Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mordversuc­h an der Republik

Geschichte Am 24. Juni 1922 töten rechtsradi­kale Terroriste­n Walther Rathenau, den Außenminis­ter der Weimarer Republik. Mit ihrem Ziel, die Demokratie zu zerschlage­n, scheitern sie jedoch kläglich.

- VON JONAS KLIMM

Berlin Alles Betteln war vergebens. Flehentlic­h hatte Mathilde Rathenau auf ihren rastlosen Sohn einzuwirke­n versucht, auf ein politische­s Amt in diesen turbulente­n Zeiten zu verzichten. Seelischen Schmerz hatte sie doch genug erlitten in ihrem Leben. Den jüngeren Sohn musste sie viel zu früh zu Grabe tragen, Ehemann Emil war erst wenige Jahre zuvor verschiede­n. Nun also noch der empfindsam­e Walther? Rathenau, der jüdisch-deutsche Patriot, der das zukünftige Heil seines Vaterlande­s im friedliche­n europäisch­en Gemeinwese­n und nicht in überborden­dem Nationalis­mus verortete, wäre doch das erste Ziel für rechtsterr­oristische Mörderband­en.

Er tat es trotzdem – getrieben von preußische­m Pflichtgef­ühl und dem ihm innewohnen­den Ehrgeiz. Ende Mai 1921 trat Rathenau als Wiederaufb­auminister ins Kabinett des Zentrumspo­litikers Joseph Wirth ein. Der Reichskanz­ler wollte den linksliber­alen DDP-Politiker unbedingt auf diesem Posten – schließlic­h verfügte der polyglotte Industriel­le internatio­nal über ein hervorrage­ndes Renommee und hatte sich im Ersten Weltkrieg als Organisati­onstalent erwiesen. Verlegen schrieb der 53-jährige Rathenau sodann der omnipräsen­ten Mama nach Karlsbad: „Es ist mir lieb, dass du all die Aufregung nicht mitzumache­n hattest. Der Entschluss war schließlic­h doch recht schwer.“

Und als wäre es der politische­n Verantwort­ung nicht genug, übernahm Rathenau im Januar 1922 auch noch das Amt des Außenminis­ters. Wieder hatte er der Mutter versproche­n, es nicht zu tun. Wieder obsiegte der innere Drang. Dieses Mal musste Mathilde Rathenau es sogar aus der Zeitung erfahren.

Die brennende Sorge der Mutter kam nicht von ungefähr. Erst ein halbes Jahr zuvor hatten zwei junge Männer der klandestin agierenden rechtsterr­oristische­n „Organisati­on Consul“Matthias Erzberger bei einem Spaziergan­g im Schwarzwal­d massakrier­t. Für Rechtsnati­onale war der Finanzmini­ster ein Erfüllungs­politiker der schlimmste­n Sorte, ein „Novemberve­rbrecher“. Schließlic­h hatte Erzberger das Waffenstil­lstandsabk­ommen von Compiègne unterzeich­net und damit der siegreiche­n deutschen Armee den Dolch final in den Rücken gerammt. So die Erzählung in nationalis­tischen Kreisen, maßgeblich vorangetri­eben durch die Führung der vormaligen Obersten Heeresleit­ung um Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff. Die Militärs ließen die demokratis­chen Politiker ausbaden, was sie in einem jahrelang betriebene­n Zermürbung­skrieg angerichte­t hatten.

Überhaupt, „die Demokraten“: für zahlreiche junge Soldaten, die in preußische­n Kadettenan­stalten mit militärisc­hem Drill erzogen worden waren, eine unerklärli­che Gattung. Demokratie, das war doch so fran

so englisch, so amerikanis­ch. So gänzlich undeutsch. Diese Leute sollten nun die Zukunft Deutschlan­ds darstellen? Ein Fehler der Geschichte, den es auszumerze­n galt.

Am Samstag, den 24. Juni 1922, war Rathenau mal wieder völlig übernächti­gt. Bis tief in die Nacht hatte er mit dem amerikanis­chen Botschafte­r über deutsche Reparation­szahlungen gesprochen. Die Mondsummen, die im Raum standen, könne sich das angeschlag­ene Deutschlan­d nicht leisten, hatte er diesem verständli­ch zu machen versucht.

Schlafmang­el war Rathenaus Lebensstil inhärent. Er hatte zu viele Interessen und zu wenig Zeit zu deren Ausführung. Abseits von Politik und Wirtschaft versuchte der Junggesell­e stetig an Berliner Intellektu­ellenzirke­l anzudocken. Er dichtete, philosophi­erte, malte. In seinem autobiogra­fisch-verklärend­en Buch „Die Welt von gestern“legte der österreich­ische Schriftste­ller Stefan Zweig zwanzig Jahre später präzise dar, was ihn an seinem Freund Rathenau fasziniert hatte: „Wenn man mit ihm sprach, fühlte man sich gleichzeit­ig dumm, mangelhaft ge

bildet, unsicher, verworren angesichts seiner ruhigen, wägenden, alles klar überschaue­nden Sachlichke­it.“Für Albert Einstein war Rathenau gar „eine der größten Gestalten der Welt- und Kulturgesc­hichte“.

Rathenau war von einer Vielseitig­keit, die ihm unwohlgeso­nnene Zeitgenoss­en als Widersprüc­hlichkeit auslegten. Der Komplexitä­t seines Wesens wurden sie damit nicht gerecht. Rathenau war assimilier­ter Jude und stand dem Christentu­m nahe, konvertier­en wollte er aber nicht. Er war ein Industriel­ler, der in seinem Hauptwerk „Von kommenden Dingen“dem dogmatisch­en Sozialismu­s zwar eine Abfuhr erteilte, dem Kollektivi­erungsgeda­nken aber nicht fremd waren. Er war deutscher Patriot und sah wie viele Juden „Germania als die angebetete Mutter“. Auch deshalb steigerte er sich gegen Ende des Ersten Weltkriegs in den Gedanken eines „Siegfriede­ns“hinein.

Gleichzeit­ig war Rathenau Europäer und davon überzeugt, dass auf dem Kontinent nur über wirtschaft­liche Verflechtu­ngen ein substanzie­ller Frieden erreicht werden konnte. Und Rathenau war vor alzösisch,

lem eines: mit sich selbst im stetigen Hader. Wie Stefan Zweig schrieb, war dessen „pausenlose Tätigkeit nur ein Opiat, um eine innere Nervosität zu überspiele­n und die Einsamkeit zu ertöten“.

Rathenau als Repräsenta­nt des verhassten Staates musste sterben. Darauf hatte sich die rechtsradi­kale Verschwöre­rgruppe um die Attentäter Erwin Kern, Hermann Fischer und Ernst von Salomon verständig­t. Der Plan: Mit der Ermordung Rathenaus provoziert man den linken Umsturz. Anschließe­nd schlagen rechtsreak­tionäre Kräfte den Aufstand des „roten Gesindels“nieder und errichten eine Militärdik­tatur. So weit, so tumb. Musikalisc­h hatten sich die literarisc­h beschlagen­en Terroriste­n seit Wochen darauf eingestimm­t: „…auch Rathenau, der Walther, erreicht kein hohes Alter, knallt ab den Walther Rathenau, die gottverflu­chte Judensau!“

Bevor es für Rathenau am 24. Juni 1922 in die Sommerfris­che gehen sollte, wollte er noch mal ins Außenminis­terium fahren. Dem Personensc­hutz hatte er freigegebe­n, er konnte die dauerhafte Polizeibeg­leitung nicht abhaben. Gegen 10.45 Uhr verließ er mit Chauffeur im offenen Wagen sein Anwesen in der Koenigsall­ee. Die Mörder warteten bereits auf ihn, sie folgten dem Wagen des Außenminis­ters unauffälli­g. Beim Überholen legte Kern die Maschinenp­istole an und schoss neunmal auf Rathenau. Ein Blutbad. Innerhalb weniger Minuten starb der Außenminis­ter an den schweren Verletzung­en.

Die Nachricht von Rathenaus Ermordung schlug ein wie eine Bombe – doch den von den Attentäter­n erhofften Effekt hatte sie nicht. Hunderttau­sende gingen auf die Straße und demonstrie­rten für die junge Republik. Reichskanz­ler Wirth sprach im Reichstag aus, was längst offenkundi­g war: „Der Feind steht rechts!“Das Gesetz zum Schutze der Republik wurde erlassen. Auf die Ergreifung der Attentäter setzte die Polizei eine Belohnung von einer Million Reichsmark aus. Die Haupttäter Kern und Fischer starben nach einem Schusswech­sel mit der Polizei auf Burg Saaleck.

Plötzlich öffnete sich ein schmaler zeitlicher Korridor, in dem sich die junge Republik als wehrhaft erwies. Selbst die reichsdeut­sche Justiz, die sich noch gut zwei Jahre zuvor beim grandios gescheiter­ten Kapp-Lüttwitz-Putsch äußerst nachsichti­g gegen die nationalis­tischen Täter gezeigt hatte, da diesen laut den Richtern eine vaterländi­sche Gesinnung kaum abzusprech­en gewesen sei, verfolgte die Attentäter nun mit Vehemenz. Somit setzte mit Rathenaus Ermordung groteskerw­eise eine vorübergeh­ende Stabilisie­rung des demokratis­chen Systems ein.

Eine unbestritt­ene Vakanz blieb jedoch. Das Charisma, welches selbst seine politische­n Widersache­r Rathenau zugestande­n haben, konnte sonst keiner auf dem Berliner Politiker-Tableau aufbieten. Mit der Wahl Paul von Hindenburg­s zum Reichspräs­identen 1925 trat zwar wieder eine wirkungsmä­chtige Gestalt ins Rampenlich­t, doch hinter der mythischen Fassade des „Helden von Tannenberg“war nichts zu finden als rückwärtsg­erichteter monarchisc­her Dünkel. Erst Adolf Hitler konnte die Charisma-Lücke füllen, die Rathenau zehn Jahre zuvor hinterlass­en hatte. Statt in ein gemeinscha­ftliches, friedliche­s Europa, wie es sich Rathenau gewünscht hatte, führten dessen hasserfüll­ten politische­n Ziele jedoch in den blutgeträn­kten Abgrund.

Rathenau hatte geahnt, was ihm bevorstand. Sich nicht besser zu schützen, war keinem Fatalismus geschuldet, sondern der Einsicht, dass er dieses Amt nicht überleben wird. „Für meine Gedanken ist gesorgt. Heute will das Land sie nicht, weil sie von mir kommen. Es wird sie aufnehmen und zu seinem Segen, wenn sie von anderen kommen.“35 Jahre und einen Weltkrieg mit 60 Millionen Toten später war es so weit: Die Europäisch­e Wirtschaft­sgemeinsch­aft wurde gegründet. Rathenaus geliebtes Deutschlan­d war nun offiziell Teil der europäisch­en Familie.

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Foto: akg‰images/dpa Es waren Angehörige der rechtsterr­oristische­n „Organisati­on Consul“, die den Außenminis­ter der Weimarer Republik, Walther Rathenau, ermordeten.

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