Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mann soll versucht haben, zwei Frauen zu töten
Justiz
Ein psychisch kranker 64-Jähriger soll zum zweiten Mal vor Gericht, weil er im schuldunfähigen Zustand Menschen umbringen wollte. Da begeht er am Morgen vor dem Verfahren einen Suizidversuch.
Am Dienstagmorgen sollte Karl S. (Name geändert) aus dem Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren nach Augsburg in das Strafjustizzentrum gebracht werden. Das Schwurgericht hatte für 10 Uhr einen sogenannten Unterbringungsprozess wegen zweifachen Mordversuchs angesetzt. Der 64-Jährige gilt als schuldunfähig und kann nicht bestraft werden. Als Karl S. gegen 6.45 Uhr von Pflegern aufgesucht wird, liegt er blutend in seinem Zimmer. Er hat sich mit einem offenbar selbst gebastelten messerartigen Werkzeug den Hals und einen Arm aufgeschnitten. Der Patient wird ins benachbarte Krankenhaus gebracht. Der Vorsitzende Richter Roland Christiani eröffnet zwar gegen 10.30 Uhr das Verfahren kurz, unterbricht aber bis zum Nachmittag. Der Mandant von Verteidiger Florian Engert ist erst einmal verhandlungsunfähig. Karl S. wollte seinem Leben offenbar kurz vor dem Prozess ein Ende setzen, weil er gewusst haben muss, dass er nach dem Verfahren möglicherweise viele Jahre weiterhin in der Psychiatrie verbringen muss.
Denn Karl S. sollte nicht zum ersten Mal vor den Richtern der Augsburger Schwurgerichtskammer stehen. Schon im November 2014 wurde ihm dort der Prozess gemacht, weil er im schuldunfähigen Zustand angeblich auf Gottes Befehl seine Lebensgefährtin hatte töten wollen. Und nun, mehr als sechs Jahre später, wirft ihm die Staatsanwaltschaft zweifachen Mordversuch vor, weil er im September 2021 zwei seiner Nachbarinnen habe umbringen wol
len. Wiederum soll ihm eine innere Stimme Gottes dies befohlen haben.
Das Leben von Karl S. (Name geändert) ist voll an dramatischen, traurigen Höhepunkten. Tiefpunkten müsste man eigentlich sagen. 1958 geboren, wächst der Bub in verschiedenen Heimen auf, lebt drei Jahre als Jugendlicher in einem Heim für Schwererziehbare. Eine zentrale Rolle in den letzten 25 Jahren seines Lebens als Erwachsener spielt die „Suche nach der Wahrheit“, die Religion. Er tritt den Zeugen Jehovas bei, zuletzt interessiert er sich für die Mormonen. Beim Rauchen eines
Joints, so sagte er einmal, habe er erkannt, dass er Jesus sei.
Immer wieder will er innere Stimmen gehört haben. Gottes Stimme, wie er glaubt. Im September 2013 lehnt er sich aus dem Fenster, weil Gott ihm angeblich eine Prüfung auferlegt habe. Dabei stürzt er in die Tiefe, wird schwer verletzt. Ein halbes Jahr später, im Februar 2014, sieht er sich selbst als „Sohn von Jesus“, bezeichnet seine langjährige Lebensgefährtin als „auserwählt“und lockt sie in den Keller, um angeblich den Luftdruck an einem Fahrradreifen zu prüfen. Urplötzlich
würgt er die Frau, sagt: „Ich muss es machen. Du musst dich opfern.“Seine Partnerin kämpft um ihr Leben, beide stürzen zu Boden, er schlägt mit einer 13,5 Kilo schweren Autobatterie auf sie ein. Sie kann dreimal abwehren. Als das Opfer ihn bittet: „Bete, bete“, kniet Karl S. nieder und betet, wird in dieser Stellung festgenommen.
Im November 2014 schickt in das Schwurgericht wegen Schuldunfähigkeit – ein Gutachter attestiert eine besondere Form der Schizophrenie – in die geschlossene Psychiatrie. Anfang 2018 wird die Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt, Karl S. unter Auflagen in die Freiheit entlassen. Doch an das Verbot, Drogen zu konsumieren, hält er sich offenbar nicht. Der Genuss von Marihuana begünstigt offenbar seine religiösen Wahnideen.
So auch am Abend des 23. September 2021, als er bei seiner Nachbarin klingelt, urplötzlich einen Schal um ihren Hals legt und fest zuzieht, um sie – so die Staatsanwaltschaft – zu töten. Dem Opfer gelingt es, einen Daumen zwischen Schal und Hals zu schieben und dem Angreifer den Schal abzunehmen. Die Nachbarin wirft Karl S. aus der Wohnung. Am selben Abend klingelt Karl S. bei zwei anderen Frauen im Nachbarhaus, sitzt zitternd und zusammengekauert vor der Tür. Weil die beiden Frauen glauben, er benötige Hilfe, lassen sie ihn in die Wohnung. Karl S. springt plötzlich von einer Liege auf, attackiert eine der Frauen, will sie – davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt – mit einem Küchenmesser töten – mit einem Stich mitten ins Herz. Die zweite Frau drückt den Angreifer schließlich zur Seite, das Messer fällt zu Boden, die Zeugin wirft es in den Hof. Später sagt Karl S., Gottes Stimme habe ihm befohlen, die Frauen zu töten.
Seit der Tat sitzt Karl S. wieder in der Psychiatrie. Er wird auch in diesem zweiten Verfahren von Anwalt Florian Engert vertreten. Geplant ist nun, dass das Verfahren am Dienstag, 28. Juni, fortgesetzt wird. Dann wird Staatsanwalt Thomas Junggeburth zumindest die sogenannte Antragsschrift verlesen, in der die Vorwürfe beschrieben sind.