Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Stille Demo weist auf Nöte pflegender Angehöriger hin
Aktion Auf 200 Plakaten in der Innenstadt berichten Pflegende aus ihrem Alltag. Was der Sozialverband VdK fordert, um ihre Situation zu verbessern.
Demonstrationen gab es in den vergangenen Monaten in Augsburg reichlich: gegen Corona-Maßnahmen, für den Klimaschutz und so weiter. Die Demo, die am Dienstag in der Kurzen Bahnhofstraße stattfand, ragte aus dem Rahmen des Üblichen heraus. Sie war völlig still. Anstelle der Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren rund 200 Plakate aufgestellt mit Aussagen wie „Ich pflege gerne, aber ich weiß nicht, wie lange ich noch die Kraft dafür habe“oder „Pflege kann nur gut gehen, wenn es den Pflegenden auch gut geht“. Die Urheber dieser Sätze hätten auch gar keine Zeit gehabt, zu der Veranstaltung zu kommen, denn viele von ihnen leisten zu Hause einen 24-Stunden-Job.
Um pflegenden Angehörigen eine Stimme zu geben und auf ihre Nöte aufmerksam zu machen, rief der Sozialverband VdK die Aktion Nächstenpflege ins Leben. Zeitgleich in allen Bezirkshauptstädten Bayerns konnten Passantinnen und Passanten die berührenden Botschaften auf den Plakaten lesen und mit VdK-Verantwortlichen ins Gespräch
kommen – so auch in Augsburg. Dort ist auch die tragische Tat im Stadtteil Hochfeld, bei dem eine 87-Jährige ihre schwerstbehinderte 57-jährige Tochter erdrosselt und anschließend versucht haben soll, sich selbst das Leben zu nehmen, Gesprächsthema.
„Dieses Beispiel zeigt, was passieren kann“, sagt VdK-Bezirksgeschäftsführerin Martina Schroeder. Der Verband fordert daher mehr Tages- und Kurzzeitpflegeplätze, damit sich pflegende Angehörige auch mal Luft verschaffen können. Es brauche zudem eine bessere und leichtere Finanzierung von Hilfsangeboten sowie mehr Rente für die Pflegenden. Neben den finanziellen Sorgen macht den Betroffenen laut Schroeder auch die fehlende Anerkennung und Wertschätzung zu schaffen. „Da wird Schwerstarbeit geleistet, körperlich und psychisch.“Die Geschäftsführerin rät allen, die zu Hause Angehörige versorgen, sich rechtzeitig Hilfe zu holen, „auch wenn man meint, man schafft es noch“.
Helga und Albrecht Hung haben sich viele Jahre ganz alleine um zwei schwerstbehinderte Kinder gekümmert. Heute werden die beiden
überwiegend extern versorgt. „Wir konnten nicht mehr und waren vor allem körperlich überfordert“, sagen die beiden 71-Jährigen, die für den Aktionstag eigens von Kempten nach Augsburg gekommen sind. Dabei ist Albrecht Hung, der sich ehrenamtlich beim VdK engagiert, als Querschnittsgelähmter selbst schwer gehandicapt. Auch das Ehepaar rät anderen pflegenden Eltern, rechtzeitig Vorsorge zu treffen für
den Fall, dass ihnen die Aufgaben über den Kopf wachsen, sie selbst pflegebedürftig werden oder sterben.
Für Augsburgs Sozialreferent Martin Schenkelberg (CSU) zählt die Pflege neben dem Wohnen zu den drängendsten sozialen Themen, auch weil die Pflegenden selbst immer älter werden. Und er weiß auch, dass ohne häusliche Pflege das ganze System zusammenbrechen würde.
Schließlich werden nach seiner Kenntnis von den rund 11.500 Pflegebedürftigen in Augsburg 5000 ausschließlich von Angehörigen versorgt.
Um die Situation der Pflegenden zu verbessern, müsse auf Bundesebene etwas passieren, fordert Schenkelberg – angefangen von einem höheren Pflegegeld über eine Besserstellung bei der Rente bis hin zu längeren Auszeiten aus dem Job. In Sachen Beratung sieht der Sozialreferent Augsburg durch die Seniorenfachberatungsstellen in den Stadtteilen, die Fachstelle für pflegende Angehörige und spezielle Angebote für Menschen mit Migrationshintergrund gut aufgestellt. Zum Jahresende werde außerdem der geplante Pflegestützpunkt als Gemeinschaftsprojekt von Stadt, Pflegeversicherungen und Bezirk Schwaben in Lechhausen seine Arbeit aufnehmen.
Unterstützung gibt es auch beim VdK. Das Beratungstelefon (Rufnummer 089/2117112) ist Montag bis Freitag von 8 bis 12 Uhr und Donnerstag zusätzlich von 15 bis 18 Uhr besetzt. E-Mails können an folgende Adresse gesandt werden: lebenimalter.bayern@vdk.de.