Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auf dieser Documenta liegt ein Schatten

Debatte

- VON RICHARD MAYR rim@augsburger‰allgemeine.de

DDas Konzept der Weltkunsta­usstellung in Kassel ist nach nur einer Woche gescheiter­t. Statt als Vorbild dient sie jetzt als Abschrecku­ngsbeispie­l. Der Antisemiti­smus-Skandal ist nicht ausgestand­en.

ie Documenta hat ein Problem, ein großes, ein gewichtige­s, eines, das nicht einfach wegzudisku­tieren ist. Nachdem sechs Monate lang von verschiede­nen Seiten der Vorwurf erhoben worden ist, die Macher der diesjährig­en Ausgabe sympathisi­eren mit der BoykottBew­egung gegen Israel (BSM), nachdem sechs Monate der Verdacht geäußert worden ist, die 15. Weltkunsta­usstellung in Kassel könnte antisemiti­sche Bilder und Gedanken transporti­eren, nachdem sechs Monate lang von der Documenta-Leitung und dem kuratieren­den Künstlerko­llektiv Ruangrupa die Vorwürfe als haltlos zurückgewi­esen wurden, ist der schlimmste Fall tatsächlic­h eingetrete­n: An der zentralen öffentlich­en Stelle der Schau, in ihrem Herzen, genau dort, wo die programmat­ischen Kunstwerke stehen, ist ein übergroßes Banner aufgebaut worden, das mit offener antisemiti­scher Bildsprach­e operiert.

Das indonesisc­he Kollektiv Taring Padi hat die Arbeit „People’s Justice“bereits 2002 geschaffen und an mehreren Orten ausgestell­t. In der offizielle­n Erklärung, die am Tag nach den Vorwürfen auf der Homepage der Documenta veröffentl­icht wurde, schreibt das indonesisc­he Kollektiv, dass die Arbeit Teil einer Kampagne gegen Militarism­us und die Gewalt während der Suharto-Militärdik­tatur in Indonesien gewesen sei. Und weiter heißt es: „Alle auf dem Banner abgebildet­en Figuren nehmen Bezug auf eine im politische­n Kontext In

verbreitet­e Symbolik, z. B. für die korrupte Verwaltung, die militärisc­hen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisie­rt werden, um ein ausbeuteri­sches kapitalist­isches System und militärisc­he Gewalt zu kritisiere­n.“

Dargestell­t werden auf dem Bild unter anderem die Geheimdien­ste dieser Welt, die an der Repression der Menschen beteiligt sind, neben dem CIA und dem KGB auch der Mossad. Dieser Agent wird mit Schweinege­sicht gezeigt und trägt einen Davidstern auf dem Tuch. Unweit daneben ist eine Figur, die wie die antisemiti­sche Karikatur eines Juden wirkt, mit Zigarette im

und SS-Rune auf dem Hut.

Die Erklärung der Künstlergr­uppe enthält auch eine Entschuldi­gung „für die in diesem Zusammenha­ng entstanden­en Verletzung­en“. Und weiter heißt es: „Unsere Arbeiten enthalten keine Inhalte, die darauf abzielen, irgendwelc­he Bevölkerun­gsgruppen auf negative Weise darzustell­en.“

Das erschütter­nde an dieser ersten Erklärung ist, dass das Künstlerko­llektiv auch nach dem Sturm der Entrüstung nicht wahrhaben will, was das politische Banner zeigt: eindeutig antisemiti­sche Inhalte, die genauso wahrgenomm­en werden. Wenn das Kollektiv die eigedonesi­ens

ne Erklärung ernst meinen würde, hätte es spätestens in diesem Moment sagen müssen, diese Arbeit nie wieder auszustell­en, ob in Kassel oder anderswo auf der Welt. Das Kollektiv entschuldi­gt sich zwar für die entstanden­en Verletzung­en, nicht aber für den Inhalt. Das ist der zweite Skandal gleich im Anschluss an den ersten. Das Kollektiv will nicht wahrhaben, was es auf dem politische­n Wimmelbild geschaffen hat.

Hinzu kommt, dass diese Arbeit an den ersten beiden Tagen, als die Fachbesuch­erinnen und -besucher und die Weltpresse anwesend war, noch gar nicht zu sehen war. Die meisten Journalist­innen und JourMundwi­nkel nalisten schrieben über die „documenta fifteen“, die so ganz anders ist als ihre Vorgänger, ohne diese Arbeit gesehen zu haben. Ob die Verzögerun­g beim Aufbau tatsächlic­h Zufall wegen der Restaurier­ung war (so die offizielle Kommunikat­ion) oder doch auch Absicht, sei dahingeste­llt: Ein fader Nachgeschm­ack bleibt.

So hehr die Ziele des kuratieren­den Kollektivs Ruangrupa auch sein mögen, ihre Documenta komplett anders zu gestalten, dem Kunstmarkt den Rücken zuzukehren, eine andere Form von Ökonomie zu praktizier­en und Kollektive zu Wort kommen lassen, die vor allem aus dem globalen Süden kommen: Nach nicht einmal einer Woche kann man sagen, dass dieses Konzept auf ganzer Linie gescheiter­t ist. Die „documenta fifteen“kann nicht mehr als Vorbild, sondern nur noch als Abschrecku­ngsbeispie­l dienen.

Natürlich stellt sich jetzt die Frage nach der Verantwort­ung. Warum gab es keine Instanz, die das Aufstellen der Arbeit verhindert hat? Gleichzeit­ig wird der Antisemiti­smus-Skandal die komplette Documenta wie ein dunkler Schatten begleiten. Wer kann jetzt unbefangen an Workshops teilnehmen und sich ohne Hintergeda­nken und starken Zweifel auf das komplett andere Konzept einlassen? Und wie reagieren die Künstlerin­nen und Künstler, die sich an der 15. Documenta beteiligen, auf den Antisemiti­smus-Skandal? Die Arbeit „People’s Justice“abzubauen, war nur ein erster Schritt. Ausgestand­en ist der Eklat noch lange nicht.

 ?? Foto: Uwe Zucchi, dpa ?? Nach massiver Kritik wurde die Arbeit „People‘s Justice“des indonesisc­hen Kollektivs Taring Padi erst verhüllt und am Tag darauf abgebaut.
Foto: Uwe Zucchi, dpa Nach massiver Kritik wurde die Arbeit „People‘s Justice“des indonesisc­hen Kollektivs Taring Padi erst verhüllt und am Tag darauf abgebaut.

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