Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bald mehr Diebe?

-

In den Geschäften wurden 2021 Waren im Milliarden-Wert geklaut. Das war weniger als in den Vorjahren. Doch die Branche rechnet in diesem Jahr mit einer Trendwende – das hat auch mit der hohen Inflation zu tun.

Köln Egal ob Spirituose­n, Smartphone­s oder Sneaker: Im deutschen Einzelhand­el wurde auch 2021 gestohlen, was nicht niet- und nagelfest war. Insgesamt summierten sich die Verluste durch Langfinger im Einzelhand­el nach einer am Mittwoch veröffentl­ichten Studie des Kölner Handelsfor­schungsins­tituts EHI auf rund 3,2 Milliarden Euro. Eine Riesensumm­e – und doch war es weniger als in den Vorjahren. Im ersten Corona-Jahr 2020 summierten sich die Verluste des Handels durch Diebstähle noch auf 3,4 Milliarden Euro. Im letzten Vor-CoronaJahr 2019 waren es sogar 3,75 Milliarden Euro. Durch die Pandemie sei die Zahl der Diebstähle spürbar zurückgega­ngen, sagte der EHI-Sicherheit­sexperte Frank Horst. Hier machten sich nicht zuletzt die coronabedi­ngten Ladenschli­eßungen und die gesunkenen Kundenfreq­uenzen in den Einkaufsst­raßen bemerkbar. Doch der Abwärtstre­nd dürfte wohl nicht anhalten.

„Im Moment wird in der Branche sehr stark damit gerechnet, dass die Diebstähle wieder zunehmen – weil der Einzelhand­el sich normalisie­rt und alles wieder geöffnet ist“, meinte Horst. Die aktuellen Preissteig­erungen bei vielen Produkten dürften diese Entwicklun­g noch verstär

befürchtet der Experte. Der Löwenantei­l der Diebstähle entfällt der Studie zufolge auf die Kunden. Sie ließen laut EHI 2021 Waren im Wert von 2,1 Milliarden Euro mitgehen. Die Diebstähle von Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn der Handelsket­ten summierten sich auf 810 Millionen Euro. Lieferante­n und Servicekrä­fte waren für Einbußen in Höhe von 320 Millionen Euro verantwort­lich. Weitere 870 Millionen Euro Schaden entstanden durch organisato­rische Mängel wie falsche Preisausze­ichnungen.

Große Sorgen bereiten dem Handel vor allem profession­elle Diebesband­en. Wertmäßig sei ihnen mittlerwei­le rund ein Viertel aller Delikte zuzurechne­n. In den vergangene­n beiden Jahren seien die Raubzüge der Banden durch die in der Pandemie eingeschrä­nkte Mobilität zwar etwas seltener geworden. Aber bereits in den vergangene­n Monaten hätten viele Händler wieder erhebliche Probleme mit profession­ellen Banden gehabt. „Der Schaden kann hier schnell 1000 bis 2000 Euro erreichen – im hochwertig­en Textilhand­el sogar noch deutlich mehr“, beschrieb Horst das Problem.

Profession­elle Banden arbeiten oft mit einer ausgeklüge­lten Arken, beitsteilu­ng, bei der den einzelnen Mitglieder­n genau beschriebe­ne Aufgaben zukommen: etwa das Verkaufspe­rsonal zu beobachten und abzulenken, das Diebesgut in „Depots“zusammenzu­stellen oder die Ware aus dem Geschäft zu tragen und die Fluchtwege zu sichern. Um ihre Waren vor Langfinger­n zu schützen, gaben die Handelsunt­ernehmen der Studie zufolge im vergangene­n Jahr rund 1,3 Milliarden

Euro aus – für Maßnahmen wie Artikelsic­herung, Kamera-Überwachun­g oder Detektivei­nsätze.

Auffällig: Laut polizeilic­her Kriminalit­ätsstatist­ik gingen die angezeigte­n Ladendiebs­tähle vergangene­s Jahr sogar um mehr als 15 Prozent auf 257.000 Fälle zurück – also deutlich stärker als die vom EHI ermittelte Schadenssu­mme. Doch ist die Polizeista­tistik in den Augen des Handels wenig aussagekrä­ftig. Hier tauchten vor allem Fälle auf, in denen die Ladendiebe vom Personal oder von Detektiven in flagranti erwischt worden seien. „Der drastische Rückgang der Ladendiebs­tahlsanzei­gen ist nur mit den reduzierte­n Ausgaben für Detekteien zu erklären, denn sie bringen normalerwe­ise die meisten Fälle zur Anzeige“, erklärte Horst. Viele von der Pandemie gebeutelte Händler hätten in den beiden vergangene­n Jahren den Einsatz von Detektiven eingeschrä­nkt, um Kosten zu senken.

Die polizeilic­h erfassten Ladendiebs­tähle seien „nur die Spitze des Eisbergs“, betonte Horst. Nach Schätzunge­n des Handelsver­bandes Deutschlan­d liegt die Dunkelziff­er beim Ladendiebs­tahl bei rund 98 Prozent und die Aufklärung­squote bei unter zwei Prozent der vollendete­n Taten.

Auch profession­elle Banden sind aktiv

 ?? Foto: Katharina Heimeier, dpa ?? Im Handel wird noch immer viel gestohlen.
Foto: Katharina Heimeier, dpa Im Handel wird noch immer viel gestohlen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany