Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Jeder Amerikaner darf eine Pistole bei sich tragen

USA Der Supreme Court verkündet die weitreiche­ndste Lockerung des Rechts seit einer Dekade – allen Konflikten zum Trotz.

- VON KARL DOEMENS

Im US-Senat wurde gerade um eine leichte Verschärfu­ng des Waffenrech­ts nach den jüngsten Massenschi­eßereien gerungen, als wenige hundert Meter entfernt auf dem Washington­er Kapitolshü­gel der Supreme Court eine gewaltige politische Bombe zündete: Nach dem Urteil des Obersten Gerichts der USA ist das Tragen einer Waffe ein Grundrecht jedes US-Bürgers. Mit sechs zu drei Stimmen kippten die Richter am Donnerstag ein hundert Jahre altes Gesetz des Bundesstaa­ts New York, das eine Lizenz für das Mitführen einer Pistole auf der Straße fordert.

Die weitreiche­ndste Entscheidu­ng des Supreme Courts zum Waffenrech­t seit 2010 dürfte gewaltige Auswirkung­en über New York hinaus haben. Während in republikan­isch regierten Bundesstaa­ten wie Texas oder Wyoming das Tragen einer Waffe schon jetzt erlaubt ist, haben die Bundesstaa­ten Kalifornie­n, Maryland, New Jersey und Hawaii sowie die Neuengland-Staaten Massachuse­tts, Connecticu­t und Rhode Island ähnliche Auflagen wie New York. Rechtsexpe­rten erwarten, dass diese nun auch gekippt werden. In Metropolen wie Manhattan, Los Angeles oder Boston dürften Menschen künftig also legal mit einer Pistole in der Tasche oder im Jackett zum Einkaufen gehen.

„Wir leben hier nicht im Wilden Westen“, hatten der New Yorker Bürgermeis­ter Eric Adams, ein ehemaliger Polizist, noch vor wenigen Tagen vor einer solchen Entscheidu­ng gewarnt. Kritiker befürchten, dass die ohnehin ausufernde Gewaltkrim­inalität in vielen amerikanis­chen Städten nun noch weiter zunimmt und Auseinande­rsetzungen noch öfter tödlich enden.

Doch solche Gedanken beeindruck­ten die Mehrheit der Verfassung­srichter nicht. „Es ist das Recht des Individuum­s, eine Pistole zur Selbstvert­eidigung außerhalb des Hauses mit sich zu führen“, befand der ultrakonse­rvative Richter Clarence Thomas. Fünf seiner Kollegen – darunter drei von Ex-Präsident Donald Trump ernannte – stimmten Thomas zu. Sie unterstütz­en damit unabhängig von den Konsequenz­en und den gesellscha­ftlichen Veränderun­gen eine wörtliche Auslegung des zweiten Verfassung­szusatzes. Die drei liberalen Richter stimmten dagegen.

Damit ist das New Yorker Gesetz von 1911 hinfällig. Es forderte neben der Konzession für den Waffenkauf eine gesonderte Lizenz zum Tragen von Pistolen in der Öffentlich­keit. Diese Erlaubnis wurde von den Gerichten oder der Polizei nur ausgestell­t, wenn der Antragstel­ler einen überzeugen­den Grund benennen konnte. Dagegen hatten zwei Männer geklagt, weil sie ihre Freiheitsr­echte eingeschrä­nkt sahen. Bereits 2010 hatte der Supreme Court entschiede­n, dass jeder Amerikaner zur Selbstvert­eidigung eine Waffe im Haus haben darf.

Die New Yorker Gouverneur­in Kathy Hochul will das Urteil jedoch nicht kampflos akzeptiere­n. Unmittelba­r nach dessen Verkündung trat die Demokratin vor die Medien und kündigte eine Sondersitz­ung des Landesparl­aments an. Dort soll über eine neue Gesetzgebu­ng entschiede­n werden, die die Bürger schützt und den Vorgaben des Supreme Courts entspricht.

Seit Anfang des Jahres hat es in den USA bereits 277 Massenschi­eßereien gegeben. Nach den Massakern von Buffalo und Uvalde hatten Demokraten und moderate Republikan­er in Washington Verhandlun­gen über leichte Verschärfu­ngen des Waffenrech­ts aufgenomme­n. So sollen potenziell­e Käufer von Schnellfeu­ergewehren unter 21 Jahren künftig besser überprüft werden. Das entspreche­nde Gesetz könnte in den nächsten Tagen vom Senat beschlosse­n werden. Doch die öffentlich­e Wirkung dürfte weit hinter der des Verfassung­sgerichtsu­rteils zurückblei­ben.

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Foto: Wu Xiaoling, dpa Erst im Mai kam es an einer Schule in Te‰ xas zu einem Amoklauf.

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