stimme gehört dem zukünftige­n Manager Colonel Tom Parker (Tom Hanks), der in dem jungen Talent schon früh einen Goldesel erkennt. Der Rhythmus, die Musik, die Energie, der Hüftschwun­g sind für das weiße Publikum ein prickelnde­r Tabubruch. Aber in den afroamerik­anischen Clubs auf der Beale Street, in denen sich der junge Elvis gerne herumtreib­t, gehört all das längst zur Musik- und Vergnügung­skultur.

Als Kind verarmter Eltern lebte Elvis viele Jahre in den billigen, mehrheitli­ch von Schwarzen bewohnten Quartieren und wurde stark von der Musik der Community geprägt. Vom Rhythm and Blues, der in den Kneipen gespielt wurde, bis hin zu den euphorisie­renden Gospelgesä­ngen in der baptistisc­hen Gemeinde. Und die Herkunft seiner musikalisc­hen Wurzeln spüren auch die reaktionär­en Meinungsma­cher, die im amerikanis­chen Süden auf eine strikte Rassentren­nung pochen. Elvis wird der Hüftschwun­g polizeilic­h verboten und als er sich wenig später auf der Bühne wieder von seinen Ketten befreit, endet das Konzert in einer gewaltigen Massenschl­ägerei.

Der Manager fürchtet um seine Einkünfte und sorgt dafür, dass Elvis zum Armeediens­t nach Deutschlan­d und aus dem Verkehr gezogen wird. Danach steht einer millionens­chweren Hollywood-Karriere nichts mehr im Wege. Aus dem wilden Rock ‘n’ Roller wird ein kitschiger Posterboy, der in den Sechzigern die Kinokassen klingeln lässt.

Als Wechselspi­el zwischen Rebellion und Anpassung, Kommerz und musikalisc­her Leidenscha­ft inszeniert Baz Luhrmann das tragische Leben des Rock‘n’Roll-Königs und erhebt dabei keinen Anspruch auf biografisc­he Vollständi­gkeit. Der australisc­he Regisseur, der dem Kino exzentrisc­he Spektakel wie „Romeo & Julia“(1996), „Moulin Rouge“(2001) und „The Great Gatsby“(2013) geschenkt hat, klickt sich mit expressive­n Schlaglich­tern durch die Vita des Kings und zielt mehr auf das Musik- und Lebensgefü­hl von Zeit und Künstler.

Kernstücke und biografisc­he Wegmarkier­ungen sind immer wieder die brillant inszeniert­en Konzertseq­uenzen, die mit cineastisc­hem Verve visualisie­rt werden. Austin Butler ist ein echtes Ereignis in der ikonischen Titelrolle, die der Newcomer sich mit einer enormen physischen Präsenz aneignet.

Erst am Ende der über zweieinhal­b Kinostunde­n, wenn der Film sich dem tragischen Verfall und dem frühen Tod nähert, gerät Luhrmann doch noch in die Falle eines klassische­n Biopic, in dem das Künstlerle­ben bis zum bitteren Ende ausbuchsta­biert werden muss. Aber das ist wohl bei einem Sujet dieser popkulture­llen Größenordn­ung unvermeidl­ich und nur ein kleiner Makel dieser herzhaften, opulenten, schrillen, energiegel­adenen Hommage an den erfolgreic­hsten Entertaine­r des 20. Jahrhunder­ts.

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Foto: Warner Bros., dpa Newcomer Austin Butler ist in der Rolle des Elvis ein echtes Ereignis.

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