Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Immer wieder Wendler
Promis Der einstige Speditionskaufmann ist zum Schlager- und Reality-Star aufgestiegen. Und tief gefallen. Jetzt wird er 50 – und scheint ganz in seiner Verschwörungswelt zu leben.
Dinslaken Wo ist Michael Wendler? Nun, auf michaelwendler.de schon mal nicht. Auf der Seite „entsteht eine neue Internetpräsenz!“, erfährt man – und ein bisschen klingt es wie eine Drohung. Auf Instagram, dem Medium der schönen Bilder? Auch nicht. Der Kanal des Ex-Schlagerstars wurde ja gesperrt. Auf Facebook? Auffindbar. Der letzte Eintrag ist aber mehr als ein Jahr alt.
Also landet man bei Telegram, jenem Netzwerk, das zur Zuflucht für Menschen geworden ist, die Verschwörungserzählungen verbreiten. Dort brodelt, raunt und schreit ein Wendler-Kanal nur so vor sich hin. „WER JETZT NICHTS MERKT IST NICHT MEHR ZU RETTEN“, liest man – natürlich in Großbuchstaben. Das ist Wendlers Welt, in der er sich völlig verloren zu haben scheint. Abgedriftet.
Wenn man herausfinden will, was ihn umtreibt, muss man sich in die Untiefen des Internets begeben. Denn Anfragen verlaufen im Sande. Früher war das mal anders. Früher genügte es bisweilen, einfach den Fernseher einzuschalten, um auf dem Laufenden zu sein – schon war da „der Wendler“, wie ihn seine Fans nannten und nennen. An diesem Mittwoch wird der selbst ernannte „König des Popschlagers“50 Jahre alt: Der König jedoch ist gestürzt, wenn man so will. Und das sehr tief. Sein Fall erzählt dabei auch viel darüber, wie – und das ist keine Plattitüde – aus Spaß Ernst werden kann, wie schmal der Grat zwischen beidem ist. Früher nämlich galt der singende Speditionskaufmann aus Dinslaken als Phänomen. Seine Texte waren nicht die ausgeklügeltsten; seine Fans störte das nicht, im Gegenteil. Der Wendler brachte ein bisschen von der sonnigen Stimmung des Ballermanns ins Großraumdisco-Milieu NordrheinWestfalens. Er sang „Sie liebt den DJ“, haute sich auf die Brust und sagte Sätze wie: „Durch den Bau meiner Ranch wird Dinslaken zu einem kleinen Dallas.“
Dieses Breitbeinige („Ich bin die geilste Sau der Welt“) faszinierte schließlich viele Menschen. Klar: Wenn sich jemand hinstellt und behauptet, er sei der Größte, guckt man hin. Erst recht, wenn Schlagzeile um Schlagzeile ein solches Leben begleitet. Eine hieß: „Tausende Wendler-CDs in Altkleidercontainer entdeckt“. Der Wendler wurde zunehmend zur schillernden Figur. Was jedoch Behauptung war und was Realität, das blieb mitunter unklar. Und gerade das machte ihn zu einem perfekten Kandidaten für Realityshows, in denen man alles will, nur keine Langweiler: Dschungelcamp, „Schlag den Star“, „Promi Big Brother“, „Sommerhaus der Stars“, überall war er dabei.
Zum Promi-Phänomen wurde er endgültig, als die fast 30 Jahre jüngere Laura Müller aus Tangermünde an der Elbe in sein Leben trat. Es folgte eine öffentliche Liebelei, Videos aus der gemeinsamen Wahlheimat Florida, ein Playboy-Shooting Lauras und eine standesamtliche Trauung. Zur Geschichte Michael Wendlers gehört das Knallige – und ein Knall: Im Herbst 2020 äußerte er sich in einem irritierenden Video zur Corona-Politik in Deutschland.
In dem warf er der Bundesregierung „grobe und schwere Verstöße gegen die Verfassung und das Grundgesetz“vor und bezeichnete TV-Sender als „gleichgeschaltet“. Seine zu dem Zeitpunkt 295.000 Instagram-Fans rief er auf, den verschlüsselten Nachrichtendienst Telegram zu nutzen. „Alle anderen Portale sind zensiert.“Wendler war im Klub der prominenten Verschwörungsgläubigen angekommen – neben Kochbuchautor Attila Hildmann und Sänger Xavier Naidoo.
Der Sender RTL, der ihn als Juror für die Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“verpflichtet hatte, distanzierte sich umgehend und unmissverständlich. Nach einer weiteren Äußerung von Wendler über Deutschland als „KZ“wurde er komplett aus bereits gedrehten Folgen herausgeschnitten. „KZ Deutschland??? Es ist einfach nur noch dreist, was sich diese Regierung erlaubt!“, hatte er geschrieben – und dann behauptet: „KZ“sei eine Abkürzung für „Krisen Zentrum“gewesen. Er meinte nicht ein Konzentrationslager wie im Dritten Reich? Wer’s glaubte…
In diesem Verschwörungssound ging es immer weiter und weiter. Michael Wendler schwadronierte von einer „Fake-Pandemie“und „Medienzensur“, von „verrückten Eliten“– und verlor Werbepartner und Einnahmen.
Schlagzeilen macht er in Klatschportalen bis heute. Für größeres Aufsehen sorgte unter anderem eine nicht abgesprochene Werbung für Pumpernickelbrot, mit der er die Gütersloher Firma Mestemacher unangenehm überraschte. Auf Instagram hatte er Dosen-Pumpernickel als „Langzeitlebensmittel zur Krisenvorsorge“beworben und auf die Webseite des Kopp Verlages mit seinem verschwörungsideologischen Sortiment verwiesen.
Wendler jedenfalls, inzwischen in den USA lebend, erklärte der Bild im vergangenen Jahr, er wolle wieder Musik machen und nach Deutschland kommen. Konzerttermine sind aber nicht bekannt. Seine Frau Laura hat einen InstagramKanal mit mehr als 500.000 Followern und bewirbt dort auch einen „Die Wendlers“-Account beim Erotikportal Onlyfans.
Wer sich im Internet auf Spurensuche begibt, stößt neben Klatschberichten und Videos auf einen Videoschnipsel, in dem Wendler verwegen in die Kamera schaut und singt: „Egal!“Der Clip wird nach wie vor gerne geteilt, offensichtlich, weil diese Botschaft zu vielen Lebenslagen passt. Auch zu seiner?