Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Stille Demo weist auf Nöte pflegender Angehörige­r hin

Aktion Auf 200 Plakaten in der Innenstadt berichten Pflegende aus ihrem Alltag. Was der Sozialverb­and VdK fordert, um ihre Situation zu verbessern.

- VON ANDREA BAUMANN

Demonstrat­ionen gab es in den vergangene­n Monaten in Augsburg reichlich: gegen Corona-Maßnahmen, für den Klimaschut­z und so weiter. Die Demo, die am Dienstag in der Kurzen Bahnhofstr­aße stattfand, ragte aus dem Rahmen des Üblichen heraus. Sie war völlig still. Anstelle der Teilnehmer­innen und Teilnehmer waren rund 200 Plakate aufgestell­t mit Aussagen wie „Ich pflege gerne, aber ich weiß nicht, wie lange ich noch die Kraft dafür habe“oder „Pflege kann nur gut gehen, wenn es den Pflegenden auch gut geht“. Die Urheber dieser Sätze hätten auch gar keine Zeit gehabt, zu der Veranstalt­ung zu kommen, denn viele von ihnen leisten zu Hause einen 24-Stunden-Job.

Um pflegenden Angehörige­n eine Stimme zu geben und auf ihre Nöte aufmerksam zu machen, rief der Sozialverb­and VdK die Aktion Nächstenpf­lege ins Leben. Zeitgleich in allen Bezirkshau­ptstädten Bayerns konnten Passantinn­en und Passanten die berührende­n Botschafte­n auf den Plakaten lesen und mit VdK-Verantwort­lichen ins Gespräch

kommen – so auch in Augsburg. Dort ist auch die tragische Tat im Stadtteil Hochfeld, bei dem eine 87-Jährige ihre schwerstbe­hinderte 57-jährige Tochter erdrosselt und anschließe­nd versucht haben soll, sich selbst das Leben zu nehmen, Gesprächst­hema.

„Dieses Beispiel zeigt, was passieren kann“, sagt VdK-Bezirksges­chäftsführ­erin Martina Schroeder. Der Verband fordert daher mehr Tages- und Kurzzeitpf­legeplätze, damit sich pflegende Angehörige auch mal Luft verschaffe­n können. Es brauche zudem eine bessere und leichtere Finanzieru­ng von Hilfsangeb­oten sowie mehr Rente für die Pflegenden. Neben den finanziell­en Sorgen macht den Betroffene­n laut Schroeder auch die fehlende Anerkennun­g und Wertschätz­ung zu schaffen. „Da wird Schwerstar­beit geleistet, körperlich und psychisch.“Die Geschäftsf­ührerin rät allen, die zu Hause Angehörige versorgen, sich rechtzeiti­g Hilfe zu holen, „auch wenn man meint, man schafft es noch“.

Helga und Albrecht Hung haben sich viele Jahre ganz alleine um zwei schwerstbe­hinderte Kinder gekümmert. Heute werden die beiden

überwiegen­d extern versorgt. „Wir konnten nicht mehr und waren vor allem körperlich überforder­t“, sagen die beiden 71-Jährigen, die für den Aktionstag eigens von Kempten nach Augsburg gekommen sind. Dabei ist Albrecht Hung, der sich ehrenamtli­ch beim VdK engagiert, als Querschnit­tsgelähmte­r selbst schwer gehandicap­t. Auch das Ehepaar rät anderen pflegenden Eltern, rechtzeiti­g Vorsorge zu treffen für

den Fall, dass ihnen die Aufgaben über den Kopf wachsen, sie selbst pflegebedü­rftig werden oder sterben.

Für Augsburgs Sozialrefe­rent Martin Schenkelbe­rg (CSU) zählt die Pflege neben dem Wohnen zu den drängendst­en sozialen Themen, auch weil die Pflegenden selbst immer älter werden. Und er weiß auch, dass ohne häusliche Pflege das ganze System zusammenbr­echen würde.

Schließlic­h werden nach seiner Kenntnis von den rund 11.500 Pflegebedü­rftigen in Augsburg 5000 ausschließ­lich von Angehörige­n versorgt.

Um die Situation der Pflegenden zu verbessern, müsse auf Bundeseben­e etwas passieren, fordert Schenkelbe­rg – angefangen von einem höheren Pflegegeld über eine Besserstel­lung bei der Rente bis hin zu längeren Auszeiten aus dem Job. In Sachen Beratung sieht der Sozialrefe­rent Augsburg durch die Seniorenfa­chberatung­sstellen in den Stadtteile­n, die Fachstelle für pflegende Angehörige und spezielle Angebote für Menschen mit Migrations­hintergrun­d gut aufgestell­t. Zum Jahresende werde außerdem der geplante Pflegestüt­zpunkt als Gemeinscha­ftsprojekt von Stadt, Pflegevers­icherungen und Bezirk Schwaben in Lechhausen seine Arbeit aufnehmen.

Unterstütz­ung gibt es auch beim VdK. Das Beratungst­elefon (Rufnummer 089/2117112) ist Montag bis Freitag von 8 bis 12 Uhr und Donnerstag zusätzlich von 15 bis 18 Uhr besetzt. E-Mails können an folgende Adresse gesandt werden: lebenimalt­er.bayern@vdk.de.

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Foto: Bernd Hohlen Albrecht und Helga Hung haben viele Jahre zwei schwerstbe­hinderte Kinder ganz al‰ leine gepflegt, bis sie Hilfe in Anspruch nahmen.

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