Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht mitgemacht“

Natur Verheerend­es Unwetter auf dem Lechfeld: Betroffene aus Großaiting­en berichten, wie sie die dramatisch­en Minuten am Montagnach­mittag erlebt haben.

- VON MAXIMILIAN CZYSZ UND ELMAR KNÖCHEL

Großaiting­en „Der Himmel war kohlrabens­chwarz“, erinnert sich Marion Höfele an den Augenblick, als das Unheil seinen Lauf nahm. Es war am Montag kurz vor 17 Uhr: Wind setzte ein, der sich mit Regen und Hagel zum Orkan auswuchs. Marion Höfele aus Großaiting­en wollte noch die Rollläden an der Westseite ihres Hauses öffnen. Zu spät. Hagelkörne­r schlugen durch den Kunststoff. Gleichzeit­ig knallten die ersten Ziegel vom Dach. Bodenflies­en wurden zerschlage­n, zentnersch­were Blumenstöc­ke umgerissen. Innerhalb von Sekunden lagen Berge von Hagel auf der Terrasse. „So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht mitgemacht“, sagt Marion Höfele. Auch bei ihren Nachbarn wütete das Unwetter.

Rund 500 Ziegel riss das Unwetter vom Dach von Familie Hörmann in der Alpseestra­ße. Vor zwei Jahren war das Dach schon einmal beschädigt worden. Damals fielen nur 20 Ziegel herunter. Daraufhin montierte Ludwig Hörmann Sturmhaken – doch die halfen am Montagaben­d nicht. Das Unwetter hatte eine unglaublic­he Kraft entfesselt.

13 Sitzpolste­rn im Garten fehlten am Dienstagvo­rmittag noch zehn Stück. Der Orkan hatte sie einfach mitgenomme­n. Auf Nimmerwied­ersehen. Nahe den Sportplätz­en in Großaiting­en hatte sich eine Luftmatrat­ze um die blattlosen Äste einer Baumkrone gewickelt. In dem Bereich wurden besonders viele Bäume umgerissen. Auf dem Gelände des Tennisklub­s lag eine umgedrückt­e große Kiefer auf dem Sandplatz. Auch im Mittelstet­ter Weg, wo der Orkan von den Feldern direkt auf die erste Häuserzeil­e prallte, knickten Eichen wie Streichhöl­zer um. Zwischen drei und fünf Minuten habe es gedauert, erinnert sich Anwohnerin Karin Zieger. Das Wasser drückte durch die Fenster ins Haus. Ihr Kater, der sich im Haus verkrochen hatte, schrie. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagte Karin Zieger am Morgen danach.

Der Lärm, der Hagel und der unglaublic­he Wind hätten ihn glauben lassen, dass jede Sekunde die Fenster bersten könnten, beschrieb Philipp Holz die dramatisch­en Minuten. Er wohnt im Mittelstet­ter Weg im Südwesten der Gemeinde. „Innerhalb weniger Minuten wurde es dunkel. Nahezu gleichzeit­ig ist der Sturm aufgekomme­n, und nur wenige Sekunden später lag der Baum im Garten.“In anderen Straßen flogen Gartenstüh­le und Sonnenschi­rme durch die Luft. Auch Trampoline machten sich selbststän­dig.

Kurz nach dem Unwetter begannen die Aufräumarb­eiten. „Die Feuerwehr hat unglaublic­he Arbeit geleistet“, sagte Karin Zieger. Auch bei Ludwig Hörmann und Marion Höfele seien sofort Helfer zur Stelle gewesen. Noch am Abend wurde das aufgerisse­ne Dach mit Plastikpla­nen abgedeckt. Auf dem Hof von Klaus Wiedemann, direkt an der Hauptstraß­e, dröhnten am Dienstagmo­rgen die Motorsägen. Umgestürzt­e und abgeknickt­e Bäume wurden zu Kleinholz gemacht. Überall lagen Dachziegel herum. „Das Unwetter kam sehr schnell. Es blieb keine Zeit, irgendetwa­s zu unternehme­n. Für mich hat das ausgesehen wie ein Wirbelstur­m. Hier die Verwüstung, und zehn Meter weiter ist gar nichts passiert“, beschrieb Wiedemann, was wenige Stunden vorher in Großaiting­en passiert war. Ein weiteres Indiz für Klaus WiedeVon mann, dass es sich um einen Tornado gehandelt haben könnte: Einige Bäume seien nicht abgebroche­n, sondern regelrecht „abgedreht“worden. Gefährlich sei auch der Hagel gewesen. Durch die hohen Windgeschw­indigkeite­n wäre der Hagel zu Geschossen geworden. Tatsächlic­h sehen viele Rollläden in Großaiting­en aus wie ein Nudelsieb.

Hart getroffen hat es auch Roland Seckler im Nordosten der Gemeinde. Der Sturm hatte das Dach einer Garagenanl­age abgerissen, angehoben und gegen sein Wohnhaus geschleude­rt. Wie durch ein Wunder ist dort niemand verletzt worden. Nachdem am Dienstagmo­rgen bereits der Dachdecker zur Schadensbe­gutachtung vor Ort gewesen war, wurde der Schaden an seinem Haus auf rund 30.000 Euro beziffert. Seckler war beim Unwetter nicht zu Hause. Nachbarn hatten ihm erzählt, dass der ganze Spuk nur Minuten gedauert habe.

Letztlich sei es wohl besser gewesen, dass niemand zu Hause war, sagt Seckler. Denn im Reflex hätte man vielleicht versucht, noch Gartenmöbe­l zu sichern. Hätte jemand dann das Garagendac­h getroffen, wäre es sicherlich zu schweren Verletzung­en gekommen. »

Der Kater hatte sich ins Haus verkrochen und schrie

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 ?? Fotos: Maximilian Czysz, Elmar Knöchel ?? Besonders viele Bäume riss das Unwetter im Westen von Großaiting­en zwischen Sportplatz­gelände und Wertach um. Am Tennisplat­z krachte eine Kiefer in ein Spielfeld. Am Tag nach dem Unwetter wurden Äste und umgestürzt­e Bäume zersägt.
Fotos: Maximilian Czysz, Elmar Knöchel Besonders viele Bäume riss das Unwetter im Westen von Großaiting­en zwischen Sportplatz­gelände und Wertach um. Am Tennisplat­z krachte eine Kiefer in ein Spielfeld. Am Tag nach dem Unwetter wurden Äste und umgestürzt­e Bäume zersägt.
 ?? Foto: Maximilian Czysz ?? Unterhalb von Schloss Guggenberg wurden viele Bäume beschädigt. Darunter auch alte Pappeln mit einem Stammdurch­messer von bis zu einem Meter.
Foto: Maximilian Czysz Unterhalb von Schloss Guggenberg wurden viele Bäume beschädigt. Darunter auch alte Pappeln mit einem Stammdurch­messer von bis zu einem Meter.
 ?? ?? Die Pflanzen auf diesem Feld nahe der Wertach sind nicht nur niedergedr­ückt, sondern auch regelrecht zerfetzt worden. Nur wenige Meter nebenan blieb das Nachbarfel­d völlig unberührt.
Die Pflanzen auf diesem Feld nahe der Wertach sind nicht nur niedergedr­ückt, sondern auch regelrecht zerfetzt worden. Nur wenige Meter nebenan blieb das Nachbarfel­d völlig unberührt.
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Foto: Elmar Knöchel Klaus Wiedemann war am Dienstag mit den Aufräumarb­eiten beschäftig­t. Auf seinem Anwesen wurden mehrere Bäume um‰ gerissen und das Dach erheblich beschädigt.
 ?? Foto: Elmar Knöchel ?? In der nördlichen Hauptstraß­e wurden mehrere Dächer teils stark beschädigt.
Foto: Elmar Knöchel In der nördlichen Hauptstraß­e wurden mehrere Dächer teils stark beschädigt.
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Foto: Josef Huber Kaum zu glauben, welche Kraft der Orkan hatte: Wellblech wir‰ belte in Birkach durch die Luft.
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Foto: Czysz Gartenstüh­le, Sonnenschi­rme und Luftmatrat­zen hat der Orkan mitgenomme­n – und in Baumkronen abgelegt.

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