Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Daniel feiert seinen ersten Herzgeburtstag
Medizin Vor einem Jahr hat der Bub aus Schwabmünchen ein Spenderherz bekommen. Wie die Familie den Jahrestag feiert und was sich in den vergangenen zwölf Monaten alles getan hat.
Schwabmünchen Vor einem Jahr: Der schwer herzkranke Daniel wartet seit fast 1000 Tagen auf der Kinderkardiologie der Uniklinik Großhadern auf ein Spenderorgan. Mutter Diana Dietrich verbringt jeden einzelnen dieser Tage an der Seite ihres Sohnes. Sein Leben beschränkt sich seit dem Säuglingsalter auf das 17 Quadratmeter große Patientenzimmer im neunten Stock des Hochhauses. Daniel ist an eine Herzunterstützungsmaschine angeschlossen, die seinen Bewegungsradius auf etwa zwei Meter rund um die Maschine beschränkt. Kurze Spaziergänge sind seit mehr als zwei Jahren die einzige Abwechslung für das Kind. Zwischendurch liegen die Nerven der Mutter blank.
Am Abend des 22. Juni 2021 ist Mutter Diana gerade im Elternheim neben der Uniklinik und erhält einen Anruf. Eine Pflegerin von Daniels Station fordert sie auf, schnell ins Krankenhaus zu kommen und den Vater gleich mitzubringen. „Ich habe mit dem Schlimmsten gerechnet. Ich dachte, es muss irgendetwas mit Daniel passiert sein. Denn normalerweise ruft ein Arzt an und überbringt die Nachricht, dass ein Spenderherz da ist. Das hatte ich in unserer Zeit in der Klinik oft mitbekommen“, erzählt Diana Dietrich unserer Redaktion am Telefon. Sie hetzt hinüber ins Krankenhaus. Vor Daniels Zimmer stehen mehrere Krankenpflegerinnen und -pfleger. FFP2-Masken verdecken ihre Gesichter. Diana kann die Mimik des Personals nicht erkennen. Sie ist ängstlich und verunsichert. „Dann sagte eine Pflegerin plötzlich: ,Wir haben ein Herz für Daniel.‘ Meine Knie wurden weich, ich bin auf den Boden gesackt und habe geweint vor Freude“, erinnert sie sich. Ab diesem Zeitpunkt geht alles ganz schnell.
Der damals Dreieinhalbjährige wird in den Operationssaal geschoben, die Transplantation beginnt noch in der Nacht und verläuft ohne Komplikationen. Am 23. Juni 2021 schlägt erstmals ein gesundes neues Spenderherz in seiner Brust. Wenige Wochen später verlassen Daniel und Diana bereits das Krankenhaus und dürfen endlich heim nach Schwabmünchen.
Im ersten halben Jahr nach der Transplantation ist Daniel noch häufig krank. Kurze Krankenhausaufenthalte sind nötig. Zahlreiche Medikamente belasten den Buben, Keime plagen seinen kleinen Körper, und Anfang 2022 bekommt er auch noch Corona, doch er über
steht alles gut. „Seit Februar gibt es keine Rückschläge mehr. Es geht nur noch bergauf“, berichtet Diana Dietrich überglücklich. Sie und Daniel genießen die neue Freiheit außerhalb des Krankenhauses: „Kleine Sachen sind für mich schon etwas Besonderes. Einen Abend bei einer Freundin verbringen oder in Ruhe einkaufen gehen, ohne Angst um Daniel haben zu müssen. Das können sich andere Menschen kaum vorstellen, ich weiß das nach einem Jahr noch immer sehr zu schätzen. Die lange Zeit im Krankenhaus war ja fast wie im Gefängnis.“
Auf Instagram lässt sie rund 170.000 Menschen, die ihr dort folgen, an Daniels und ihrem Alltag teilhaben. Diana hat nach der
Transplantation nicht aufgehört, in den sozialen Netzwerken aktiv zu sein. Damals im Krankenhaus sind die sozialen Medien eine der wenigen Möglichkeiten für Diana Dietrich, Kontakt zur Außenwelt zu halten. Doch schnell bewegt das Schicksal des kleinen Buben Tausende Menschen im Netz und rührt Zuschauer in Fernsehsendungen zu Tränen. Jeden Tag hätte sein krankes Herz aufhören können zu schlagen. Umso schöner ist es jetzt, das Kind leben zu sehen. Diana zeigt häufig kurze Videos im Netz: Daniel schaukelt im Luitpoldpark, Daniel spielt am See, Daniel schaut ein Bilderbuch an, Daniel isst Salzstangen, Daniel rutscht, Daniel fährt Bobbycar, Daniel besucht die Tagesmutter, Daniel wirft Spielzeug in einen Pool, Daniel macht Urlaub in den Bergen, Daniel geht zur Logopädie, Daniel kuschelt mit Mama. Daniel in allen Lebenslagen eben.
Diana Dietrich, die sich seit Jahren für das Thema Organspende starkmacht, hält das neue Leben ihres Sohnes bewusst in Bildern fest und zeigt sie öffentlich: „Ich möchte auch die positiven Seiten zeigen. Die Leute haben lange Zeit ein krankes Kind gesehen. Jetzt sollen sie auch sehen, was durch eine Organspende möglich ist.“Aus einem schwer kranken und fast tot geglaubten Kind hat sich ein glücklicher, gesunder und mittlerweile viereinhalb jähriger Bub entwickelt. „Er macht große Fortschritte, auch wenn er noch etwas entwicklungsverzögert ist in manchen Dingen. Körperlich hat er viel aufgeholt. Aber er spricht zum Beispiel noch nicht, und Neues macht ihm generell erst einmal Angst. Aber das ist auch nicht verwunderlich. Das hier ist eine riesige Welt für den kleinen Zwerg, dessen Leben die meiste Zeit auf ein Krankenhauszimmer beschränkt war“,
erzählt Diana Dietrich. Der erste Herzgeburtstag am Donnerstag wird mit der Familie und engen Freunden in Schwabmünchen gefeiert. „Wir werden den Tag vor einem Jahr Revue passieren lassen, und Daniel bekommt ein kleines Geschenk“, sagt Diana. Das ist der leichte Teil dieses Herzgeburtstages.
Der schwere: Ab Donnerstag darf Diana den Eltern des Spenderkindes einen anonymen Brief schreiben. Das ist in Deutschland erst ein Jahr nach der Transplantation erlaubt. „Das wird der schwerste und emotionalste Brief meines Lebens werden“, weiß Diana Dietrich. Denn um Daniels Leben retten zu können, musste erst ein anderes Kind sterben. „Dass sich die Eltern dieses Kindes damals für eine Organspende entschieden haben, dafür bin ich ihnen unendlich dankbar. Immer“, sagt sie.
Auf Instagram ist Daniels Alltag zu sehen